Politik

BMG stößt mit Gesundes-Herz-Gesetz Selbstverwaltung vor den Kopf

  • Dienstag, 18. Juni 2024
/zinkevych, stock.adobe.com
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Berlin – Mit dem „Gesundes-Herz-Gesetz“ will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kardiovaskuläre Erkrankungen bekämpfen – und nimmt dabei einen großen Konflikt mit der Selbstverwaltung in Kauf. Laut Referentenentwurf, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, sollen die geplanten Vorsorgeuntersuchungen für Kinder- und Jugendliche sowie in den Check-Ups mit 25, 35 und 50 unter anderem mit Fragebögen begleitet werden, die vom Bundesgesundheitsministerium selbst entwickelt werden. Hier ist jeweils eine Rechtsverordnung vorgesehen.

Bislang ist für die Entwicklung von Anamnesefragebögen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuständig. Auch zur Vergütung dieser neuen Untersuchungen will das BMG Vorgaben machen – eine Aufgabe, die sonst der Erweiterte Bewertungsausschuss aus Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV), Krankenkassen sowie Unparteiischer Mitglieder übernimmt.

Verschreibung von Statinen ausbauen

Zudem soll laut Gesetz die Verschreibung von Statinen entgegen der bisherigen Regelungen deutlich ausgebaut werden. Sowohl die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) als auch die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) sehen eine Statintherapie je nach Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis und LDL-Cholesterinwert vor. Personen mit einer familiären Hypercholesterinämie gelten bereits als Hochrisikopatienten, sodass hier auch bei geringeren Cholesterinwerten eine medikamentöse Therapie empfohlen ist. Nun sollen Ärztinnen und Ärzte bei familiärer Hypercholesterinämie „frühzeitiger“ Statine verordnen können.

Aktuell beschränkt die Arzneimittelrichtlinie des G-BA den Einsatz von Lipidsenkern auf Personen mit einem Zehn-Jahresrisiko für ein kardiovaskuläres Ereignis von mehr als 20 Prozent. Der neue Gesetzesentwurf vermindert die Schwelle altersabhängig. So sollen 50-jährige Personen beispielsweise ab einem Risiko von 7,5 Prozent Anspruch auf eine medikamentöse lipidsenkende Therapie haben, bei genetisch bedingter familiärer Hypercholesterinämie soll immer ein Anspruch bestehen. Das schließt Kinder mit ein, bei denen ein Screening auf eine Dyslipidämie stattfinden soll.

Regelhaft sollen die Krankenkassen Kinder und Jugendliche in einem Alter von zwölf bis 14 Jahren zur J1-Untersuchung einladen. Dort soll es ebenso Präventionsgespräche zum Thema Rauchen sowie zur Aufklärung zur HPV-Impfung geben. Damit sollen die niedrigen Teilnahmeraten an der J1-Untersuchung gesteigert werden.

Das neue Gesetz will auch die Lücke bei den frühkindlichen Untersuchungen schließen: Zwar sei in der aktuellen Richtlinie in den Untersuchungen U1-3 die Erhebung der Familienanamnese vorgesehen, allerdings nicht in der J1-Untersuchung und explizite Fragen zur Identifikation eines plötzlichen Herztods fehlten.

Die G-BA-Richtlinie zur Jugenduntersuchung sieht allerdings bereits „eine differenzierte Anamneseerhebung und eine klinisch-körperliche Untersuchung“ vor, zu der die meisten Ärztinnen und Ärzte auch die Familienanamnese zählen dürften. Einen standardisierten Fragebogen zur Erfassung des kardiovaskulären Risikos ist in der G-BA Richtlinie bislang jedoch nicht festgehalten.

Gutscheine für Check-Ups

Einladungen sollen die Krankenkassen auch für den Check-Up für 25-, 35- und 50-Jährige verschicken. Dazu sollen Gutscheine beigelegt werden, mit denen auch in Apotheken Beratungen und Blutdruckmessungen sowie Messungen von Risikofaktoren bei Diabetes vorgenommen werden sollen. Die standardisierten Fragebögen sowie Parameter für die Laboruntersuchung soll ebenso per Rechtsverordnung geregelt werden – nicht wie bislang üblich durch die Selbstverwaltung.

Inhalt des Gesetzes ist außerdem eine Ausweitung der medikamentösen Therapie bei der Rauchentwöhnung: So soll der Anspruch der Versicherten künftig nicht mehr nur bei „schwerer Tabakabhängigkeit“ sondern auch häufiger als alle drei Jahre finanziert werden.

Das Gesetz löst unter Krankenkassen und Ärzten deutliche Kritik aus. „Der Referentenentwurf zum ‚Gesundes-Herz-Gesetz‘ könnte auch ‚Pillen-statt-Prävention-Gesetz‘ heißen“, erklärt Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Der darin vorgesehene breite Einsatz von Screenings und Statinen schon bei Kindern und Jugendlichen gehe „in die völlig falsche Richtung“.

„Statine sind keine Smarties, solche Entscheidungen sollten auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz über die etablierten Bewertungswege des Gemeinsamen Bundesausschusses getroffen werden“, so Reimann weiter. Es sei eine „problematische Perspektivverengung“, wenn Fragen des Lebensstils in die Medizin verschoben werden, „und Kinder zu chronisch kranken Patienten gemacht“ werden.

Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV), Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier, betonten, bei der Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen und ihrer Folgen habe das Gesundheitssystem dringend Nachholbedarf. Mit dem „Gesundes-Herz-Gesetz“ werde allerdings der „falsche Weg“ gewählt.

„Immer mehr Tests und eine Medikamentenvergabe per Gießkannenprinzip lehnen wir ganz klar ab. Das hier angewandte Prinzip ,Viel hilft viel‘ ist aus medizinischer Sicht mehr als zweifelhaft, gerade auch, weil die Evidenzlage sehr dünn ist“, so Buhlinger-Göpfarth und Beier. Gerade bei den Allerkleinsten sollten flächendeckende Screenings, die in Folge lebenslange Medikamenteneinahmen bedeuten könnten, mit „äußerster Vorsicht und immer nur evidenzbasiert“ eingesetzt werden.

Eingriff in ärztliches Handeln

Ein zielgerichteter Einsatz von Statinen sei allerdings sinnvoll und wichtig – dies sei jedoch immer eine individuelle Entscheidung zwischen Ärztin beziehungsweise Arzt und Patientin beziehungsweise Patient. Es sei daher „sehr befremdlich“, wie detailliert der Gesetzgeber in konkretes ärztliches Handeln eingreifen will.

Die bekannt gewordenen Pläne von Bundesgesundheitsminister Lauterbach enthielten durchaus positive Ansätze – jedoch fehle eine wirklich konsequente Umsetzung des Präventionsgedankens, kritisierte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

„Der muss schon mit Kampagnen in Schulen anfangen, damit Kinder lernen, herzgesünder zu leben. Denn sie sind die Herzpatienten von morgen“, so Gassen.

bee/mim

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