Europäer wollen im Kampf gegen die Pandemie besser zusammenarbeiten

Brüssel – Testen, warnen, impfen: Die EU-Staaten wollen enger zusammenarbeiten, um die zweite Coronawelle zu brechen. Dies vereinbarten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre EU-Kollegen bei einer Videokonferenz. Kurzfristig sehen sich aber immer mehr Länder gezwungen, Kontakte im Alltag auszubremsen.
„Wir sitzen alle im selben Boot“, sagte EU-Ratschef Charles Michel gestern am späten Abend nach der Videoschalte der 27 EU-Staats- und Regierungschefs.
Im Frühjahr lief die Zusammenarbeit in der Gemeinschaft holprig – unter anderem mit unabgestimmten Grenzschließungen und nationalen Alleingängen. In der zweiten Coronawelle will man es besser machen, um das Virus zumindest auf Sicht besser zu managen und einzudämmen.
Konkret verabredeten die Staats- und Regierungschefs in der rund dreistündigen Sitzung, gemeinsame Test- und Impfstrategien voranzutreiben und die unterschiedlichen Corona-Warn-Apps für Handys zu harmonisieren. Die 22 verschiedenen Apps sollen noch im November miteinander kompatibel werden, wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte.
Auch Bundeskanzlerin Merkel betonte die Bedeutung des koordinierten Vorgehens und warnte insbesondere vor neuen Grenzschließungen. „Gerade für Deutschland als Land in der Mitte Europas ist es wichtig, dass die Grenzen offen bleiben, dass es einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf gibt und dass wir gemeinsam die Pandemie bekämpfen“, erklärte die CDU-Politikerin über ihren Sprecher.
Von der Leyen äußerte sich ähnlich. „Ich denke, wir haben alle unsere Lehren aus dem Frühling gezogen“, sagte die CDU-Politikerin. Es habe nur wenig Zeit gebraucht um zu verstehen, dass dies den Binnenmarkt beschädige. Zudem habe es die Ausbreitung des Coronavirus nicht gestoppt.
Nach einer kleinen Atempause im Sommer verzeichnen inzwischen fast alle EU-Staaten wieder rasant steigende Infektionszahlen mit SARS-CoV-2 und immer mehr Patienten in Kliniken. Nicht nur Deutschland fährt deshalb das öffentliche Leben drastisch zurück.
In Frankreich treten an diesem Freitag wieder weitreichende Ausgangsbeschränkungen in Kraft, die bis 1. Dezember gelten sollen. Bürger dürfen sich demnach nicht mehr ohne Weiteres frei bewegen. Menschen können auf die Straße gehen, wenn sie arbeiten, wichtige Einkäufe erledigen, einen Arzt aufsuchen oder frische Luft schnappen wollen – müssen dafür dann aber eine Bescheinigung ausfüllen. Anders als im Frühjahr sollen die Schulen geöffnet bleiben.
Rund 200.000 Geschäfte müssen hingegen wochenlang schließen. Die Regierung rechnet mit rund 15 Milliarden Euro Unterstützungskosten pro Monat. Doch sagte Premierminister Jean Castex: „Es gibt keine andere Lösung.“ Zuletzt gab es in Frankreich über 47.600 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Es starben bisher mehr als 36.000 Menschen in dem Land, das 67 Millionen Einwohner hat.
Über weitere Beschränkungen berät heute auch die belgische Regierung. In dem ebenfalls besonders hart getroffenen Land sind bereits Restaurants und Kneipen, Kultur- und Sportstätten geschlossen. Zudem gilt eine nächtliche Ausgangssperre. Spanien hat einen Coronanotstand bis Mai 2021 ausgerufen. In Österreich sollen morgen weitere Schritte besprochen werden.
US-Präsident Donald Trump fährt hingegen eine ganz andere Linie. „Wir werden nie wieder einen Lockdown machen“, verkündete Trump gestern bei einem Wahlkampfauftritt in Florida. Er nahm dabei auch ausdrücklich Bezug auf die in Deutschland und Frankreich angekündigten Einschränkungen. Auch in den USA gab es zuletzt wieder einen Anstieg, es wurden rund 79.000 Infektionen an einem Tag registriert. Trump beharrt indes darauf, dass man bald über den Berg sein werde.
WHO warnt vor negativen Nebeneffekten
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte unterdessen vor negativen Nebeneffekten landesweiter Lockdowns im Kampf gegen die Pandemie.
Zwar könnten strikte Beschränkungen helfen, Ansteckungsketten zu unterbrechen und zur Erholung des Gesundheitswesens beitragen, erklärte der Europadirektor der Organisation, Hans Kluge. Allerdings habe dies seinen Preis: So sei bei strikten Lockdownmaßnahmen mit einem Anstieg bei psychischen Erkrankungen und häuslicher Gewalt zu rechnen.
Der WHO-Experte betonte zugleich, dass Europa wieder zum Zentrum der Pandemie geworden sei. Auch die Todesfallrate sowie die Zahl der Krankenhaus-Patienten steige wieder an.
Eine weitere Ausweitung der Testkapazitäten in größerem Stil sei angesichts der massiven Ausbreitung des Virus nicht mehr möglich, erklärte Kluge. „Wir müssen eruieren, worauf wir unsere Ressourcen konzentrieren sollten.“ Dazu gehöre es, die Strategie beim Testen und der Kontaktverfolgung „anzupassen“. Beides müsse „gezielt“ geschehen, damit eine „maximale Wirkung“ gewährleistet sei.
Das Europadirektorat der WHO umfasst 53 Länder, darunter auch Russland und mehrere postsowjetische Staaten in Zentralasien. Bis gestern wurden in der Region nach WHO-Angaben mehr als zehn Millionen Coronafälle nachgewiesen.
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