RKI-Analyse: Skiurlaub und Bierfeste befeuerten Corona-Ausbreitung in Tirschenreuth

Tirschenreuth – Im Landkreis Tirschenreuth in der Oberpfalz hatte das Coronavirus besonders viel Schaden angerichtet. Eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts (RKI) bringt das explosive Ausbruchsgeschehen maßgeblich mit 2 Bierfesten in der Region und Skiurlauben in Österreich und Italien in Zusammenhang.
Doch nicht nur die hohen Infektionszahlen, auch die im Vergleich zum Bundesdurchschnitt hohe Fallsterblichkeit hatte für Aufsehen gesorgt. Hier sieht das RKI die Ursache im höheren Alter der Erkrankten und einer überdurchschnittlich hohen Prävalenz von Vorerkrankungen in der Bevölkerung. Zudem gehen die Epidemiologen davon aus, dass die Fallsterblichkeit in dem nordostbayrischen Landkreis aufgrund der dort gefahrenen Teststrategie überschätzt wurde.
33 von 98 befragten Infizierten waren dem gestern veröffentlichten Bericht des RKI zufolge entweder kurz zuvor im Skiurlaub in Österreich oder Italien gewesen, hatten an einem Starkbierfest in der Stadt Mitterteich (Landkreis Tirschenreuth) oder an einem anderen Bierfest (Zoigl, ebenfalls in Mitterteich) teilgenommen.
„Ein Zusammenspiel dieser 3 Faktoren, zu einem Zeitpunkt, als noch kein einziger Fall aus dem Landkreis gemeldet worden war, scheint wahrscheinlich als Ursache für die rasante Ausbreitung des neuen Coronavirus in der Stadt Mitterteich und daraufhin im gesamten Landkreis“, heißt es in der Studie des RKI. Andererseits seien die Faktoren als Erklärung für die starke Ausbreitung im Landkreis Tirschenreuth nicht ausreichend.
Die Epidemiologen gehen deshalb davon aus, dass es schon in der Phase vor dem starken Anstieg der Infektionskurve unerkannte COVID-19-Fälle gegeben haben muss, die zur Verbreitung beigetragen haben.
Tirschenreuth war einer der aufsehenerregendsten Hotspots der frühen Coronawelle in Deutschland. Am 10. März war der erste Fall registriert worden, binnen einer Woche stieg die Zahl der bestätigten Fälle auf 42. Am 18. März wurden für die Stadt Mitterteich die bundesweit ersten Ausgangsbeschränkungen verhängt. Am 1. April war mit 103 gemeldeten Fällen an nur einem Tag der Höhepunkt erreicht.
Bis zum 11. Mai waren insgesamt 1.122 Fälle bestätigt, 129 Patienten starben. Im Kreis Tirschenreuth leben insgesamt rund 72.000 Menschen. Die hohe Zahl der COVID-19-Verstorbenen erregte Besorgnis bei Behörden, Bürgern und Öffentlichkeit. Die Fallsterblichkeit von 11,5 Prozent war im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt von 4,4 Prozent stark erhöht.
Tirschenreuther Patienten waren älter und kränker
Eine wichtige Rolle spielte hier offenbar, dass die Betroffenen in Tirschenreuth älter waren als der Durchschnitt in Deutschland. Mit median 56 Jahren waren die Erkrankten signifikant älter als im übrigen Bayern (50 Jahre), im übrigen Deutschland (50 Jahre) oder auch im Kreis Heinsberg (52 Jahre), einem anderen Coronahotspot.
Hinzu kam, dass in Tirschenreuth 68 % der COVID-19-Patienten mindestens eine relevante Vorerkrankung aufwiesen, während dies in Gesamtdeutschland nur bei 45 % der Fall ist.
„Zusammengenommen kann das hohe Alter der COVID-19-Fälle in Tirschenreuth und die hohe Prävalenz relevanter Vorerkrankungen die hohe Fallsterblichkeit zumindest teilweise erklären“, schreiben die RKI-Autoren in ihrem Bericht. Verschärft worden sei das Geschehen durch Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen.
Hohe Fallsterblichkeit möglicherweise überschätzt
Die hohe Todesrate von 11,5 % der gemeldeten Infizierten müsse zum Teil aber wohl auch durch eine hohe Dunkelziffer erklärt werden. In Tirschenreuth sei zwar 2,2-mal so viel getestet worden wie im restlichen Deutschland, aber es seien auch 3-mal so viele der Tests positiv ausgefallen, so die RKI-Autoren.
Das deute auf ein großes Ausbruchsgeschehen hin, welches trotz der vielen Testungen nicht in seiner Gesamtheit erfasst werden konnte. Zudem seien vorwiegend symptomatische beziehungsweise akut erkrankte Personen getestet worden.
Die Autoren kommen deshalb zu dem Fazit, dass die hohe Fallsterblichkeit in Tirschenreuth auch auf eine signifikante Unterschätzung der COVID-19-Inzidenz zurückzuführen gewesen sei.
Um den Ausbruch in Tirschenreuth sowie den Umgang des Landratsamtes mit der Situation hatte es mediale und juristische Auseinandersetzungen gegeben. So musste sich beispielsweise die Regionalzeitung Frankenpost vor Gericht erstreiten, die aktuellen Zahlen aller positiv auf Corona getesteten Personen im Landkreis, den Städten und Gemeinden mitgeteilt zu bekommen.
Das Verwaltungsgericht Regensburg hatte das Landratsamt letztendlich dazu Mitte Juni verpflichtet. Die Redaktion der Frankenpost berichtete über Wochen über eine „Mauer des Schweigens“ seitens des Landradsamtes. Auch die Wochenzeitung ZEIT berichtete über komplizierte Recherchen zum Ausbruchsgeschehen in Tirschenreuth.
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