„Für Patientenorganisationen ist die Aufgabenfülle schwer zu bewältigen“
Berlin – Der Gemeinsame Bundessausschuss (G-BA) hat mit den über 20 Gesetzen dieser Legislaturperiode immer mehr Aufgaben und Ausarbeitungen zu Details übertragen bekommen. Einen Bericht über das Arbeitsjahr 2016 hat das Deutsche Ärzteblatt in Ausgabe 3/2017 veröffentlicht.
Im Interview mit dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, Josef Hecken, spricht er über die Auswirkungen der G-BA-Arbeit auf den Arbeitsalltag von Ärzten, über das immer größere Arbeitspensum des Gremiums und die Freiheit vom politischen Druck, den es bei Entscheidungen im G-BA gibt. Doch wie bewerten die vier „Bänke“ im G-BA – das sind für die Vertragsärzte und -psychotherapeuten die KBV, für die Krankenhäuser die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), für die Krankenkassen der GKV-Spitzenverband sowie die Patientenvertreter – die Arbeit des vergangenen Jahres?

Fünf Fragen an Ilona Köster-Steinebach, eine Vertreterin der Patienten und Referentin für Gesundheit beim Bundesverband Verbraucherzentrale, zum Arbeitspensum des G-BA im Jahr 2016, den Strukturen im Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung sowie zur künftigen Zusammenarbeit mit den anderen Bänken.
DÄ: Rückblick auf das Arbeitsjahr 2016: Welche Aufgaben hat der G-BA aus Ihrer Sicht gemeistert, was ist allerdings dabei liegen geblieben?
Ilona Köster-Steinebach: Mein persönlicher Fokus liegt auf der Qualitätssicherung. Hier war das Jahr vom Übergang der Aufgaben von AQUA auf das neue Qualitätssicherungsinstitut nach § 137a SGB V, das IQTiG, geprägt. Bei den vielen Aufgaben und Daten, die hier bewegt werden mussten, ist auf jeden Fall ein großes Lob für alle Beteiligten angebracht. Außerdem war mit der Richtlinie zu planungsrelevanten Qualitätsindikatoren die erste Aufgabe des Krankenhausstrukturgesetzes „fällig“. Diese wurde zwar termingerecht erfüllt, aber inhaltlich gibt es da noch sehr viel Handlungsbedarf, bis sie auch nutzbar ist. Aus meiner Sicht liegen geblieben ist die Weiterentwicklung insbesondere der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung, und hier besonders die Entwicklung von neuen Verfahren. Die Patientenvertretung hat da schon vor über fünf Jahren Anträge gestellt, beispielsweise zum Prostatakrebs und zum Entlassmanagement, die gerade erst die allerersten Bearbeitungsschritte durchlaufen: wirksame Umsetzung frühestens 2022.
DÄ: Bekommt der G-BA inzwischen zu viele Arbeitsaufträge aus dem Bundesgesundheitsministerium? Ist die Fülle der Aufgaben noch leistbar?
Köster-Steinebach: Besonders das Krankenhausstrukturgesetz hat noch mal eine Vielzahl von Aufgaben für den G-BA gebracht. Prinzipiell begrüße ich, wenn diese Aufgaben an den G-BA gehen, da dort gewährleistet ist, dass Patientenorganisationen ein Antrags- und Mitberatungsrecht haben. Aber gerade für die Patientenorganisationen ist diese Aufgabenfülle auch schwer zu bewältigen, da dort nicht einfach Systemzuschläge erhöht und neue Mitarbeiter eingestellt werden können. Neben der anspruchsvollen Suche nach fachlich kompetenten, engagierten und unabhängigen Patientenvertretern strapaziert nach meinem Eindruck besonders die erforderliche Arbeit in den Organisationen selbst die Ressourcen aufs Äußerste.
DÄ: Wie bewerten Sie Ihre eigene Rolle als Patientenvertreterin im G-BA?
Köster-Steinebach: Patientenvertreterin zu sein, ist nicht immer einfach. Erfolg hat man in dieser Rolle, wenn es gelingt, Entscheidungen im Interesse der Patienten zu beeinflussen. Im Idealfall gelingt das durch gute Sachargumente in der alltäglichen Arbeit in Arbeitsgruppen und Unterausschüssen. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Interessen der stimmberechtigten Organisationen aufgrund ökonomischer Anreize den Patientenanliegen deutlich zuwiderlaufen. Das kann auf einer Seite, also nur Krankenkassen oder Leistungserbringer, im schlimmsten Fall aber auch bei beiden Seiten der Fall sein. Wenn das passiert, oder wenn erkennbar außerhalb der Beratungssituation im G-BA und ohne Beteiligung der Patientenvertretung „Kompromisse“ abgestimmt wurden, die den Interessen der Patienten zuwiderlaufen, dann bleibt nur, öffentliche Kritik zu üben. Das macht nicht beliebt. Ich glaube aber, dass die Patientenvertretung genau deshalb eine wichtige Funktion als Leitplanke der gemeinsamen Selbstverwaltung hat, damit eben diese Selbstverwaltung dauerhaft das Ordnungsprinzip bleibt, das für das gesamtgesellschaftliche Ergebnis das beste ist.
DÄ: Ist das jetzige Konstrukt des G-BA den künftigen Herausforderungen gewachsen oder benötigt es Reformen?
Köster-Steinebach: Nach meiner Überzeugung haben die sogenannten Wettbewerbselemente im Gesundheitswesen das Konstrukt des G-BA unter erhöhte Spannung gesetzt. Vor Satzungsleistungen, Selektivverträgen und IGeL gab es zwar gegenläufige Interessen von Kassen und Leistungserbringern, aber viel weniger Möglichkeiten, quasi Übereinkünfte zulasten Dritter zu schließen. Bestes Beispiel ist die Aktualisierung des ambulanten Leistungskatalogs. Krankenkassen möchten gerne Ausgaben sparen oder attraktive Leistungen als eigene Sonderleistungen über den gesetzlichen Anspruch hinaus bewerben – beides verständliche Motive. Ärzte würden die betreffenden Leistungen gerne lukrativer als IGeL oder Selektivvertragsleistung erbringen – auch soweit nachvollziehbar. Im Zusammenspiel bedeutet das aber, dass der Leistungskatalog veraltet und löchrig wird, wenn nicht die Patientenvertretung die Kraft aufbringt, für die allgemeine Einführung der Leistungen zu sorgen. Deshalb benötigt es nach meiner Ansicht Reformen, die die Durchsetzung von Patienteninteressen stärken, damit das Konstrukt G-BA weiter beziehungsweise wieder stärker seine Aufgabe im Sinne des Gemeinwohls erfüllt.
DÄ: Ein Ausblick auf das Jahr 2017: Was erwarten Sie von der Arbeit in den Gremien, welche Schwerpunkte müssen gesetzt werden?
Köster-Steinebach: 2017 ist Wahljahr. Also ist nicht mit einschneidenden Reformgesetzen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund wird es wohl ein Jahr der eher unspektakulären Sacharbeit in den Gremien werden, was gut ist. Wieder mit speziellem Blick auf die Qualitätssicherung würde ich mir wünschen, dass nicht nur die weiteren Aufgaben des Krankenhausstrukturgesetzes mechanisch abgearbeitet werden, sondern dass der Innovationsstau in der Qualitätssicherung aufgelöst wird. Einige gute Verfahrensanträge liegen lange auf Eis und sollten endlich ernsthaft bearbeitet werden, weitere sind in der Patientenvertretung in Vorbereitung. Wichtig wäre mir persönlich auch, dass Patientenbefragungen als gleichwertige Datenquelle der Qualitätssicherung eingeführt werden; dafür habe ich mich seit 2010 eingesetzt. Insgesamt wird es darauf ankommen, den Impuls des Krankenhausstrukturgesetzes aufzunehmen und aufrecht zu erhalten, Qualitätsorientierung endlich von der leeren Formel zur wirksamen Handlungsmaxime zu machen.
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