Medizin

Studie: Neue SARS-CoV-2-Variante aus England zu 56 % ansteckender

  • Montag, 28. Dezember 2020
Eine Mutation des SARS-CoV-2 aus Großbritannien ist Forschern zufolge 56 Prozent ansteckender als die bislang bekannten Varianten. /picture alliance/dpa/NIAID-RML/AP
Eine Mutation des SARS-CoV-2 aus Großbritannien ist Forschern zufolge 56 Prozent ansteckender als die bislang bekannten Varianten. /picture alliance/dpa/NIAID-RML/AP

London – Die neue Variante VOC 202012/01 ist nach Berechnungen von britischen Mathematikern zu 56 % ansteckender als die bisher dominierenden Stämme von SARS-CoV-2, und sie werden vermutlich noch im Januar die Epidemie in Südengland dominieren. Dies ergibt sich aus einem Szenarium des Center for Mathematical Modeling of Infectious Diseases (CMMID) an der London School of Hygiene and Tropical Medicine.

Der neue Stamm VOC 202012/01, der durch 17 genetische Veränderungen (14 Punktmutationen mit Austausch einer Aminosäure und 3 Deletionen) gekennzeichnet ist, hat sich im Südosten Englands stark ausgebreitet. Nicholas Davies und Mitarbeiter des CMMID konnten die zeitliche Entwicklung rekon­struieren, weil eine der drei relevanten Änderungen (vermutlich die Deletion der Aminosäuren 69 und 70) dazu geführt hat, dass der Nachweis des Spike-Proteins in Abstrichen negativ ausfällt, während zwei andere Genabschnitte weiterhin von der Polymerase-Kettenreaktion erkannt werden. Der Anteil dieser diskrepanten Ergebnisse ist im Südosten Englands teilweise auf mehr als 50 % angestiegen.

Dies kann verschiedene Ursachen haben. Neben der erhöhten Infektiosität könnte sich das Virus auch dem Zugriff der Antikörper entzogen haben. Dann wäre der Anstieg mit auf die vermehrte Reinfektion von Personen zurückzuführen, die schon einmal mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Dieses Szenario wäre ein schlechtes Omen für die Wirksamkeit des Impfstoffes) Die Fallzahlen hätten sich dann jedoch anders entwickelt, schreibt Davies, der deshalb dieses Szenarium ausschließt – wie auch die meisten anderen Experten versichern, dass die derzeitigen Impfstoffe vor VOC 202012/01 schützen.

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass sich Kinder leichter mit der neuen Variante anstecken. Auch das deckt sich laut Davies nicht mit den verfügbaren Daten. Der Mathematiker geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche weiterhin nur halb so empfänglich für eine Infektion sind wie Erwachsene. Die dritte von Davies widerlegte Hypothese ist eine verkürzte Generationszeit des Virus, also die Dauer zwischen zwei aufeinander folgenden Ansteckungen. Auch das deckt sich laut Davies nicht mit den Daten.

Die beste Übereinstimmung ergab sich mit der Hypothese, dass VOC 202012/01 ansteckender ist als frühere Varianten von SARS-CoV-2. Dies würde auch die höheren Viruskonzentrationen in den Abstrichen erklären – erkennbar an der geringeren Zahl von Zyklen der Polymerase-Kettenreaktion bis zum erkennbaren Signal. Die Ansteckungsrate von VOC 202012/01 ist laut Davies um 56 % (95-%-Konfidenzintervall 50 bis 74 %) höher als bei den anderen SARS-CoV-2.

Dies werde dazu führen, dass die Infektionszahlen steigen und die Gegenmaßnahmen verstärkt werden müssten. In England gibt es vier Stufen („Tier“). Unter der höchsten Stufe „Tier 4“ darf die Bevölkerung den Wohnort nur in begründeten Fällen verlassen. Sie dürfen in Innenräumen keine anderen Personen treffen, auch nicht über Weihnachten und Neujahr. Im Freien dürfen Sie nur eine Person aus einem anderen Haushalt zusammen kommen.

Seit dem 20. Dezember gilt „Tier 4“ in 3 Regionen Englands. Dies wird nach den Berechnungen von Davies nicht ausreichen, einen weiteren Anstieg der Fallzahlen zu verhindern. Für den Süden und Osten Englands sowie für London erwartet er für Februar einen weiteren Gipfel, im Rest des Landes könnten die Erkrankungszahlen im Sommer ihren Höhepunkt erreichen. Selbst im Fall eines landesweiten „Tier 4“-Lockdowns wäre der Bedarf an Intensivbetten höher als bei der ersten Welle (113 %).

Eine Entlastung könnte sich durch vermehrte Impfungen ergeben. Es müssten allerdings rasch viele Menschen geimpft werden. Bei 200.000 Impfungen pro Woche würde der Bedarf an Intensivbetten nur auf 104 % (82 bis 148 %) steigen. Erst ab 2 Millionen Impfungen pro Woche wäre mit einem sicheren Rückgang auf 84 % (75 bis 91 %) zu rechnen.

rme

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