Bundesregierung angesichts steigender Coronazahlen alarmiert

Berlin – Die Bundesregierung blickt mit Unbehagen auf die aktuell zunehmenden Coronainfektionen. „Die Entwicklung der Infektionszahlen macht uns große Sorgen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert heute zu den morgigen Beratungen mit den Bundesländern über die Coronakrise mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Seit Juli habe es in etwa eine Verdreifachung gegeben. Zwar sei dies keine flächendeckende Entwicklung, aber es gebe lokal und regional „sprunghafte Anstiege“. Diese müssten „dringend wieder unter Kontrolle gebracht werden“. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass sich das Coronavirus an einigen Orten wieder „exponentiell“ ausbreite, mahnte Seibert. In Hotspots müssten schnell Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Wo „beherzt eingegriffen“ werde, könne es gelingen, die Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen, betonte Seibert. „Wir sind alles andere als ohnmächtig“, aber es müsse konsequent gehandelt werden. In einigen Gegenden seien die Gesundheitsämter bereits wieder „am Anschlag“.
Für die Bürger bedeute die derzeitige Lage, dass sie die Situation ernst nehmen und das tun müssten, „was vernünftig ist“, sagte Seibert. Er verwies unter anderem auf Abstandhalten und das Tragen von Masken. „Wenn wir das alle tun“, könne dem Land im Herbst und Winter einiges erspart bleiben.
Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder wollen ab 14 Uhr in einer Videokonferenz gemeinsam über das weitere Vorgehen in der Krise beraten. Es soll unter anderem um geeignete Maßnahmen gegen die steigenden Infektionszahlen gehen, vor allem mit Blick auf die anstehende kalte Jahreszeit. Priorität sollen Schulen, die Kindertagesstätten und die Wirtschaft haben.
Bei den morgigen Bund-Länder-Gesprächen gehe es darum, wie auf das „zugespitzte Infektionsgeschehen“ zu reagieren sei, sagte Seibert. Ein „regionales Vorgehen“ in einem „gemeinsam besprochenen Rahmen“ habe sich in der Coronakrise bislang bewährt, sagte Seibert. Diese Strategie solle fortgesetzt werden.
Ampel weiter im Gespräch
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach sich heute, wie zuvor auch schon Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), für eine Art Corona-Warnampel aus. Notwendig sei ein einheitliches, verbindliches, verhältnismäßiges und verlässliches Regelwerk, das dann in ganz Deutschland gelte, sagte Söder in München.
Zuvor hatte die Süddeutsche Zeitung über sein Konzept für eine Ampel berichtet. Bei Überschreiten bestimmter Infektionszahlen würde diese auf Gelb oder Rot springen und entsprechende Maßnahmen würden in Kraft treten, wie Tests für Risikogruppen, weniger Zuschauer bei Sportveranstaltungen, weniger Teilnehmer bei privaten Veranstaltungen oder eine verschärfte Maskenpflicht etwa auf öffentlichen Plätzen.
Laschet hatte in der vergangenen Woche dem Handelsblatt gesagt, man dürfe nicht nur auf die reinen Infektionszahlen schauen, sondern brauche in ganz Deutschland ein standardisiertes Monitoring, das die Pandemieentwicklung kommunenscharf abbildet.
Damit hatte sich der CDU-Politiker hinter den Vorschlag seines Corona-Expertenrats gestellt, der sich ebenfalls für eine Ampel ausspricht. Ein Ampelsystem sei „natürlich ein Beitrag zur Diskussion der morgen auch geführt wird“, sagte Regierungssprecher Seibert mit Blick auf die Beratungen.
Ampel-Modelle für mehr Übersicht in der Coronalage gibt es bereits in Österreich oder auch in Berlin. In der Hauptstadt gibt es drei Ampeln. Eine zeigt die Reproduktionszahl an, also wie viele Menschen ein Infizierter im Mittel ansteckt, eine weitere die Belegung der Intensivbetten mit COVID-19-Patienten und die dritte Ampel die sogenannte 7-Tage-Inzidenz, also die in den vergangenen sieben Tagen neu registrierten Coronafälle pro 100.000 Einwohner.
Merkel äußerte heute allerdings Zweifel, dass die Berliner Landesregierung angesichts stark steigender Zahlen in der Hauptstadt ernsthaft versuche, Maßnahmen gegen die Ausbrüche einzuleiten. „Es muss in Berlin was passieren“, wurde die Kanzlerin zitiert.
Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete zu Wochenbeginn erwartungsgemäß mit 1.192 Fällen eine vergleichsweise niedrige Zahl an neuen Infektionen. An Sonntagen wie auch an Montagen sind die erfassten Fallzahlen erfahrungsgemäß meist niedriger, auch weil am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter Daten an das RKI melden. Zuletzt gab es wiederholt Tage mit mehr als 2.000 gemeldeten Neuinfektionen – am Samstag waren es 2.507, der höchste Wert seit April.
Debatte um private Feiern
RKI-Präsident Lothar Wieler bestätigte den Eindruck, dass viele der aktuellen Corona-Infektionen in Deutschland auf private Zusammenkünfte zurückzuführen sind. „Die Menschen stecken sich derzeit hauptsächlich im privaten Umfeld an, also auf Partys, Hochzeitsfeiern, Beerdigungen, auch im Gottesdienst“, sagte er der Welt am Sonntag. Der private Bereich spiele „die große Rolle“.
Dagegen sei das Risiko einer Ansteckung in Betrieben bisher nicht so hoch, sagte Wieler. Es habe zwar sehr spektakuläre Ausbrüche gegeben, aber nicht sehr viele. „Die meisten Betriebe scheinen die Pandemie gut zu managen.“ Auch in Geschäften gebe es bislang ganz wenige Ansteckungen, sagte der RKI-Chef. An Schulen gebe es mittlerweile einige Ausbrüche. Dies müsse gut analysiert werden.
Wegen vieler Coronaansteckungen bei Privatveranstaltungen waren zuletzt Rufe nach strengeren Teilnehmergrenzen laut geworden. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, plädierte im Radiosender NDR Info für eine bundeseinheitliche Obergrenze von 50 Teilnehmern. „Das ist eine Zahl, bei der die Gesundheitsämter die Kontakte noch gut nachverfolgen können und das ist das Entscheidende, um die Ausbreitung einer Infektion unter Kontrolle zu halten“, sagte sie.
Ebenfalls für eine bundesweit einheitliche Obergrenze private Feiern spricht sich die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU), aus. „Maximal 50 Teilnehmer hielte ich angesichts des derzeitigen Infektionsgeschehens für angemessen“, sagte Maag der Welt. Weitere generelle Verschärfungen des Corona-Regelwerks sowie die von der SPD geforderte einheitliche Maskenpflicht lehnt Maag dagegen ab: „Entsprechende Maßnahmen erfahren eine höhere Akzeptanz, wenn sie auf lokaler Ebene veranlasst werden“.
Wie die SPD-Fraktion fordert auch die Linke im Bundestag eine Vereinheitlichung der Corona-Regeln und eine Maskenpflicht an belebten Orten. „Es muss bundeseinheitlich festgelegt werden, dass überall dort Masken zu tragen sind, wo der erforderliche Abstand nicht eingehalten werden kann. Dies gilt auch für den öffentlichen Raum“, sagte Linke-Gesundheitsexperte Achim Kessler.
Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Detlev Spangenberg, betonte dagegen, dass seine Partei weiterhin „nicht von einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite“ ausgehe. „Wir halten die aktuellen Maßnahmen für völlig überzogen, kontraproduktiv und somit auch gefährlich für die Gesellschaft.“
Die Grünen-Fraktion forderte Bundesregierung und Ministerpräsidenten auf, ihre Politik vor allem besser zu erklären. FDP-Gesundheitsexperte Michael Theurer sprach sich gegen weitere konkrete bundespolitische Vorgaben zur Pandemie-Bekämpfung aus. „Die Regeln für private und öffentliche Feiern müssen weiterhin in der Hoheit der Länder sein.“
Angesichts steigender Corona-Zahlen hatte sich der Landkreistag am Wochenende für eine einheitliche Obergrenzen von 50 Menschen bei Privatfeiern eingesetzt. Und der Städte- und Gemeindebund verlangte bei hohen Infektionszahlen eine Ausweitung der Maskenpflicht auf belebte Plätze und Weihnachtsmärkte.
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kündigte in der Welt am Sonntag an, in seinem Bundesland zum 1. Oktober die Schutzverordnung mit Blick auf private Feiern zu verschärfen. Feiern mit mehr als 50 Gästen in angemieteten Räumen müssten dann dem Gesundheitsamt zwei Wochen vorher mit kompletter Gästeliste gemeldet werden. Feiern in privaten Räumen sollten davon aber ausgenommen sein.
Ein einheitlicher Kurs der Länder bei der Frage nach Beschränkungen der Gästezahlen bei privaten Feiern zeichnet sich unterdessen nicht ab. Die Länderchefs sind sich hier nicht einig.
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