Studie: Symptom-Screening kann Epidemie in Pflegeheimen nicht verhindern
Atlanta/Georgia − Die Aufarbeitung eines Ausbruchs in einer US-Pflegeeinrichtung zeigt, wie rasch sich SARS-CoV-2 unter älteren multimorbiden Heimbewohnern ausbreiten kann. Wesentlichen Anteil an der Dynamik hatte laut einem Bericht der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) im New England Journal of Medicine (2020; DOI: 10.1056/NEJMoa2008457) der hohe Anteil von asymptomatischen und präsymptomatischen Infektionen unter den Bewohnern.
In dem Pflegeheim im King County im US-Staat Washington, dem ersten Epizentrum der Epidemie in den USA, wurde am 29. Februar begonnen, das Pflegepersonal auf mögliche Anzeichen und Symptome von COVID-19 hin zu untersuchen. Schon am nächsten Tag, dem 1. März, wurde ein Mitarbeiter positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Der Mitarbeiter litt seit dem 26. Februar unter Symptomen. Er war danach 2 Tage zur Arbeit erschienen. Melissa Arons und das COVID-19 Investigation Team der CDC aus Atlanta gehen davon aus, dass der Mitarbeiter das Virus eingeschleppt hat.
Das Screening kam zu spät: Am 2. März erkrankte der erste Bewohner. Am 3. März wurde er getestet. Das Ergebnis am 4. März war positiv. Ab dem 5. März wurden alle Bewohner der Station mit Schutzkleidung (PPE) ausgerüstet, die Besuche eingeschränkt und alle Außentermine abgesagt. Doch das Virus hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Fuß gefasst. Am 8. März wurden 6 von 13 Bewohnern der Station positiv getestet, davon waren 2 ohne Symptome.
Am 13. März wurden dann in einer Punkt-Prävalenz-Studie alle 76 Bewohner der Einrichtung getestet. Die am 15. März vorliegenden Ergebnisse zeigten, dass 48 Bewohner (63 %) infiziert waren. Die PPE-Maßnahmen wurden auf alle Bewohner ausgeweitet. Doch die Epidemie war nicht mehr zu stoppen.
Arons führt dies darauf zurück, dass von den 48 in der Punkt-Prävalenz-Studie positiv getesteten Bewohnern nur 17 (35 %) Symptome von COVID-19 hatten. 4 weitere hatten atypische Symptome. Die übrigen 27 Patienten (56 %), also mehr als die Hälfte, waren beim Screening (noch) völlig ohne Beschwerden (24 erkrankten später, die anderen 3 blieben asymptomatisch).
Eine quantitative Analyse der Abstriche ergab, dass alle 4 Gruppen (die asymptomatischen Patienten, die präsymptomatischen Patienten, die Patienten mit atypischen und die Patienten mit typischen Symptomen) in etwa die gleiche Menge Viren über die Nase ausschieden. Maßstab war die Zahl der Zyklen (Ct) in der Polymerase-Kettenreaktion bis zum positiven Signal: Ein niedriger Ct-Wert zeigt eine höhere Konzentration von Virusgenen in den Abstrichen an.
Der Ct-Wert betrug bei den asymptomatischen Patienten im Durchschnitt 25,5 Zyklen, bei den präsymptomatischen Patienten 23,1 Zyklen, bei den Patienten mit atypischen Symptomen 24,2 Zyklen und bei den Patienten mit typischen Symptomen 24,8 Zyklen. SARS-CoV-2 wird demnach von asymptomatischen und präsymptomatischen Personen in gleicher Menge ausgestoßen wie von Patienten mit COVID-19.
Die Epidemie hat sich laut Arons im Heim rascher ausgebreitet als in der Umgebung. Die Verdopplungszeit der Infektionen betrug 3,4 Tage gegenüber 5,5 Tagen unter der übrigen Bevölkerung des King County. Die Erkrankungen verliefen häufig tödlich. Bis zum 3. April waren von 57 Bewohnern, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren, 15 gestorben (Case-Fatality-Rate 26 %). Weitere 3 befanden sich noch auf der Intensivstation einer Klinik.
Die Sequenzierung ergab, dass die Viren zu 2 Clustern mit einem Unterschied von einem Nukleotid gehörten. Das Virus war demnach von maximal 2 Personen eingeschleppt worden. Die Ergebnisse zeigen, dass ein klinisches Screening auf Fieber oder andere Symptome einen Ausbruch in einem Pflegeheim weder verhindern noch abschwächen kann. Nach Einschätzung von Arons sollten in den Einrichtungen immer auch asymptomatische Personen getestet werden.
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