Wie SARS-CoV-2 den Geruchssinn stört

Baltimore – Der Verlust des Geruchssinns, unter dem viele Patienten mit COVID-19 leiden, ist laut einer postmortalen Untersuchung in JAMA Neurology (2022; DOI: 10.1001/jamaneurol.2022.0154) auf eine Zerstörung der Axone als Folge der Entzündungsreaktion in der Schleimhaut zurückzuführen.
Anosmie, Hyposmie und Parosmie gehören zu den häufigsten Symptomen einer Infektion mit SARS-CoV-2. Die US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zählen die Riechstörungen wegen einer Prävalenz von bis zu 70 % sogar zu den Kardinalsymptomen von COVID-19.
Die Riechstörungen können frühzeitig auftreten und haben keinen direkten Zusammenhang mit dem Schweregrad der Erkrankung oder der Viruslast. Bei den meisten Patienten klingen die Symptome innerhalb von 3 bis 4 Wochen ab, andere leiden noch nach 12 Monaten unter einer anhaltenden olfaktorischen Beeinträchtigung.
Der Pathomechanismus ist nicht bekannt. Viele Experten vermuten eine direkte Schädigung des Riechnerven durch SARS-CoV-2. Dagegen spricht, dass bisher an keiner Stelle im Nervensystem eine Infektion von Neuronen nachgewiesen werden konnte, zu dessen Vorposten der Riechnerv gehört.
Ein Team um den Pathologen Cheng-Ying Ho von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore konnte jetzt das Riechepithel von 23 Personen untersuchen, die an COVID-19 gestorben waren, von denen 10 vor dem Tod an Riechstörungen in unterschiedlichem Ausmaß gelitten hatten. Zum Vergleich wurden 14 Personen untersucht, die aus anderen Gründen gestorben waren.
Die lichtmikroskopischen Befunde waren unauffällig. Erst in den elektronenmikroskopischen Aufnahmen wurden Schäden erkennbar. Sie betrafen einmal die Axone der Riechzellen, die die Signale von den Geruchsrezeptoren über die Lamina cribosa direkt in das Gehirn weiterleiten. Das Ausmaß der Axonschädigung war um so ausgeprägter je stärker die Geruchsveränderungen vor dem Tod waren.
Die Abbildungen zeigen eine beschädigte Ultrastruktur im Zellinneren sowie Defekte in den Myelinscheiden. Dies deutet darauf hin, dass die Axone nicht mehr in der Lage waren, die Signale von den Rezeptoren an das Gehirn weiterzuleiten.
Ho glaubt dennoch nicht, dass die Viren die Axone direkt geschädigt haben. Auf keinem der Bilder fand der Pathologe Viren oder Virusteile oder andere Hinweise auf eine Virusreplikation. Ho vermutet vielmehr, dass die Zerstörungen der Axone Folge einer Durchblutungsstörung in der Schleimhaut sind.
An kleineren Blutgefäßen fanden die Forscher Beschädigungen des Endothels, die bei COVID-19-Patienten auch an anderen Stellen des Körpers beschrieben wurden. Dazu gehören zytoplasmatische Schwellungen und ein subendotheliales Ödem, die das Lumen der Gefäße verengen und an einigen Stellen ganz verschließen. Letztlich könnte die Vaskulopathie die Durchblutung im Epithel so sehr gestört haben, dass es zum Absterben der Nervenzellen gekommen ist, die einen hohen Energiebedarf haben.
Eine Infektion der Endothelien war zwar nicht nachweisbar. Ho vermutet aber, dass die systemische Entzündungsreaktion, zu der es im Verlauf von SARS-CoV-2 kommt, für die Schäden verantwortlich ist.
Die Zerstörung der Axone erklärt, warum die Riechstörungen über das Ende der Infektion hinaus anhalten. Ob die Patienten sich langfristig erholen, dürfte von der Regeneration der Axone abhängen. Sie ist, wie etwa von der Zerstörung sensibler Nerven bekannt ist, möglich, kann jedoch längere Zeit dauern.
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