Medizin

USA: Zahl der SARS-CoV-2-Infi­zierten liegt deutlich über den bestätigten Fällen

  • Donnerstag, 23. Juli 2020
/Kzenon, stockadobecom
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Atlanta –Labortests an Blutproben, die aus anderen Gründen an zwei Großlabors in den USA geschickt wurden, zeigen, dass sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 in der Bevölkerung weiter ausgebreitet hat, als die Zahl der bestätigten Fälle vermuten lässt. Von einer Herdenimmunität sind laut den in JAMA Internal Medicine (2020; doi: 10.1001/jamainternmed.2020.4130) veröffentlichten Zahlen auch Epizentren wie die Großstadt New York weit entfernt.

Die erste Infektionen mit SARS-CoV-2 wurde in den USA bereits am 20. Januar doku­mentiert. Die erste autochthone Infektion datiert vom 26. Februar. Seither hat sich das Virus stärker ausgebreitet als in anderen Ländern, da sich die freiheitsliebende Bevölkerung (und ihre politische Führung) nicht mit den Einschränkungen anfreunden kann, die Virologen für notwenig erachten.

Es ist der zentralen „Seuchenbehörde“ CDC in Atlanta bisher nicht gelungen, eine repräsentative Seroprävalenz-Studie zu organisieren. Stattdessen musste das Team um Fiona Havers vom „COVID-19 Response Team“ auf die Daten von Patienten zurückgreifen, bei denen aus anderen Gründen, etwa zur Kontrolle des Cholesterinwerts, Blutproben entnommen worden waren. Die Ergebnisse sind deshalb nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.

Die Blutproben von 16.025 Patienten wurden in den 10 untersuchten Regionen zudem während unterschiedlicher Zeiträume auf SARS-CoV-2 getestet, so dass sie ein verzerrtes Bild vom Verlauf der Epidemie geben. Zudem liegen die Untersuchungs­zeiträume (23. März bis 12. Mai) schon länger zurück, so dass die Zahlen die aktuelle Situation nicht widerspiegeln. Die CDC kündigte allerdings an, die Seroprävalenz-Studie in Zukunft alle 3 bis 4 Wochen zu wiederholen.

Die jetzt vorgestellten Zahlen zeigen, was Epidemiologen schon länger vermuten. Das Virus hat sich schneller ausgebreitet als die durch Abstriche dokumentierten Fälle vermuten lassen. Die Seroprävalenz reichte von 1,0 % im Großraum San Francisco (Tests vom 23. bis 27. April) bis 6,9 % in New York City (Tests vom 23. März bis 1. April). Pro Standort wurden damit 6 bis 24 Mal mehr Menschen infiziert, als die der CDC gemeldeten Fälle vermuten lassen.

Mittlerweile sind weitere Seroprävalenzstudien als Preprints veröffentlicht worden. Im Bezirk Santa Clara (Hauptstadt San José) hatten 5 Wochen nach der ersten Erkrankung 2,5 bis 4,2 % der Bevölkerung Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut. In New York City waren es bis zum 29. März 2,2 % und am 5. April 10,1 %. In einer weiteren Untersuchung aus dem Zeitraum 19. bis 28. April waren es sogar 22,7 %, die höchste bisher in den USA gemessene Prävalenz (Annals of Epidemiology 2020; DOI: 10.1016/j.annepidem.2020.06.004). Inzwischen sind 3 Monate vergangen.

Im ersten Epizentrum von COVID-19 in den USA ist die Zahl der gemeldeten Fälle seit Mai rückläufig. Dies ist nach Einschätzung der Epidemiologen jedoch dem Lockdown und der Vorsicht der Bevölkerung zu verdanken. Von einer Herdenimmunität dürfte New York City weit entfernt sein. Dazu müssen nach optimistischen Annahmen 60 bis 70 % der Bevölkerung Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickelt haben.

rme

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