Politik

Bundesrat lässt Krankenhausreform nach Politkrimi passieren

  • Freitag, 22. November 2024
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (Mitte) im Gespräch mit Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU, rechts) für Gesundheit. /picture alliance, Sebastian Gollnow
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (Mitte) im Gespräch mit Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU, rechts) für Gesundheit. /picture alliance, Sebastian Gollnow

Berlin – Die Abstimmung über die Krankenhausreform im Bundesrat hat sich zu einem wahren Politkrimi ent­wickelt. In laufender Sitzung hat Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) seine Gesundheitsministe­rin Ursula Nonnemacher (Grüne) entlassen, damit er für den Weg in den Vermittlungsausschuss stimmen kann.

Am Ende hat das nichts gebracht: Die Bundesländer haben die Krankenhausreform im Bundesrat passieren lassen. Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen haben für die Anrufung des Vermittlungsausschusses gestimmt.

Schleswig-Holstein hat sich enthalten. Thüringens Stimmen wurden nicht gezählt, weil das Votum der Landesre­gierung nicht einheitlich ausgefallen war. Eigentlich hatten beide Länder im Vorfeld betont, den Vermittlungs­ausschuss anrufen zu wollen. Hätten Sie das getan, hätte es eine Mehrheit in der Länderkammer gegeben, womit die Krankenhausreform zunächst gestoppt worden wäre.

Gemeinsam erreichten die übrigen Länder am Ende jedoch nur 30 von benötigten 35 Stimmen. Insgesamt gibt es 69 Länderstimmen im Bundesrat. Die anderen Länder haben gegen den Weg in den Vermittlungsausschusses votiert oder sich bei der Abstimmung enthalten. Die knappe Abstimmung war im Vorfeld abzusehen.

Der Vermittlungsausschuss besteht aus 16 Ländervertretern – hauptsächlich den Länderchefs – sowie 16 Bun­destagsabgeordneten. In diesem Ausschuss sollen Änderungen an Gesetzen verhandelt werden, die zwischen Bund und Ländern strittig sind. Da der Ausschuss nicht angerufen worden ist, kann die Krankenhausreform wie geplant Anfang 2025 in Kraft treten.

Der Bundesrat verabschiedete heute zudem einen Entschließungsantrag der Länder Niedersachsen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, der auf Nachbesserungen im Zuge der Umsetzung der Reform setzt.

Die Debatte im Bundesrat zeigte, welche unterschiedlichen Positionen die Länder zur Krankenhausreform haben. Die Länder, die nicht für den Vermittlungsausschuss gestimmt haben, machten deutlich, dass sie nicht gänzlich mit der geplanten Reform einverstanden sind.

„Die Krankenhausreform ist alles andere als perfekt“, sagte etwa Stefanie Drese (SPD), Gesundheitsministerin aus Mecklenburg-Vorpommern. Dennoch werde sie dringend benötigt. Das KHVVG liefere eine Grundlage für eine Krankenhausreform und die Beendigung der Gelegenheitsversorgung.

Die Reform könne etwa das Nebeneinander von Über- Unter- und Fehlversorgung reduzieren. Drese pochte aber auch darauf, dass die Länder im Umsetzungsprozess noch einige Veränderungen fordern und wies auf den eingebrachten Entschließungsantrag der Länder Niedersachsen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern hin, der heute vom Bundesrat verabschiedet worden ist.

Rheinland-Pfalz: Veränderungen der Reform durch Rechtsverordnung angepeilt

Auch die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) erklärte, die Reform werde sich weiter verändern müssen. Dafür werden die geplanten Rechtsverordnungen, die im Frühjahr 2025 folgen sollen, wichtig, betonte der Gesundheitsminister aus Rheinland-Pfalz, Clemens Hoch (SPD). Mit diesen könne man unklare Punkte weiter schärfen und Nachbesserungen vornehmen.

Insbesondere die definierten Standortvorgaben, also dass ein Klinikstandort keine Gebäude haben darf, die weiter als 2.000 Meter auseinander liegen dürfen, hält er für „nicht ganz praktikabel“. Hoch warnte vor der Anrufung des Vermittlungsausschusses. Dies würde „eine absehbare Beschädigung unserer Krankenhauslandschaft mit sich bringen.“

Vor der Anrufung des Vermittlungsausschusses warnte auch der Gesundheitsminister Magnus Jung (SPD). „Es gibt zwar süße Versprechen, was man mit dem Vermittlungsausschuss noch erreichen könnte, aber die realistische Perspektive wäre das Aus für das Gesetz“, sagte er. Die Reform würde mit mindestens einem Jahr Verzögerung kommen und niemand wüsste, woran man sich jetzt im stationären Sektor orientieren solle. Er schlug weiter vor, nach der Bundestagswahl im Februar gemeinsam mit der neuen Bundesregierung die Punkte, worin sich die Länder einig sind, nachzuverhandeln. „Das wäre der deutlich klügere Weg“, so Jung.

Auch Andreas Philippi (SPD), niedersächsischer Gesundheitsminister, erklärte: „Wenn wir das KHVVG in den Vermittlungsausschuss schieben, dann ist die Krankenhausreform politisch tot.“ In normalen Zeiten wäre das inhaltlich der richtige Weg gewesen. In diesen unsicheren Zeiten benötigten Krankenhäuser aber eine handlungsfähige und verantwortungsvolle Politik, erklärte Philippi. Ohne Reform drohe vor allem ein kalter Strukturwandel.

Hessen: Reform wird Unikliniken unterstützen

Überraschend positive Töne kamen aus Hessen. Der Wissenschaftsminister aus Wiesbaden, Timon Gremmels (SPD), erklärte, das KHVVG werde die Situation der Universitätskliniken verbessern. Die Reform werde die Unikliniken durch die Vergütung der Koordinationsaufgaben und der Vergütung spezieller Vorhaltekosten stärken, so Gremmels. Da sich einzelne Auswirkungen der Reform aber noch nicht bewerten ließen, werde sich Hessen enthalten, erläuterte Gremmels. Bis zuletzt war nicht klar, wie Hessen abstimmen würde.

Die Länder, die den Vermittlungsausschuss anrufen wollten, kritisierten das Gesetz deutlich. Vor zu starren Qualitätsvorgaben im Zuge der Reform, warnte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). Diese würden die Grund- und Notfallversorgung in Sachsen-Anhalt gefährden. Zudem sprach er sich dafür aus, bürokratische Hürden zu reduzieren.

Für Karl-Josef Laumann (CDU), nordrhein-westfälischer Gesundheitsminister, sei die Reform wichtig, sie werde benötigt, aber in einigen Punkten müsse „unbedingt nachgebessert“ werden. Vor der aktuellen Version warnte er eindringlich. „Wenn wir das Gesetz beachten müssten, könnten wir die Versorgungssicherheit in ländlichen Regionen nicht sicherstellen.“

Er forderte erneut mehr „Beinfreiheit“ für die Länder, damit meint er weitere Ausnahmemöglichkeiten bei der Erbringung von Leistungsgruppen. Auch die Regelung der Sicherstellungszuschläge seien zu eng gefasst, kritisierte er.

Laumann zufolge könnten nur drei Kliniken in NRW von den geplanten Zuschlägen profitieren. Er brachte erneut eine Übergangsfinanzierung für Krankenhäuser ins Spiel, denn einige Finanzierungsänderungen in der Reform treten erst 2027 in Kraft. „Viele Krankenhäuser werden 2027 nicht mehr erleben“, warnte Laumann.

Bayern: Stationäre Strukturen werden durch Reform gefährdet

Es sei völlig inakzeptabel, dass der Bund durch starre Vorgaben in die Planungshoheit der Länder eingreife, erklärte auch die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU). Sie werde es nicht zulassen, dass stationäre Strukturen in Bayern durch Berlin gefährdet werden. Vor allem gehe es ihr um die Patientinnen und Patienten, die eine passende stationäre Versorgung benötigten. Das KHVVG biete aber keinen ausreichenden Antworten auf den Reformbedarf, sondern gefährde sogar die Krankenhausversorgung in einigen Teilen Deutschlands, so Gerlach. Deshalb kämpfe sie dafür, fachliche Änderungen am Gesetz vorzunehmen.

Für eine Überraschung sorgte Schleswig-Holstein. Die Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) hatte seit Monaten betont, den Vermittlungsausschuss anrufen zu wollen, um Nachbesserungen an der Reform zu erzielen. Das betonte sie erneut heute vor der Abstimmung. Dennoch enthielt sich Schleswig-Holstein. „Sollte die Anrufung aus politischen – und nicht aus fachlichen – Gründen scheitern, wäre dies kein gutes Signal für die Krankenhausversorgung in Deutschland“, sagte sie in ihrer Rede und kritisierte damit offenbar ihren eigenen Koalitionspartner, die Grünen.

Es ist üblich, sich zu enthalten, wenn sich unterschiedliche Koalitionspartner in einer Landesregierung nicht auf ein Abstimmungsverhalten einigen können. Neben Schleswig-Holstein haben sich heute vermutlich deshalb Berlin und Hessen enthalten. Aus Thüringen kamen unterschiedliche Abstimmungen, deshalb wurde die Stimme als ungültig erklärt.

Schleswig-Holstein: Reform wird Ziele nicht erreichen

Obwohl sich Schleswig-Holstein enthalten hatte, kritisierte von der Decken, dass die Ziele, die durch die Reform ermöglicht werden sollen (Qualitätssteigerung, Entbürokratisierung, Entökonomisierung), mit dem vorliegenden Gesetz nicht erreicht werden könnten. So schaffe das Gesetz ein starres bundeseinheitliches Korsett, das lediglich auf Strukturqualität abziele, aber nicht das Ergebnis der Qualität im Blick hat.

Das KHVVG würde zur Zerstörung passgenauer Lösungen in der Fläche beitragen und mehr Bürokratie aufbauen. Die geplante Vorhaltefinanzierung sei von der Decken zufolge zudem keine echte Vorhaltefinanzierung, da sie fallzahlabhängig gestaltet sei. „Das macht das Finanzierungssystem für Krankenhäuser nicht nur undurchsichtiger, sondern hält den finanziellen Druck aufrecht“, so von der Decken. Deshalb sei für sie der Vermittlungsausschuss die höchstwahrscheinlich letzte Chance, grobe Fehler im Gesetz zu korrigieren.

Kurz vor der Abstimmung warnte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor Änderungswünschen der Länder, die dieser Reform widersprechen würden. Etwa eine Lockerung bei den Facharztvorgaben in den Leistungsgruppen würde an der aktuellen Situation in den Kliniken nichts ändern. „Dann bin ich da, wo ich immer war, bei schlechter Qualität“, so Lauterbach.

Lauterbach: Spezialisten müssen vor Ort sein

Wenn diese klaren Strukturvorgaben (meist drei Fachärzte pro Leistungsgruppe) nicht kämen, bräuchte es die Reform nicht, erklärte er weiter. Auch der Forderung, dass Krankenhäuser mehr in Kooperation erbringen dürfen sollen, erklärte er eine Absage. Es bräuchte Spezialisten, etwa einen Wirbelsäulenchirurg vor Ort, um entsprechende Eingriffe vorzunehmen, so Lauterbach. Wenn vor Ort Spezialisten fehlen würde, hätten die Krankenhäuser in den kommenden beiden Jahren Zeit, diese zusätzlichen Fachärztinnen und -ärzte anzuwerben, so Lauterbach.

„Wenn die Reform nicht käme, würden den Häusern in den nächsten zehn Jahren ab 2026 jedes Jahr ein Volumen von acht Milliarden Euro fehlen“, betonte Lauterbach weiter. Dazu gehörten jährlich fünf Milliarden durch den Transformationsfonds, 1,5 Milliarden über Neuberechnung der Landesbasisfallwerte, eine Milliarde über Zuschläge und 700 Millionen Euro für die Refinanzierung der Tarifkostensteigerungen des Personals.

Er könne nicht verstehen, dass einige Länder die Möglichkeit erwägen würden, diese Hilfen auszuschlagen. Weiter erklärte er, ohne die Reform werde alles komplizierter, teurer und für die Patientenversorgung werde sich nichts ändern. Er appellierte an die Länder, diese einmalige Chance zu nutzen. Zudem könne jedes Gesetz in den kommenden Jahren weiterentwickelt werde, so Lauterbach.

Nach der Abstimmung zeigte sich Lauterbach erleichtert. „Das ist ein sehr guter Tag für alle Patientinnen und Patienten“, sagte er vor Journalisten im Bundesrat. „Insbesondere für diejenigen, die in den nächsten 20 Jahren an Krebs erkranken oder einen Schlaganfall haben.“ Für diese Patientinnen und Patienten werde sich die Versorgung verbessern. Er bedankte sich bei den Ländern, die heute die Reform mitgezogen hätten. Es sei klar, dass ich die Krankenhauslandschaft grundsätzlich ändern werde, und zwar zum Guten, betonte Lauterbach.

Das sieht die Reform vor

Die Krankenhausreform sieht 65 Leistungsgruppen vor, die künftig bundeseinheitlich Strukturvorgaben zu Personal und technischer Ausstattung definieren sollen. Die Länder sollen Kliniken Leistungsgruppen zuteilen, nur wer eine solche Leistungsgruppe zugeordnet bekommt, darf künftig entsprechende Leistungen und Behandlungen durchführen.

Eine weitere Säule der Reform ist die geplante Vorhaltevergütung, die künftig 60 Prozent der bisherigen diag­nosebezogenen Fallpauschalen (DRG) ausmachen soll. Diese sollen je Leistungsgruppe an die Kliniken ausbe­zahlt werden und die Finanzierung der häufig wirtschaftlich in Schieflage geratender Krankenhäuser absichern. Umstritten ist jedoch, dass die Vorhaltefinanzierung entweder von vergangenen erbrachten Fallzahlen der Kli­niken abhängt oder von Planfallzahlen, die die Länder entsprechend zuteilen.

Zudem sind sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen vorgesehen, die durch die Erbringung von statio­nären, ambulanten und pflegerischen Leistungen die wohnortnahe Versorgung sicherstellen sollen. Mit diesen drei Maßnahmen soll die Krankenhausreform Zentralisierung und Spezialisierung von Kliniken anstreben, um die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern.

Ein Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro soll die Umstrukturierung der Krankenhäuser in den kom­menden zehn Jahren zur Erreichung dieser Ziele unterstützen.

Die Krankenhausreform ist jedoch umstritten. Zwar sehen alle Akteure im Gesundheitswesen die Notwendigkeit der Reform, für viele ist die geplante Umsetzung der Reform aber unzureichend, manche fürchten eine Verschlechterung der Versorgung.

Kritisch äußerten sich unter anderem einige Bundesländer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) aber auch Akteure der Ärzteschaft, darunter die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) oder der Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Vor allem die Unikliniken und Krankenkassen pochten in den vergangenen Monaten hingegen auf die zügige Umsetzung der Reform.

Gerichtliche Klagen von verschiedenen Seiten möglich

Sollte die Reform in Kraft treten, könnte es zudem einige Klagen geben. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) kündigte bereits vor einigen Monaten an, möglicherweise gegen die Krankenhausreform gericht­lich vorzugehen und vor dem Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen. Krankenkassen könnten zudem gegen die geplante hälftige Finanzierung des Transformationsfonds gerichtlich vorgehen.

Der Fonds soll teilweise aus dem Gesundheitsfonds, also mit Beiträgen der gesetzlich Krankenversicherten bezahlt werden. Dies hatte in der Vergangenheit für deutliche Kritik bei den Kassen gesorgt, sie warnen vor deutlichen Erhöhungen der Versicherungsbeiträge.

Die KBV hat darüber hinaus bereits im Juni eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission über mutmaßliche rechtswidrige staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit der Krankenhausreform übermittelt.

cmk/may

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