AWMF will sich für sektorenübergreifende Versorgung einsetzen

Berlin – Für eine stärkere sektorenübergreifende Versorgung im Sinne einer besseren Patientenversorgung will sich die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bei der künftigen Gesundheitspolitik einsetzen.
Es müsse eine viel „reibungslosere Versorgung von Patientinnen und Patienten“ geben, dafür sei die enge Zusammenarbeit von Arztpraxen, Kliniken und Reha-Einrichtungen elementar. Denn die Realität zeige, dass sich zwischen ambulanter und stationärer Versorgung viele Hürden in der Abrechnung sowie in der – digitalen wie analogen – Weitergabe von Informationen gebe. Auf dem Berliner Forum der AWMF, das am Freitag stattfindet, will die Arbeitsgemeinschaft konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik erarbeiten.
Die starken Trennlinien von ambulanter und stationärer Versorgung behindere die Versorgung der Menschen. „Diese Trennlinien erschweren die Behandlung gerade von Patientinnen und Patienten mit komplexen oder chronischen Erkrankungen erheblich“, erklärte Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF, vor Journalisten im Vorfeld der Tagung. „Dies führt zu unnötigen Mehraufwänden beim ohnehin schon überlasteten Personal und ließe sich durch regulatorische Maßnahmen vermeiden. Gleichzeitig würde dies die Patientensicherheit und die Effizienz des gesamten Gesundheitssystems steigern.“
Teil der Trennlinien sei auch die unterschiedliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Treede betonte, dass die AWMF sich normalerweise nicht mit Finanzfragen beschäftige, aber man doch beobachte, wie sehr die Finanzströme die Versorgung der Patientinnen und Patienten beeinflusse. „Wenn man einen chronischen Rückenschmerz hat, ist es den Patienten egal, ob das aus dem Topf der Kassenärztlichen Vereinigungen oder den Krankenhausgeldern bezahlt werde“, so Treede.
„Ein Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen hat neulich erklärt, dass er 23 verschiedene Vorschriften kenne, nach denen man sektorenübergreifend versorgen kann.“ Das erwecke den Verdacht, „dass vielleicht die Bewegung der Finanzströme uns mehr im Weg ist als das was die Gesundheitsberufe anbieten können“.
Die AWMF will diese Beobachtung nun auch evidenzbasiert angehen. Auf der Tagung soll darüber gesprochen werden, auch viele schon positive Praxisbeispiele sind dabei. Vor Journalisten wurden zwei besonders hervorgehoben: Zum einen ist in psychiatrischen Kliniken die Flexibilisierung der Patientenversorgung schon weiter fortgeschritten als in somatischen Kliniken.
Andreas Bechdolf, Chefarzt der Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum Am Urban und Vivantes Klinikum im Friedrichshain in Berlin, stellte die Vorteile der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB) heraus, die 2017 in die Regelversorgung eingeführt wurde. Mit der StäB werden psychisch kranke Menschen mit Indikation für eine vollstationäre Behandlung in ihrem häuslichen Umfeld von einem Behandlungsteam aus der Klinik täglich besucht.
Eine Studie mit jeweils 200 Patientinnen und Patienten, die mit der StäB versorgt wurden im Vergleich mit 200 vollstationären Patienten, hat dem Psychiater zufolge gezeigt, dass erstere Gruppe zufriedener mit der Behandlung war und danach um die Hälfte weniger Aufnahmen in die Psychiatrie hatte. Die nächste Krise könne dann meist aus eigenen Ressourcen bewältigt werden.
Auch Ärzte und Pflegekräfte seien mit der StäB-Behandlung zufriedener. Die Patienten würden in ihrem Umfeld als zugänglicher erlebt und es mache mehr Spaß als eine standardisierte Behandlung. Zudem brauche eine Klinik weniger Personal für die StäB, weil in der Pflege keine Dreischicht-Modelle notwendig seien.
Aktuell bieten laut Bechdolf 80 bis 90 psychiatrische Kliniken bundesweit die StäB an. „Das ist eine gute Zahl und die Tendenz ist steigend.“ Positiv bewertete er die Vorschläge der Regierungskommission Krankenhausversorgung, die noch mehr Flexibilisierung mittels eines Globalbudgets vorsehen, ebenso wie die Erlaubnis für die Psychiatrischen Institutsambulanzen intensiver zu versorgen.
Zweites Beispiel, das die AWMF im Rahmen der Pressekonferenz präsentierte, ist das Medizinisches Versorgungszentrum Chirurgie in Kiel und die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). Dort habe man vor 15 Jahren aufgrund der Organisation der ärztlichen Weiterbildung begonnen, enger zusammen. Landesärztekammer, Kassenärztliche Vereinigungen sowie weitere Mitstreiter standen dahinter, erklärte der Ärztliche Leiter des MVZ, Ralf W. Schmitz.
Damit trügen beide Einrichtungen der Tatsache Rechnung, dass immer mehr ärztliche Leistungen, die junge Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung erlernen müssen, ausschließlich im ambulanten Sektor – in der Haus- oder Facharztpraxis also – erbracht werden. Neben der besseren ärztlichen Weiterbildung gibt es dort inzwischen auch digitale Fallakten für Patientinnen und Patienten, so dass die Behandlung besser laufe, so Schmitz.
Wie die gerade beschlossene Krankenhausreform bei der Umsetzung einer besseren Zusammenarbeit von ambulanter und stationärer Versorgung helfen kann, zeigte Tom Bschor, Leiter und Koordinator der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung am Bundesministerium für Gesundheit, auf. So sei es aus seiner Sicht mit den Hybrid-DRGs möglich, tagesstationärer Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen und auch Grundlagen für eine sektorengleiche Vergütung aufzuzeigen.
„Diese Ansätze sollen die Grenzen zwischen den Versorgungsbereichen weiter abbauen“, so Bschor. In den Regionen mit Versorgungslücken sollen sowohl ambulante als auch stationäre Behandlungen von Krankenhäusern angeboten werden. Er plädierte, ähnlich wie in den Berichten der Kommission, für eine gemeinsame Planung von ambulanter und stationärer Versorgung vor Ort. Dort sei es am besten möglich, sich über die Bedarfe auszutauschen und zu einigen, so Bschor. Ein funktionierendes Primärarztsystem, das den wohnortnahen Zugang zu haus- und fachärztlichen Leistungen sicherstellt, bilde die Basis für eine effektive sektorenübergreifende Versorgung, betonte er ebenso.
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