„Ich halte es für zentral, die Programme zur Krebsfrüherkennung intelligent weiterzuentwickeln“
Berlin – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat auch im neuen Jahr eine volle Agenda. Einige Vorhaben drehen sich dabei um die Früherkennung von Krebs. Monika Lelgemann, unparteiisches G-BA-Mitglied, sagte dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) anlässlich des morgigen Weltkrebstages (4. Februar), was auf der Agenda steht und wo Handlungsbedarf besteht.

5 Fragen an Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende der Unterausschüsse Methodenbewertung, Veranlasste Leistungen und Psychotherapie
DÄ: Der G-BA befasst sich auch in der Pandemie nicht nur mit den Coronasonderregeln. Welche wichtigen Themen stehen darüber hinaus 2022 im G-BA auf der Agenda?
Monika Lelgemann: Grundsätzlich sind natürlich all die Themen für den G-BA relevant, welche im Koalitionsvertrag angesprochen werden. Insbesondere wird die Frage nach einer Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft wichtig werden sowie die mögliche veränderte Aufstellung des G-BA insgesamt.
Hinzu kommt die generelle Herausforderung, auf der einen Seite die Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt zu gewährleiten und andererseits das solidarisch finanzierte Krankenkassensystem zu schützen. Dieses ist ja wesentlicher Baustein unser guten Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Für meinen Zuständigkeitsbereich im G-BA bedeutet dies vor allem, das Thema der Krebsfrüherkennung voranzutreiben sowie die Möglichkeiten der Digitalisierung umfassend zu prüfen. Zentral für mich ist beim Thema Digitalisierung: Können wir die Versorgung durch Elemente der Telemedizin und der Videotherapie verbessern und vereinfachen?
Im ureigenen Interesse des G-BA ist es darüber hinaus stets, die Beratungsprozesse möglichst effizient zu gestalten und damit auch zu beschleunigen. Bei der Bewertung nichtmedikamentöser Interventionen sind wir gerade im letzten Jahr deutlich besser geworden. Auf dem Erfolg ruht sich der G-BA aber nicht aus. Vielmehr ist es selbstverständlich, dass wir weitere Verbesserungsmöglichkeiten kontinuierlich überprüfen.
DÄ: Welches Thema liegt Ihnen persönlich besonders am Herzen?
Lelgemann: Lassen Sie mich zwei Punkte herausgreifen. Zum einen ist mir die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wichtig. Die Gesetzgebungen der letzten Legislatur haben für diesen Bereich den Fokus auf die Initiierung und Finanzierung klinischer Studien durch den G-BA gelenkt.
Prominentes Beispiel war und ist die Studie zur Liposuktion beim Lipödem. Daneben haben wir für zahlreiche weitere Methoden Studien initiiert und fassen gerade weitere Beschlüsse zur Durchführung solcher Erprobungsstudien. Aufgrund vielfältiger bürokratischer Vorgaben und Hürden ist dieses Programm träge. Dass die Durchführung klinischer Studien unter Pandemiebedingungen besonders herausfordernd ist, kommt erschwerend hinzu.
Wenn schon die Versicherten per Gesetz verpflichtet sind, die Kosten von Studien insbesondere für besonders riskante Medizinprodukte zu übernehmen, sollte alles dafür getan werden, dass diese Studien auch erfolgreich umgesetzt werden können. Das umfasst für mich auch die Möglichkeit, zwischen vielversprechenden und nicht so vielversprechenden neuen Methoden differenzieren zu können.
Hier braucht es dringend Erleichterungen und Verbesserungen. Ich bin zuversichtlich, dass der neue Gesundheitsminister aufgrund seiner eigenen wissenschaftlichen Expertise gerade bei diesem Thema ein offenes Ohr haben wird.
Zum anderen halte ich es zudem für zentral, die in den Richtlinien des G-BA geregelten Programme zur Krebsfrüherkennung intelligent weiterzuentwickeln. Die bestehenden Programme zu Zervix-, Darm-, Haut- und Brustkrebs bieten uns in Deutschland eine sehr gute Grundlage, um diese Krankheitslasten in der Bevölkerung weiter zu reduzieren. Hier werden wir Verbesserungen vornehmen, um künftig aussagekräftigere Daten zu den Programmen und ihren Effekten zu bekommen.
Daneben müssen wir uns die Abläufe in den Programmen genau ansehen und dort, wo wir Verbesserungen erreichen können, Veränderungen vornehmen. Erkennbar ist, dass mittlerweile die Erhöhung der Teilnahmerate und damit auch die Art und Weise, wie man Information über die Programme bekommt, stärker in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt sind.
DÄ: Im G-BA auf der Prüfliste befinden sich derzeit die Infomaterialien für Versicherte bei Darmkrebs sowie Altersgrenzen im Mammografiescreening. Was wird genau geprüft, wie ist der Stand der Dinge und wann sind dort Entscheidungen zu erwarten?
Lelgemann: Unser Angebot beim Darmkrebsscreening in Deutschland ist vergleichsweise komplex: In unterschiedlicher Häufigkeit und abhängig von Alter wie Geschlecht besteht sowohl ein Anspruch auf einen Test auf Blut im Stuhl, als auch auf die Darmspiegelung. Seit dem Start des Darmkrebsscreenings 2019 erhalten die Versicherten neben einer persönlichen Einladung auch eine Informationsbroschüre.
Eine solche Versicherteninformation ist ein wichtiger Baustein eines organisierten Programms, denn sie soll den Anspruchsberechtigten eine informierte Entscheidung über die Teilnahme ermöglichen. Die Informationsbroschüre wurde und wird kritisiert, sie sei zu umfangreich, zu schwer verständlich und nicht ermunternd genug.
Der G-BA nimmt diese Aussagen ernst und hat ein Beratungsverfahren zur Überarbeitung dieser Informationsbroschüre eingeleitet. In einem ersten Schritt haben wir die Fachöffentlichkeit um eine explizite Formulierung der Kritik und um Verbesserungsvorschläge gebeten. Außerdem werden Einschätzungen und Erkenntnisse zu alternativen Formaten oder Verteilungskanälen nachgefragt – beispielsweise Kurzversionen oder Digitalangebote.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nutzt diese Einschätzungen als Grundlage für eine Evaluation der Materialen. Die Ergebnisse der Evaluation fließen anschließend in die Überarbeitung der Infomaterialien durch das Institut ein.
Neben den Versicherteninformationen haben wir beim Darmkrebsscreening aber auch das Programm als solches im Blick. Im Herbst 2022 erwarten wir den ersten Auswertungsbericht. Im internationalen Vergleich hat Deutschland mit der Auswahl zwischen Koloskopie und Stuhltest, den verschiedenen Intervallen sowie den auch geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Anspruchsaltern eine vielschichtige Darmkrebsfrüherkennung.
Dabei sind datenschutzrechtliche Anforderungen an die organisierten Krebsfrüherkennungsprogramme vergleichsweise hoch. Bereits jetzt lässt sich erkennen, dass eine Vereinfachung der Rahmenbedingungen im Programm sinnvoll ist.
Positiv auf die Teilnahmerate könnte sich zum Beispiel ein einfacherer Zugang zum Stuhltest auswirken. Wir werden auch prüfen, wie sich bürokratische Hürden, die mit Datenschutzanforderungen begründet werden, abbauen lassen. Damit könnten die Eingeladenen einfacher an eine anstehende Früherkennung erinnert werden.
Beim Mammografiescreening werden wir bis voraussichtlich Februar 2023 entscheiden, ob die bisherigen Altersgrenzen für die Teilnahme anzupassen sind. Wir prüfen, ob das Screening auch für Frauen im Alter zwischen 45 und 49 sowie zwischen 70 und 74 Jahren und älter einen Nutzen hat. Eine entsprechende Studienrecherche führt das IQWiG derzeit für uns durch.
Hintergrund unserer Beratungen ist, dass die europäische Brustkrebsleitlinie der EU-Kommission aktualisiert wurde. Diese Empfehlungen wurden wiederum in der Vorprüfungsentscheidung zur strahlenschutzrechtlichen Zulassung des Mammografiescreeningprogramms aufgegriffen, die das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) verantwortet.
In dessen Auftrag begutachtet das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) das Nutzen-Strahlen-Risiko bei Frauen ab 70 Jahren und danach für die Altersgruppe unter 50 Jahren. Wir erwarten, dass das BMUV Mitte 2022 seine Verordnung auf der Grundlage des Bewertungsergebnisses des BfS gegebenenfalls anpassen wird.
Anschließend hätte der G-BA innerhalb von 18 Monaten laut gesetzlichem Auftrag ohnehin zu prüfen, ob die Früherkennungsuntersuchung dann mit neuen Altersgrenzen zu Lasten der Krankenkassen zu erbringen ist und das Nähere zu regeln. Da wir die Beratungen aber schon unabhängig davon aufgenommen haben, werden wir hier sehr viel schneller ein Ergebnis haben und entsprechende Folgeänderungen, zum Beispiel zur Anpassung der Entscheidungshilfe angehen können.
DÄ: In der Diskussion befindet sich bereits seit April des vergangenen Jahres ein mögliches Screening auf Lungenkrebs für aktive und ehemalige Raucher. Arbeitet der G-BA mittlerweile daran? Sollte ein solches Screening auch für Menschen greifen, die beruflich mit Asbeststaub oder Feinstaub in Kontakt standen?
Lelgemann: Zum Lungenkrebsscreening mittels Niedrigdosiscomputertomografie konnten wir noch nicht formal in die Beratungen einsteigen, weil das Strahlenschutzgesetz seit 2018 hier ganz klare Voraussetzungen vorsieht, die noch nicht erfüllt sind.
Die Computertomografie geht mit einer Strahlenbelastung einher – wenn sie also in einem Früherkennungsprogramm eingesetzt werden soll, muss – wie oben bereits beim Mammografiescreening ausgeführt – eine Rechtsverordnung des BMUV dafür zuerst grünes Licht geben. Diese Rechtsverordnung wird derzeit erarbeitet.
Anschließend kann der G-BA in der ihm eingeräumten Frist von 18 Monaten prüfen, ob diese Früherkennungsuntersuchung als Leistung der Krankenkassen eingeführt wird und entsprechend gegebenenfalls das Nähere für die gesetzlich Versicherten in einer Richtlinie regeln.
Da der G-BA an die Vorgaben der BMUV-Verordnung gebunden ist, ist es für eine Diskussion über die konkrete Ausgestaltung eines möglichen Programms noch zu früh. Ich kann aber jetzt schon sagen, dass auch in diesem Verfahren der Öffentlichkeit und den medizinisch-wissenschaftlichen Fachkreisen die üblichen Beteiligungsmöglichkeiten offenstehen werden.
DÄ: Der Innovationsausschuss fördert zwei Projekte zum Hautkrebs. Worum genau geht es und was verspricht sich der G-BA von der Förderung und für eine spätere Regelversorgung?
Lelgemann: Derzeit untersuchen zwei Versorgungsforschungsprojekte des Innovationsausschusses beim G-BA, wie gut das bestehende Screening funktioniert. Das Projekt „EvaSCa – Evaluation des Hautkrebsscreenings bei AOK-Versicherten in Deutschland“ untersucht das Screening anhand Routinedaten von AOK-Versicherten aus den Jahren 2008 bis 2016.
Dabei werden verschiedene Faktoren zwischen Hautkrebspatienten verglichen, deren Tumor durch das Screening aufgedeckt wurde, und solchen, bei denen das nicht passiert ist. Ziel ist es, besser einschätzen zu können, ob das Hautkrebsscreening in der jetzigen Form die Hautkrebsbehandlung verbessert und die Sterblichkeit verringert. Außerdem wird untersucht, welche Potenziale zur Weiterentwicklung bestehen.
Auch beim Projekt „Pertimo – Perspektiven einer multimodalen Evaluation der Hautkrebsfrüherkennung“ geht es darum, sich mit Verbesserungspotenzialen des bestehenden Hautkrebsscreenings zu befassen.
Das Projekt wertet dazu Versorgungsdaten der deutschen Krebsregister, Abrechnungsdaten der kassenärztlichen Versorgung und Gesundheitsdaten der DAK-Gesundheit aus. Eine zentrale Frage dabei ist unter anderem, ob in Regionen mit einer hohen Teilnahmerate am Hautkrebsscreening die Hautkrebssterblichkeit kleiner ist als in Regionen mit geringer Teilnahmerate.
Beide Projekte erstellen derzeit ihre Abschlussberichte. Können Weiterentwicklungspotenziale des Screeningprogramms gezeigt werden, wird der Innovationsausschuss sogenannte Transferempfehlungen an den G-BA aussprechen. Ob wir belastbare Antworten auf die offenen Fragen aus den beiden Projekten des Innovationsausschusses erhalten werden, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen.
Aus meiner Sicht ist ganz grundsätzlich, also auch jenseits der genannten Projekte, zu hinterfragen, inwieweit ein populationsbezogenes Screening zur Hautkrebsfrüherkennung wirklich noch die richtige Strategie ist oder durch ein risikoadaptiertes Screening abgelöst werden sollte.
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