Ausgaben der Krankenkassen steigen weiter an

Berlin – Die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind im vergangenen Jahr um acht Prozent (+12,2 Milliarden Euro) angestiegen. Das zeigen aktuelle Halbjahreszahlen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), die heute vorgelegt worden sind.
Demnach erhöhten sich die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen im 1. Halbjahr um 9,6 Prozent (+ 4,8 Milliarden Euro). Sie stellten damit den maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar. Grund sind vor allem hohe Vergütungssteigerungen sowie die Refinanzierung bisher nicht abgebildeter Tarifkostensteigerungen aus dem Jahr 2024.
Ebenfalls deutlich mehr kosteten psychiatrische Behandlungen (+12,9 Prozent, + 639 Millionen Euro) und die im IST-Kosten-Ausgleich finanzierten Pflegepersonalkosten (+15,2 Prozent, + 1,6 Milliarden Euro).
Diese beiden Teilbereiche seien nochmals dynamischer als im Vorjahr gewachsen, in dem bereits ein hohes Wachstum der Pflegepersonalkosten (+11,7 Prozent) und der Aufwendungen für psychiatrische Behandlungen (+9,1 Prozent) verzeichnet worden sei, schreibt das BMG.
Die restlichen Aufwendungen (insbesondere stationäre somatische Behandlungen und ambulante Operationen) stiegen um +7,4 Prozent (+2,5 Milliarden Euro).
Ein stark überdurchschnittliches Wachstum von +12,7 Prozent (+ 654 Millionen Euro) verzeichnet der Bereich medizinischen Behandlungspflege, der bereits 2024 (+ 11,8 Prozent) und 2023 (+ 12,9 Prozent) stark überdurchschnittliche Aufwüchse verzeichnete.
Stark gestiegen sind auch die Ausgaben im Bereich der Schutzimpfungen (+ 15,8 Prozent, + 230 Millionen Euro). Das sei vor allem durch die hohen Aufwüchse bei den Impfstoffen für Schutzimpfungen als GKV-Regelleistungen (+18,4 Prozent bzw. 212 Millionen Euro) bedingt und dürfte in Verbindung mit neuartigen RSV-Impfungen stehen, wie das Ministerium schreibt.
Die Ausgaben für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen, die nach den pandemiebedingten Einbrüchen des Jahres 2020 im Schnitt um rund 10,5 Prozent pro Jahr wuchsen, haben sich den Zahlen zufolge im ersten Halbjahr mit einer Steigerung von 10,8 Prozent (+ 251 Millionen Euro) fortgesetzt.
Auch die Aufwendungen für Behandlungen durch Heilmittelerbringer, die nach pandemiebedingten Rückgängen des Jahres 2020 jedes Jahr um durchschnittlich 10,6 Prozent (+ 4,4 Milliarden Euro) gestiegen sind, verzeichneten im 1. Halbjahr des laufenden Jahres deutliche Kostenzuwächse (+ 8,9 Prozent, +585 Millionen Euro).
Bemerkenswert sei dabei „die Entwicklung der Aufwendungen für Heilmittelversorgung mit erweiterter Versorgungsverantwortung der Heilmittelerbringer“, schreibt das BMG. Für die sogenannten „Blankoverordnung“ habe man im ersten Halbjahr Aufwendungen von 150 Millionen Euro in der Physiotherapie und 137 Millionen Euro in der Ergotherapie verzeichnet.
Die Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen sind im 1. Halbjahr um 7,8 Prozent (+ 2,0 Milliarden Euro) gestiegen. Bezogen auf das jeweils erste Halbjahr stelle dies „das stärkste Wachstum seit über 10 Jahren dar“, erklärt das Ministerium. Der Ausgabenzuwachs habe sich im Vergleich zum ersten Quartal 2025 (+ 7,0 Prozent) und dem Gesamtjahr 2024 (+ 6,7 Prozent) nochmals deutlich beschleunigt.
Für die weiterhin hohe Rate sei unter anderem entscheidend, dass für den bundeseinheitlichen Orientierungspunktwert wie bereits für 2024 ein gegenüber dem langjährigen Durchschnitt höherer Anstieg um + 3,85 Prozent vereinbart worden sei. Zur hohen Dynamik trügen auch die steigenden Ausgaben für das ambulante Operieren (+19,5 Prozent, + 250 Mio. Euro) bei.
Ursache seien vor allem die im vergangenen Jahr eingeführten Eingriffe mit spezieller sektorengleicher Vergütung (Hybrid-DRG), die unter anderem zu einer Ambulantisierung bisher häufig stationär durchgeführter Behandlungen führen sollen. Dadurch sollen Krankenhauskosten eingespart werden. Die Aufwendungen für diese neuen Leistungen betrugen im ersten Halbjahr rund 190 Millionen Euro.
Zusätzlich verzeichnen im zweiten Quartal insbesondere die Aufwendungen für extrabudgetäre psychotherapeutische Leistungen (+11,8 Prozent im zweiten Quartal, +8,7 Prozent bzw. +158 Millionen im ersten Halbjahr) eine beschleunigte Ausgabendynamik.
Auch die Aufwendungen für spezielle Versorgungsformen (Behandlung in Hochschulambulanzen, ambulante spezialfachärztliche Versorgung, integrierte Versorgung, spezialisierte ambulante Palliativversorgung und Versorgung in Selektiverträgen) zeigen mit +13,5 Prozent (+ 442 Millionen Euro) ein überdurchschnittliches Wachstum.
Das Ministerium weist darauf hin, dass bei der Interpretation der Zahlen zu berücksichtigen ist, dass die Buchungen im ärztlichen Bereich im ersten Halbjahr stets auch von Schätzungen geprägt sind, da insbesondere für das zweite Quartal Abrechnungsdaten nur in sehr geringem Umfang vorliegen.
Gestiegen sind auch die Arzneimittelausgaben. Diese erhöhen sich um 6,0 Prozent (+ 1,6 Milliarden Euro). Sie seie damit gegenüber dem ersten Quartal nahezu unverändert geblieben, hieß es.
Innerhalb der Arzneimittel verzeichneten die Aufwendungen für Arzneimittel im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung deutlich überdurchschnittliche Zuwächse (+29,7 Prozent, + 397 Millionen Euro). „Auch die Arzneimittelausgaben steigen damit stärker als im Mittel der vergangenen zehn Jahre“, so das BMG.
Leichter Überschuss zur Jahresmitte
Den Einnahmen der Krankenkassen standen in den ersten sechs Monaten in Höhe von 176,8 Milliarden Euro Ausgaben in Höhe von 174,0 Milliarden Euro gegenüber.
Die Ersatzkassen erzielten einen Überschuss von 1,1 Milliarden Euro, die Ortskrankenkassen von 656 Millionen Euro, die Betriebskrankenkassen von 473 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen von 305 Millionen Euro und die Knappschaft in Höhe von 264 Millionen Euro. Die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse verbuchte einen Überschuss von acht Millionen Euro.
Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz entsprach Ende Juni 2,92 Prozent und lag damit deutlich oberhalb des Ende Oktober 2024 für das Jahr 2025 bekanntgegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 2,5 Prozent.
Viele Krankenkassen waren und sind gezwungen, einen höheren Zusatzbeitragssatz zu erheben, als zur Deckung der laufenden Ausgaben nötig wäre, um so ihre im vergangenen Jahr aufgrund der unerwartet hohen Ausgabendynamik stark gesunkenen Finanzreserven auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestniveau aufzufüllen.
Die Krankenkassen machen vor allem die Gesetzgebung der vergangenen Jahre für die Kostensteigerungen verantwortlich, wie ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands erläuterte. Bestehende Honorardeckel würden demnach beispielsweise für immer mehr ärztliche Leistungen abgeschafft – und bei Pharma Preisvorgaben gelockert.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) sieht die GKV „finanziell massiv unter Druck“. „Die Ausgaben wachsen weiterhin deutlich stärker als die Einnahmen“, sagte sie. Der Überschuss der Krankenkassen sollte nicht falsch interpretiert werden. Er sei „nur eine Momentaufnahme und dient lediglich zur Auffüllung der sehr niedrigen Finanzreserven auf das gesetzlich geforderte Mindestniveau“. Bereits 2026 dürften die Beitragssätze wieder unter Druck geraten.
Für die Versicherten sollen die höheren Kosten nach dem Willen der Koalition keine Auswirkungen haben: Schwarz-Rot will die Beiträge nach deutlichen Steigerungen im kommenden Jahr möglichst stabil halten. CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn hatte dies bereits im August angekündigt. Im Koalitionsausschuss hat man das Ziel noch einmal bekräftigt.
Ergebnis des Gesundheitsfonds
Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2025 über eine Liquiditätsreserve von rund 5,7 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im 1. Halbjahr 2025 ein buchhalterisches Defizit von 5,8 Milliarden Euro.
Der größere Teil dieses Defizits ist saisonüblich: So fließen die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Krankenkassen, während die Einnahmen unterjährig erheblich schwanken und insbesondere im 4. Quartal aufgrund der Verbeitragung von Jahressonderzahlungen wie dem Weihnachtsgeld höher ausfallen.
Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,5 Prozent. Verantwortlich für die gute Einnahmenentwicklung im 1. Halbjahr sind insbesondere die deutlich gestiegenen beitragspflichtigen Löhne und Gehälter.
Zwischen Ende 2022 und Ende 2024 konnten Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und beitragsfreie Inflationsausgleichsprämien gewähren, die nun vielfach durch höhere reguläre – und damit beitragspflichtige – Lohnsteigerungen abgelöst werden.
Der GKV-Schätzerkreis wird die Versichertenentwicklung, die Ausgaben und die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für das laufende und das kommende Jahr Mitte Oktober prognostizieren.
Das BMG wird daraufhin bis zum 1. November unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Schätzerkreises den durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2026 bekannt geben. Die Finanzergebnisse für das 1.-3. Quartal 2025 werden Ende November vorliegen.
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