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Weltbio­diversitätsrat: Krisen nur gemeinsam zu lösen

  • Mittwoch, 18. Dezember 2024
/lukbar, stock.adobe.com
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Windhuk – Der Biodiversitätsverlust, Wasser- und Ernährungsunsicherheiten und der Klimawandel bedingen sich gegenseitig und beeinflussen die menschliche Gesundheit immens. Ökologische, soziale und wirtschaftliche Krisen sind so eng miteinander verknüpft, dass sie nur gemeinsam gelöst werden können. Davon zeugen zwei Berichte des Weltbiodiversitätsrats der Vereinten Nationen (IPBES).

Bisherige Versuche, derartige Krisen getrennt zu bewältigen, hätten sich als unwirksam und kontraproduktiv erwiesen. Dies habe unter anderem zu uneinheitlicher Politikgestaltung geführt, erklären die Autoren des gestern erschienenen „Nexus-Report“.

Den Report hatte ein Treffen mit Vertretern der 147 IPBES-Mitgliedstaaten in Namibias Hauptstadt Windhuk gebilligt. 165 Experten aus 57 Ländern untersuchten dafür mehr als 70 spezifische Szenarios zur Maximierung der Krisenbewältigung in fünf Bereichen: biologische Vielfalt, Wasser, Ernährung, Gesundheit und Klimawandel.

Die Experten und Expertinnen kommen zu zwei wichtigen Erkenntnissen: So bestehe „die reale Gefahr, dass wir eine Krise lösen, indem wir die anderen verschlimmern", betonte eine der leitenden Mitautorinnen, Paula Harri­son. Gleichzeitig gibt es aber auch Lösungen, die sich auf alle Krisen anwenden lassen.

Korallenriffe sind laut dem Bericht durch die Erderwärmung und die Überfischung und Verschmutzung der Ozeane bedroht und gehören zu den weltweit am meisten gefährdeten Ökosystemen. Der in den kommenden Jahrzehnten drohende Verlust hat demnach Auswirkungen auf rund eine Milliarde Menschen, denen die Riffe entweder als Nahrungsquelle, als Einkommensquelle durch den Tourismus oder als Schutz vor Stürmen dienen.

„Aber selbst wenn das Klimaproblem gelöst würde, würden die Korallenriffe weiterhin von Umweltverschmut­zung, Überfischung und anderen Bedrohungen betroffen sein“, betont die leitende Co-Autorin Pamela McElwee.

Ebenso kann das Pflanzen von Bäumen zur Reduzierung von klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid dem örtlichen Ökosystem schaden, wenn die Arten falsch ausgewählt werden, oder die landwirtschaftlichen Flächen verringern. Der Bau von klimafreundlichen Windkraftanlagen kann den Experten zufolge negative Auswirkungen auf die Sterb­lichkeit von Vögeln und Fledermäusen haben.

Bilharziose mit Umweltschutzmaßnahmen bekämpfen

Ein weiteres Beispiel ist die parasitäre Wurmerkrankung Bilharziose, von der weltweit mehr als 200 Millionen Menschen betroffen sind, vor allem in afrikanischen Ländern. Wenn Bilharziose ausschließlich als gesundheit­liche Herausforderung mit Medikamenten behandelt werde, trete sie häufig wieder auf, da sich Menschen erneut infizierten, so die Autoren des Berichts.

Ein innovatives Projekt im westafrikanischen Senegal habe mit einem umfassenderen Ansatz beachtliche Erfolge erzielt: Es konzentriere sich auf die Verringerung der Wasserverschmutzung und die Beseitigung invasiver Wasser­pflanzen.

Damit reduziere sich der Lebensraum der Schnecken, die die parasitären Würmer beherbergen, die Bilharziose auf Menschen übertragen. Im Ergebnis sei die Zahl der Infektionen bei Kindern um 32 Prozent zurückgegangen. Zudem habe sich der Zugang örtlicher Gemeinden zu Süßwasser verbessert und damit neue Möglichkeiten für Einkünfte geschaffen.

Allerdings gibt es auch Lösungen, die sich positiv auf alle Krisen auswirken: Dazu gehört laut McElwee zum Bei­spiel die Ausweisung von Meeresschutzgebieten. „Diese Gebiete haben die Artenvielfalt erhöht, den Fischreich­tum zur Ernährung der Bevölkerung gesteigert, das Einkommen der lokalen Gemeinschaften verbessert und oft auch die Einnahmen aus dem Tourismus gesteigert", betont sie. Auch die Reduzierung des Fleischkonsums kann demnach eine Vielzahl positiver Effekte haben.

Hier setzt auch der zweite, heute veröffentlichte Bericht an. Der „Transformative Change Report“ plädiert für ein fundamentales Umdenken, in dem, wie Menschen die Natur sehen und mit ihr interagieren, um den Biodiversi­täts­verlust aufzuhalten. Die 100 Autoren empfehlen fünf Strategien für einen transformativen Wandel.

Neue Sicht auf die Natur gefordert

Es brauche neue Ansichten und Werte, um die Verflechtung von Menschen und Natur zu erkennen. „Die Verbesse­rung der Sichtbarkeit erwünschter Verhaltensweisen und deren Unterstützung durch gezielte politische Maßnah­men können neue soziale Normen und Verhaltensweisen anstoßen und unterstützen“, erklären die Forschenden.

Zudem müsse die biologische Vielfalt in vielen Sektoren mitgedacht werden: „Infrastruktur und Stadtentwick­lung, Bergbau und fossile Brennstoffe tragen erheblich zu den schlechtesten Ergebnissen für die Natur bei“, so Lucas Garibaldi von der Nationaluniversität in Río Negro. Für den Menschen und die Natur wertvolle Orte müssten wiederhergestellt werden.

Ein Wandel würde nicht nur Kosten verursachen. Die Autoren sehen darin die Möglichkeit für neue Geschäfts- und Innovationsmodelle. „Jüngsten Schätzungen zufolge könnten bis zum Jahr 2010 weltweit mehr als zehn Billio­nen Dollar an Geschäftsmöglichkeiten und 395 Millionen Arbeitsplätze weltweit bis 2030 geschaffen werden könnten“, erklären die Autoren.

Forschende aus Deutschland erläuterten, wie wichtig es sei, dass Umweltkrisen thematisiert und bekämpft würden. Allerdings liefere der Bericht keine konkreten Handlungsanweisungen.

„Es scheint mir wichtig, einen Bericht wie den vorliegenden Bericht des IPBES nicht als Handlungsanleitung zu verstehen, sondern als Orientierungsgeber“, sagte Thomas Bruhn, Forschungsgruppenleiter „Transformative Räume und Mindsets“, Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS), Potsdam. Er ist der Meinung, dass im Bericht zu wenig beleuchtet sei, wie Profiteure des Satus Quo konstruktiv in eine Transformation integriert werden können.

„Grundlegendes, das wir als Gesellschaft und die Politik verstehen und anerkennen müssen: Wir haben in einer Zukunft ohne Natur und deren Schutz keine Chance, zu überleben. Der Erhalt der Biodiversität ist existenziell“, sagte Marion Mehring, Leiterin der Forschungsfelds Biodiversität und Gesellschaft, Institut für sozial-ökologische Forschung GmbH (ISOE), Frankfurt am Main. Man müsse Natur und Gesellschaft wieder näher zusammenbringen. Wie genau der transformative Prozess ablaufen solle, werde allerdings zu wenig beleuchtet.

Auch aus der deutschen Politik kamen Reaktionen zu den IPBES-Empfehlungen: „Die Berichte des Weltbiodiversi­tätsrates sind Rückenwind für eine starke Forschung, auch bei uns in Deutschland, damit wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen auch in den nächsten Jahrzehnten sichern können“, sagte Bundesforschungsminister Cem Özdemir (Grüne).

Die gesellschaftliche und politische Relevanz beider Berichte könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). „Bei den sich gegenseitig verstärkenden Umweltkrisen ist dringender Handlungsbedarf angezeigt“.

Bei internationalen Konferenzen zum Schutz der Umwelt findet sich allerdings häufig weniger Einigkeit. Oftmals stehen sich die Interessen der reichen Industrienationen denen der besonders betroffenen Länder des Globalen Südens entgegen.

Auch bei der UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan, der UN-Artenschutzkonferenz in Kolumbien und bei den Ver­handlungen über ein internationales Abkommen zur Verringerung von Plastikmüll in Südkorea hatten die teil­nehmenden Länder Mühe, einen Konsens zu finden.

Die UN-Artenschutzkonferenz geht im Februar in eine zweite Runde. Ziel ist eine Einigung in Finanzierungs­fragen. Wissenschaftlerin McElwee sagte nun, es sei ein „großes Unterfangen", die Regierungen davon zu über­zeugen, mehrere Krisen auf einmal anzugehen.

Erste Schritte für mehr Artenschutz sind in Deutschland zu verzeichnen. So hat der Bund heute eine nationale Strategie zum Schutz der Artenvielfalt beschlossen.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt laut IPBES in Gebieten, die am stärksten vom Rückgang biolo­gischer Vielfalt, Wasserverfügbarkeit und -qualität sowie Ernährungssicherheit betroffen sind und in denen Gesundheitsrisiken und negative Auswirkungen des Klimawandels zunehmen. Dazu gehörten vor allem Ent­wicklungsländer einschließlich kleiner Inselstaaten sowie indigene Völker.

dpa/afp/mim

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