„Mit diesen Bereichen zu beginnen, erscheint sinnvoll“
Berlin – Die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat kürzlich ihre erste Stellungnahme vorgelegt. Darin enthalten sind Empfehlungen der Arbeitsgruppe Pädiatrie und Geburtshilfe für eine Reform der stationären Vergütung für die Bereiche Pädiatrie, Kinderchirurgie und Geburtshilfe.
Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) gibt Fred Zepp, Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), langjähriger Leiter der Mainzer Uni-Kinderklinik sowie ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), erste Einschätzungen – auch für die AWMF AG Medizin und Ökonomie – ab.

5 Fragen an Fred Zepp, Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
DÄ: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verwies im Zusammenhang mit der Vorstellung der Kommissionsempfehlungen nochmals auf sein Konzept, Reformen im Krankenhausbereich mit mehreren „Gesetzespaketen“ statt mit einem großen Gesetz umsetzen zu wollen. Aus Ihrer Sicht ein gut gewählter Ansatz?
Fred Zepp: Ein pragmatisch gewählter Ansatz, der Erfolg zeitigen kann, wenn die Gesetzesentwürfe klug aufeinander aufbauen. Durch die Coronapandemie wurden Vorhaben aus der letzten Legislaturperiode verschoben, wie unter anderem die auskömmliche Finanzierung von Pädiatrie und Geburtshilfe. Mit diesen Bereichen nun zu beginnen, erscheint sinnvoll.
In der Pädiatrie und in der Geburtshilfe hat in den letzten Jahrzehnten ein weitgehender Zentralisierungsprozess stattgefunden bei gleichzeitiger Steigerung der Fallzahlen, so dass die Befassung mit diesen Bereichen auch vor diesem Hintergrund vertretbar ist.
Wichtig ist, Finanzierungsmodelle für die Vorhaltekosten zu entwickeln, die grundsätzlich auch in anderen Versorgungsbereichen einsetzbar sind. Es sollte im weiteren Verlauf kritisch geprüft werden, ob das Ziel einer nachhaltig finanzierten, bedarfsgerechten regionalen medizinischen Versorgung der Bevölkerung mit diesen schrittweisen Reformen tatsächlich erreicht werden kann.
DÄ: Bei den nun vorgelegten Empfehlungen geht es unter anderem um eine auskömmliche Finanzierung der Pädiatrie. Wie bewerten Sie die vier erarbeiteten Modelle?
Zepp: Das für die Versorgung aktuell am sinnvollsten erscheinende Modell – so sieht es auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin – ist Modell D mit Verteilung von zusätzlichen Finanzmitteln nach einer Mischung aus vorgehaltenen Behandlungskapazitäten und versorgter Bevölkerungszahl.
Dabei werden die Modelle B und C kombiniert angewendet. Modell B beschreibt aufgrund der Differenzierung der vorgehaltenen Behandlungskapazitäten nach Grundversorgung, Spezialversorgung und Maximalversorgung den Finanzierungsbedarf am zuverlässigen und berücksichtigt auch die Zentralisierung komplexer Leistungen.
Modell C orientiert sich prioritär am bevölkerungsbezogenen Versorgungsbedarf. Durch die Verbindung mit den Zielen von Modell B kann die Finanzierung der kostenintensiven komplexen Leistungen auch in einer zentralisierten Struktur sichergestellt werden. Das einfachste Modell A – die Fortschreibung von angehobenen abteilungsindividuellen Erlösen ohne Leistungsbezug – erscheint strukturell am schwächsten.
DÄ: Die schätzen Sie ein, dass für den Bereich der Geburtshilfe abteilungsindividuelle und an die Fallzahlen gekoppelte Zuschläge vorgesehen sind?
Zepp: Hier verweisen wir zunächst auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) von 2021: „Strukturqualität ist der entscheidende Faktor in deutschen Kreißsälen“. Dort heißt es: „Es kommt in erster Linie nicht darauf an, jede Geburtshilfe-Abteilung um jeden Preis zu erhalten.
Vielmehr geht es darum, dass in jeder Geburtshilfeabteilung eine entsprechende Infra- und Personalstruktur gegeben ist, die den Anspruch der Schwangeren an eine sichere Versorgung auch gewährleistet.“ Auch die Stellungnahme der Regierungskommission erkennt eine Mindestzahl von 500 Geburten pro Jahr als Voraussetzung für gute Qualität an und kündigt – wie auch in der Pädiatrie – eine nächste Stufe der Vorschläge unter Einbeziehung von Qualitätsvorgaben an.
Eine Unterstützung kleinerer Häuser erscheint wirklich nur an Orten angezeigt, an denen die Grundversorgung sonst nicht gewährleistet ist (57/120 Standorten). Eine zusätzliche leistungsunabhängige Vergütung ist nach Einschätzung auch der DGGG darüber hinaus nicht zielführend, wenn sie nach Geburtenzahlen gestaffelt wird.
Für einen höheren Anreiz zu guter Betreuung unter der Geburt – die nachweislich zu weniger Komplikationen führt – erscheint eine Kopplung der Finanzierung mit der Betreuungsleistung pro Geburt unabhängig von Fallzahlen aussichtsreicher für eine qualitativ hochwertige Geburtshilfe.
DÄ: Die Kommission verweist darauf, dass zeitnah Vorschläge für weitere Reformstufen folgen sollen. Unter anderem wurden Qualitätsvorgaben für beide Fächer angekündigt, auch die Bedarfsnotwendigkeit soll noch stärker berücksichtigt werden. Was erhoffen Sie sich über die Inhalte der bereits vorgelegten Vorschläge hinaus?
Zepp: Die AWMF hat sich mit ihrer AG Medizin und Ökonomie für eine angemessene Zentralisierung von Leistungen ausgesprochen, bei denen die Ergebnisqualität mit der Leistungsmenge zusammenhängt. Dies gilt auch für die Bereiche Pädiatrie und Geburtshilfe. Darüber hinaus gilt es, Qualität in Bezug auf Anzahl und Qualifikation von Personal vorzuhalten sowie in Bezug auf technische Ausstattung und Gewährleistung einer Versorgung mit möglichst wenigen Komplikationen.
Ein weiterer Qualitätsaspekt ist die Verankerung von Fort- und Weiterbildung zur Sicherstellung einer leitliniengerechten Versorgung. Nicht zuletzt spricht sich die AG Medizin und Ökonomie der AWMF für sektorenübergreifende, interprofessionelle Versorgungskonzepte aus, mit entsprechenden sektorenübergreifenden Konzepten zur Qualitätssicherung. Das Ziel ist eine kontinuierliche, patientenzentrierte Versorgung ohne Brüche mit guter Indikations- und Ergebnisqualität. Wir hoffen, dass diese Aspekte bei den weiteren Reformstufen berücksichtigt werden.
DÄ: Zur konkreten Finanzierung der zusätzlichen Mittel müssen sich nun Bund und Länder einigen. Die Vergütungsanpassungen sollen bereits am Anfang 2023 greifen – wie zuversichtlich sind Sie diesbezüglich?
Zepp: Seitens der AWMF begrüßen wir eine zusätzliche Finanzierung – auch als Vorfinanzierung. Das Ergebnis der Verhandlungen dazu steht unseres Erachtens noch nicht fest.
Längerfristig wird es aufgrund des demografischen Wandels zusammen mit den Auswirkungen der Coronapandemie und der auch in Deutschland spürbaren wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine erforderlich sein, Vorhaltekosten vor allem über Reallokation von Mitteln zu decken.
Dazu kann unter anderem die Anpassung von Mindestverweildauern beitragen oder eine sektorengleiche Vergütung für bestimmte Eingriffe mit Anreizen für deren ambulante Erbringung. Auch für diese muss allerdings Qualität und Sicherheit für Patientinnen und Patienten gewährleistet sein.
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