„Ärztinnen und Ärzte können auch weiterhin alle neu zugelassenen Arzneimittel verordnen“
Köln – Nach langer Vorbereitung startet im Januar 2025 das neue Verfahren zur europaweiten Nutzenbewertung neuer Arzneimittel: die EU-Health-Technology-Assessment-Bewertung (HTA-Bewertung). Die Leiterin des Bereichs Methodik und Koordination der europäischen Nutzenbewertung von Arzneimitteln im Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Regina Skavron, erklärt im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ), was sich dadurch für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ändert.

Fünf Fragen an Regina Skavron, Leiterin des Bereichs Methodik und Koordination der europäischen Nutzenbewertung von Arzneimitteln im IQWiG
Frau Skavron, was wird sich durch das neue EU-HTA-Verfahren im Vergleich zum derzeitigen deutschen Verfahren verändern?
Die Einführung von europaweiten HTA-Bewertungen – auch Joint Clinical Assessment, JCA, genannt – erfolgt gestaffelt: Im Januar 2025 startet es mit onkologischen Produkten und Arzneimitteln für neuartige Therapien, den ATMPs. 2028 kommen die Orphan Drugs hinzu und ab 2030 werden alle neu zugelassenen Arzneimittel auf europäischer Ebene gemeinsam bewertet. Bis es soweit ist, wird es ein Nebeneinander des deutschen AMNOG-Verfahrens und der europäischen Bewertung geben.
Während bisher im AMNOG-Verfahren ausschließlich Fragestellungen bearbeitet wurden, die für Deutschland relevant sind, werden im JCA gegebenenfalls auch weitere Fragestellungen angegangen, wenn es für andere EU-Staaten erforderlich ist. Dazu könnten Fragen zu einer eingeschränkten Patientenpopulation gehören.
Ziel des neuen Verfahrens ist es, die gemeinsame HTA-Bewertung im Anschluss an die Zulassung zeitnah in allen Mitgliedsstaaten gleichzeitig zur Verfügung zu stellen. Auf dieser Basis treffen die jeweiligen Länder auf nationaler Ebene anschließend Erstattungsentscheidungen. In einigen Ländern gibt es eine sogenannte Vierte Hürde, bei der nach der Zulassung auf der Basis des beobachteten Nutzens entschieden wird, ob das Arzneimittel ganz oder teilweise erstattet wird. Da für einige Länder bisher keine oder langsamere HTA-Bewertungen zur Verfügung standen, stellt die schnelle und gemeinsame Bewertung eine Verbesserung dar.
Was wird sich für Deutschland nicht verändern?
Im JCA sollen ausschließlich klinische Ergebnisse und keine Bewertungen dargestellt werden. Die Bewertung beziehungsweise die Einschätzung zum Zusatznutzen wird weiterhin auf nationaler Ebene erfolgen. Für Deutschland bedeutet dies, dass nach dem JCA noch eine deutsche Bewertung im AMNOG-Verfahren einschließlich Beschlussfassung erfolgt.
In diesem Zusammenhang bleiben auch Stellungnahmeverfahren und mündliche Anhörungen erhalten. Die Preisverhandlung zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und der gesetzlichen Krankenversicherung basiert weiterhin auf dieser nationalen Beschlussfassung. Ein Ausschluss oder eine Einschränkung der Erstattungsfähigkeit von neuen Arzneimitteln ist in Deutschland weiterhin nicht vorgesehen.
Was wird sich durch das neue Verfahren für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ändern?
Da keine Änderungen bei der Erstattungsfähigkeit vorgesehen sind, können in Deutschland tätige Ärztinnen und Ärzte auch zukünftig alle neu zugelassenen Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen. Auch die Ergebnisse der Beschlussfassung im nationalen Verfahren werden weiterhin in der Praxissoftware abrufbar sein. Die umfassende Veröffentlichung der klinischen Datenbasis sowie die detaillierte Beschreibung der Beweggründe der Entscheidung werden nach wie vor transparent im Internet veröffentlicht.
Auch im Hinblick auf die Nutzenbewertung neuer Arzneimittel haben die verschiedenen EU-Staaten unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse. Wie beurteilt Deutschland den am Ende gefundenen Kompromiss?
Die Spannbreite der methodischen Anforderungen an die Bewertungen in den unterschiedlichen europäischen Mitgliedsländern unterscheidet sich stark: Einige Länder führen bisher gar keine HTA-Bewertung durch, andere konzentrieren sich auf gesundheitsökonomische Analysen, die in Deutschland keine Rolle spielen.
Im Vorbereitungsprozess haben sich die Länder auf methodische Vorgaben einigen können, welche den verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden. In den wesentlichen Aspekten werden die bestehenden deutschen Standards erfüllt.
Das AMNOG-Verfahren ist bereits seit vielen Jahren in Deutschland etabliert. Sowohl die umfassende Veröffentlichung der klinischen Datenbasis als auch die detaillierte Beschreibung der Beweggründe ist ein hoch geschätztes Gut. Da diese Aspekte auch im europäischen Verfahren beziehungsweise in der anschließenden nationalen Beschlussfassung erhalten bleiben, ist diese wichtige Errungenschaft auch im EU-HTA sichergestellt.
Welches sind aus Ihrer Sicht die großen Probleme, denen sich Deutschland und die EU im Bereich der Arzneimittelversorgung derzeit gegenübersieht? Inwiefern kann die Arzneimittelstrategie der EU dabei helfen, diese Probleme zu lösen?
Sowohl für die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland als auch für alle anderen solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme in Europa stellen die zum Teil hochpreisigen neuen Arzneimittel eine Herausforderung dar. Die Erstattungsfähigkeit ist und bleibt eine nationalstaatliche Entscheidung, so dass die Zuständigkeit der EU hier eingeschränkt ist.
Im Zusammenhang mit dem EU-HTA-Verfahren kann die Arzneimittelstrategie die nationalen Gesundheitssysteme unterstützen, indem sie dafür sorgt, dass zeitgerecht ausreichend Evidenz für die Steuerung der Gesundheitssysteme zur Verfügung steht und so die verfügbaren Ressourcen bestmöglich für die Versorgung von Patientinnen und Patienten eingesetzt werden können.
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