Studie mit Bias: Hohe Rate an Antikörperpositivität in der Region Tübingen

Tübingen – In einer Kohorte von mehr als 6.700 Personen aus der Region Tübingen wiesen 8,8 % der Probanden Antikörper gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auf. Diese Rate liegt deutlich höher als in anderen regionalen Stichproben. Die Untersucher gehen deshalb von einer positiven Selektion der getesteten Personen aus.
„Die Zahlen sind nicht repräsentativ und können nicht auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet werden“, betonte Dirk Biskup von der Firma CeGaT, der die Ergebnisse heute bei einer Pressekonferenz vorstellte.
Seit dem 11. Mai bietet das Unternehmen in Kooperation mit der Stadt Tübingen und gefördert durch das Land Baden-Württemberg Antikörpertests auf SARS-CoV-2 an. Jeder Bürger, der sich testen lassen möchte, kann vor Ort zur Blutentnahme erscheinen. Darüber hinaus ist ein mobiler Blutentnahmeservice unterwegs und Ärzte können sich das Test-Kit in die Praxis bestellen. Die Kosten von circa 25 Euro werden nicht von der Krankenkasse erstattet.
Im Zeitraum vom 11. bis 22. Mai wurden 6.776 Personen getestet. Bei 596 von ihnen (8,8 %) konnten Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen werden. Da IgG-Antikörper in der Regel erst 14 Tage nach der Infektion mit dem Virus gebildet werden, spiegelt die Testreihe das Infektionsgeschehen von etwa Anfang bis Mitte Mai wieder.
Die Personen, die freiwillig zur Blutentnahme erschienen, seien darauf hingewiesen worden, dass der Test bei akuten Symptomen oder erst kurz zurückliegenden Symptomen keinen Sinn ergebe, überprüft worden sei dies aber nicht, so Biskup.
Der Antikörpertest des Tübinger Unternehmens testet auf IgG-Antikörper, die an die S1-Domäne des Spike-Protein von SARS-SoV-2 binden. „Dieser Bereich ist am unähnlichsten zu anderen Coronaviren“, erklärte Biskup die Auswahl des Antigens für den Test. Die Kreuzreaktivität mit saisonalen Coronaviren kann bei der Durchführung von Antikörpertests zu falsch positiven Ergebnissen führen, wenn der Proband zum Beispiel kürzlich eine Erkältung durchgemacht hat.
Stichprobe nicht zufällig ausgewählt
Aus Gesprächen mit den zum Test kommenden Personen wisse man, so Biskup, dass insbesondere Personen mit zurückliegenden unklaren Symptomen oder zurückliegenden Reisen in Risikogebiete, motiviert sind, einen Antikörpertest durchführen zu lassen. Aufgrund dieses Positiv-Bias „stellen die Zahlen keine repräsentative Erhebung des Immunstatus der lokalen, regionalen oder bundesweiten Bevölkerung dar“, betonte er.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer wies deshalb auf die Notwendigkeit hin, Antikörpertests nun auch noch in Zufalls-Stichproben durchzuführen, um einen eventuellen Bias zu verhindern.
Inwiefern das Vorhandensein von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 mit einem Schutz vor Neuinfektionen einhergeht, ist derzeit noch unklar. „Experten gehen von einer Immunität aus“, sagte Biskup und verwies auf Veröffentlichungen in Cell und Science. Wie lange die Immunität anhalte, sei noch unbekannt, es gebe aber keinen Grund, anzunehmen, dass dies bei SARS-CoV-2 ein signifikant kürzerer Zeitraum sei als bei vergleichbaren Infektionskrankheiten.
Ein entscheidender Faktor für die Qualität von Antikörpertests ist ihre Spezifität. Die meisten (guten) Tests, die in den vergangenen Wochen zunehmend auf den Markt drängen, versprechen hier Werte über 99 %. Auch der in Tübingen verwendete Test weist eine Spezifität in diesem Bereich auf.
Falsche Ergebnisse sind möglich
„Dennoch sind falsche Ergebnisse möglich, es bleibt immer ein Restrisiko“, so Biskup. Dies gilt für alle Antikörpertests und insbesondere, wenn eine Erkrankung, so wie COVID-19, eine geringe Inzidenz in der Bevölkerung aufweist. Neben der Kreuzreaktivität mit anderen Coronaviren spielt hier auch eine Rolle, dass manche Patienten zwar eine Infektion durchgemacht haben, aber nicht persistierend Antikörper produzieren.
Weshalb dies der Fall ist, ist derzeit noch unbekannt. Allerdings gebe es neben der humoralen Immunantwort auch noch die zelluläre, erklärte CeGaT-Mitgründerin Saskia Biskup. Sie geht davon aus, dass derzeit laufende Studien zeigen werden, dass diese Patienten zwar keine Antikörper, aber T-Zellen haben.
Doch derartige Untersuchungen sind außerhalb von Studien noch nicht verfügbar. Und bei Antikörpertests müsse immer zwischen „Verfügbarkeit, Durchsatz und Kosten“ abgewogen werden, erklärte Dirk Biskup. Ideal wäre es, bei allen Probanden einen vollständigen Neutralisationstest durchzuführen, doch „das würde man nicht für 25 Euro bekommen auch nicht im Hochdurchsatzverfahren“.
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