Ausland

Syrienhilfe wird eingeschränkt verlängert

  • Montag, 13. Juli 2020
/picture alliance, Anas Alkharboutli
/picture alliance, Anas Alkharboutli

New York – Nach langem Ringen hat sich der UN-Sicherheitsrat doch noch auf eine ein­ge­schränkte Fortsetzung der humanitären Syrienhilfe geeinigt. Die Lösung, die einem Sieg Russlands gleichkommt, könnte jedoch nach Einschätzung von Hilfsorganisationen die Versorgung von Millionen Notleidenden gefährden.

Das mächtigste UN-Gremium stimmte vorgestern für einen deutsch-belgischen Resolu­ti­onsvorschlag bei Enthaltung unter anderem von Russland und China. Die angenommene Regelung sieht vor, dass es für Hilfslieferungen nach Nordsyrien nur noch einen Grenz­über­gang aus der Türkei gibt, zuletzt waren es zwei. Die Regelung soll für ein Jahr gelten.

Das entspricht in einem Kernpunkt den Forderungen Russlands. Moskau – einer der wich­tigsten Verbündeten Syriens – hatte in den vergangenen Tagen mehrere deutsche Vor­schläge mit zwei Grenzübergängen gemeinsam mit China durch Vetos verhindert.

Deutschlands Außenminister Heiko Maas zeigte sich angesichts der Einigung trotzdem er­leichtert. UN-Generalsekretär António Guterres habe die Einigung „zur Kenntnis ge­nomm­en“, hieß es in der Nacht zu gestern von seinem Sprecher. Er wiederhole aber seine Forderung an alle Beteiligten des Konflikts, den humanitären Zugang zu allen Bedürfti­gen im Einklang mit internationalem humanitärem Recht sicherzustellen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, äußerten ihre „tiefe Sorge“ darüber, dass wegen der wiederholten Vetos Russlands und Chinas nur noch ein Übergang für UN-Hilfslieferungen offen sei.

Hintergrund ist eine seit 2014 bestehende UN-Resolution, die in der Nacht zu vorgestern nach sechs Jahren zunächst ausgelaufen war. Sie erlaubte es den Vereinten Nationen, wichtige Hilfsgüter über Grenzübergänge auch in Teile Syriens zu bringen, die nicht von der Regierung kontrolliert werden.

Nach russischem Widerstand wurden die einst vier Übergänge Anfang des Jahres bereits auf zwei reduziert – seitdem hat sich die Versorgungslage für einige Regionen Hilfsorga­ni­sationen zufolge deutlich verschlechtert.

Sorge wegen Engpass

Die Engpässe könnten sich mit der Einigung von vorgestern verschärfen, denn im Nord­wes­ten Syriens sind nach UN-Angaben 2,8 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe an­ge­wiesen. „Beide Grenzübergänge sind erforderlich, um die Lieferung aufrechtzuerhal­ten“, hatte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock Ende Juni vor dem Sicherheitsrat ge­sagt. Der Übergang Bab al-Salam, der nun geschlossen wird, hätte den direkten Zugang in eine Region mit einer der höchsten Zahlen an Vertriebenen gesichert.

Syrien betont immer wieder, dass die Lieferungen auch dort agierenden Terroristen zukä­men. Mit Terroristen meint die syrische Führung alle, die sich gegen sie gestellt haben wie beispielsweise Rebellengruppen.

Außenminister Maas bezeichnete es als „gute Nachricht für Millionen von Menschen“, dass der Kompromissvorschlag angenommen wurde. Das sahen die meisten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in einer hitzigen Diskussion nach der Annahme der Resolution anders.

Deutschlands Botschafter Christoph Heusgen, der die Verhandlungen geleitet hatte, gab den Vertretern Russlands und Chinas eine Nachricht für ihre Regierungen mit: „Sagt ih­nen, dass der deutsche Botschafter fragt, ob die Leute, die die Anweisungen dafür gege­ben haben, 500.000 Kindern die Hilfe zu entziehen, morgen noch in den Spiegel gucken können“.

Zuvor hatte der russische Vertreter Dmitri Poljanski Deutschland und Belgien Heuchelei vorgeworfen. Beide hätten bei den Verhandlungen ungeschickt und respektlos gehandelt. Ein chinesischer Diplomat sagte: „Botschafter Christoph, wir brauchen ihre Vorhaltungen nicht“. Die Vertreter der USA und Großbritanniens äußerten sich enttäuscht über den Kompro­miss, der den Bedürfnissen der syrischen Bevölkerung nicht gerecht werde.

Kritik an der Entscheidung in New York kam von der Hilfsorganisation „Save the Children“. „Dies ist nicht die Zeit, Hilfe zu reduzieren“, sagte ihr Leiter Inger Ashing. „Während die Ver­längerung um zwölf Monate statt sechs willkommen ist, ist es inakzeptabel, dass es jetzt nur einen nutzbaren Grenzübergang gibt.“

Das Leben von Millionen syrischer Kinder hänge von dieser Rettungsleine ab, nun müss­ten sie die Konsequenzen ertragen. Ashing forderte den Sicherheitsrat auf, die Entschei­dung zu ändern. Das Gremium müsse „aufhören, Politik zu spielen und das Leben von Kindern an erste Stelle setzen“.

Die Einigung im Sicherheitsrat habe einen „faden Beigeschmack“, sagte der außenpoli­ti­sche Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. „Russland und China ha­ben auf menschenverachtende Weise geopolitische Interessen durchgesetzt.“ Omid Nou­ri­pour, Sprecher für Außenpolitik bei den Grünen, kommentierte, die Einigung sei „besser als nichts“, er kritisierte Russlands Verhalten als „zynisch“.

Russland hatte in den schwierigen Verhandlungen der vergangenen Wochen eine stärkere Verhandlungsposition und machte deutlich, dass es auch ein Scheitern der Verlängerung der humanitären Hilfe in Kauf nehmen würde – das wollte Deutschland auf jeden Fall vermeiden.

Moskau verfolgt den Ansatz, den Mechanismus wegen des wachsenden Einflusses der syri­schen Regierung schrittweise auslaufen zu lassen. Die Einstellung oder Beschneidung der UN-gesteuerten Hilfe würde die Position von Moskaus verbündeten Machthaber Ba­schar al-Assad nach Einschätzung von Beobachtern stärken.

Seit Ausbruch des Syrienkriegs im März 2011 sind Schätzungen zufolge mindestens 500.000 Menschen ums Leben gekommen. Die Regierungsanhänger kontrollieren mittler­weile wieder rund zwei Drittel des Landes, darunter die großen Städte. Zu einer schweren Wirtschaftskrise kommt in dem Land momentan noch die Coronagefahr. In Idlib gaben die örtlichen Gesundheitsbehörden gerade den Nachweis eines ersten registrierten Falls von SARS-CoV-2 bekannt.

dpa

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