Politik

Ampel-Koalition will Anbau und Vertrieb von Medizinalcannabis liberalisieren

  • Montag, 27. November 2023
/picture alliance, Zoonar, Jiri HERA
/picture alliance, Zoonar, Jiri HERA

Berlin – Herstellung und Vertrieb von Medizinalcannabis in Deutschland sollen erleichtert werden. Darauf haben sich die Parteien der Regierungskoalition geeinigt. Auch die Regeln für Anbau und Konsum von Can­nabis als Genussmittel sollen gelockert werden.

Die Regierungskoalition folgt Forderungen von Industrie und Medizinalcannabis­verbänden. Denn mit der ak­tuellen Situation ist kaum jemand zufrieden: 2019 hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro­dukte (BfArM) den Auftrag zum Anbau von 10,4 Tonnen Medizinalcannabis über eine Dauer von vier Jahren verteilt auf zehn Lose an drei Unternehmen vergeben.

Diese 2,6 Tonnen pro Jahr reichen jedoch nicht annähernd, um den hiesigen Bedarf zu decken. Allein 2019 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts mehr als neun Tonnen importiert. Das wollen SPD, Grüne und SPD nun ändern.

Medizinalcannabis soll künftig wie andere Arzneimittelpflanzen behandelt und marktwirtschaftlichen Mecha­nismen unterworfen werden. Statt wie bisher eine öffentliche Ausschreibung mit einer gedeckelten Menge durchzuführen, sollen Unternehmen selbstständig eine Herstellungserlaubnis beim BfArM beantragen und das Cannabis selbst vertreiben können.

Das geht aus den Änderungsanträgen zum Cannabisgesetz (CanG) hervor, die dem Deutschen Ärzteblatt vor­liegen. Die Koalitionsparteien haben sich bereits darauf geeinigt, die Bestätigung durch die Fraktionsgremien steht noch aus, soll aber diese Woche noch stattfinden und gilt als Formsache.

Die Abkehr vom bisherigen Vergabeverfahren inklusive des An- und Verkaufs des inländischen Cannabis durch die Cannabisagentur beim BfArM solle dazu führen, dass die Bedingungen für den Anbau von Medizinalcan­na­bis rechtlich so geöffnet werden, dass er zukünftig wettbewerbsfähiger wird.

Das könne auch zu einer größeren Sorten- und Typenvielfalt von Medizinalcannabis führen und damit zu einer größeren Therapiebreite. „Der inländische Anbau von Medizinalcannabis ließe sich hierdurch von den Wirtschaftsbeteiligten eigenverantwortlich und stärker als bisher am Markt und der tatsächlichen Nachfrage ausrichten“, heißt es in den Änderungsanträgen.

Die pharmazeutische Qualität soll dabei auf die gleiche Weise sichergestellt werden wie bei anderen pflanz­lichen Arzneimitteln. Hier gelten insbesondere die Vorgaben der „Guten Praxis für die Sammlung und den An­bau von Arzneipflanzen“ (Good Agricultural and Collection Practice, GACP), der „Guten Herstellungspraxis“ (Good Manufacturing Practice, GMP) und der Monografie „Cannabisblüten“ (DAB).

Die staatliche Kontrolle und Überwachung des inländischen Anbaus von Medizinalcannabis werde also zu­künftig durch ein Bündel ineinandergreifender Rechtsvorschriften zur strikten Überprüfung der Antragsteller im Rahmen der Erlaubniserteilung und durch die anschließende strenge und kontinuierliche Überwachung des inländischen Anbaus gewährleistet. Die Kontrollen sollen die für die Arzneimittelüberwachung zuständi­gen Länderbehörden durchführen.

„So wird Deutschland unabhängig von Importen, kann den Bedarf decken und Versorgungssicherheit sowie eine hohe Qualität nach GMP-Standards sicherstellen“, erklärte die amtierende Vorsitzende des Gesundheits­aus­schusses des Bundestages, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), heute in Berlin.

Die Mehrheit der Änderungsanträge bezieht sich indes nicht auf Medizinalcannabis, sondern auf die Pläne zur kontrollierten Freigabe von Cannabis als Freizeitdroge. Wie sich bereits abzeichnete, sind darin mehrere Lockerungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf des Bundesgesundheitsministerium vorgesehen.

So wird die erlaubte Besitzmenge im Eigenanbau angehoben und soll statt wie bisher 25 nun 50 Gramm be­tragen. Erst ab einer Menge von 60 Gramm soll der Besitz strafbar sein, davor soll es sich um eine Ordnungs­widrigkeit handeln.

Außerdem wird klargestellt, dass sich die Angaben auf getrocknetes Cannabis beziehen. Fachleute hatten mehrfach darauf hingewiesen, dass es ansonsten gar nicht möglich wäre, die drei erlaubten Cannabispflanzen abzuernten – die Blüten verlieren bei der Trocknung ungefähr drei Viertel ihres Gewichts.

Ein ähnliches Modell soll auch beim Mitführen von Cannabis außerhalb der eigenen Wohnung gelten: Hier sollen 25 Gramm erlaubt sein, die Schwelle zur Strafbarkeit aber erst bei 30 Gramm liegen und dazwischen eine Ordnungswidrigkeit vorliegen.

Gelockert wurde auch die Abstandsregel. So sollte bisher gelten, dass der Konsum innerhalb von 200 Metern rund um Schulen, Kindergärten, Spielplätzen sowie anderen Kinder- und Jugendeinrichtungen verboten ist. In der Anhörung im Bundesgesundheitsausschuss war das von mehreren Fachleuten als lebensfremd und im Alltag nicht kontrollierbar kritisiert worden.

Deshalb soll künftig stattdessen gelten, dass der Cannabiskonsum in Sichtweite solcher Einrichtungen ver­boten ist, wobei ein Mindestabstand von 100 Metern bleiben soll. Auch die Höhen der Bußgelder wurden gesenkt, im oberen Bußgeldrahmen von 100.000 auf 30.000 Euro und unteren Bußgeldrahmen von 30.000 auf 10.000 Euro.

Dafür soll der Strafrahmen bei der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige von einem auf zwei Jahre Mindeststrafandrohung erhöht werden, wenn der Täter dabei vorsätzlich handelt und dadurch wenigstens leichtfertig ein Kind oder eine jugendliche Person in der körperlichen, geistigen oder sittlichen Entwicklung schwer gefährdet.

„In den Verhandlungen ist es uns gelungen, praktikable Regelungen zu finden, die den Jugend- und Gesund­heitsschutz gewährleisten und die Entkriminalisierung von erwachsenen Konsumierenden Wirklichkeit wer­den lässt“, unterstrich Kappert-Gonther. „Wer Alternativen zum Schwarzmarkt will, um den Gesundheitsschutz zu stärken, darf die bürokratischen Hürden nicht zu hoch anlegen.“

Zudem soll eine Forschungsklausel eingefügt werden, die den Umgang mit Cannabis zu wissenschaftlichen Zwecken, die nicht medizinischer Natur sind, erleichtert. Das solle etwa die Züchtung von Nutzhanfsorten mit einem THC-Gehalt über 0,3 Prozent erleichtern, heißt es in den Änderungsanträgen.

Noch nicht geklärt ist hingegen, wie ein etwaiger THC-Grenzwert im Straßenverkehr geregelt werden soll. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits angekündigt, dass sich eine Arbeitsgruppe im Bundesverkehrsministerium darum kümmern soll, Grenzwerte und Verfahren zu erarbeiten. Dieses Vorhaben wird nun in das Gesetz geschrieben und der Arbeitsgruppe bis zum 31. März Zeit gegeben.

Ab dem darauffolgenden Tag soll der private Anbau legal sein. Denn mit den Änderungsanträgen findet auch eine gestaffelte Freigabe Einzug in den Gesetzentwurf: Ab dem 1. April soll der Heimanbau von bis zu drei Cannabispflanzen erlaubt werden, die Regelungen über die Anbauvereinigungen gelten dann ab dem 1. Juli 2024.

lau

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