Bundestag debattiert GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Berlin – Das Gesetz zur Stabilisierung der Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, GKV-FinStG) soll nur ein erster Schritt auf dem Weg zu grundlegenden Strukturreformen im Gesundheitswesen sein. Das kündigten die Regierungsfraktionen heute bei dessen erster Lesung im Bundestag an. Regierungsfraktionen und Opposition lieferten sich einen harten Schlagabtausch.
Eigentlich hatte sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in den vergangenen Wochen mit Kritik an seinem Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU) zurückgehalten. Selbst dann, wenn er seinen Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verteidigen musste, verwies er nur am Rand auf die Finanzsituation, die er bei Amtsantritt im Dezember des vergangenen Jahres vorgefunden hatte.
Die Notwendigkeit, ein Loch von mindestens 17 Milliarden Euro stopfen zu müssen, habe er aus der vorhergehenden Legislaturperiode geerbt, betonte er auch heute bei der ersten Lesung des Entwurfs im Bundestag. Dieses geerbte Defizit wolle er trotz seiner historischen Größe beseitigen, „ohne Schuldzuweisungen“ auszusprechen.
Das übernahmen die Mitglieder der Regierungsfraktionen für ihn. Es sei Lauterbach hoch anzurechnen, dass er Spahn nicht kritisieren wolle. „Fakt ist aber, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat“, betonte Parteigenosse Christos Pantazis. „Er hat es trotz guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen nicht vermocht, Strukturreformen anzugehen, sondern hat sich auf populärere Leistungserweiterungen beschränkt.“
Von SPD über die Grünen bis zur FDP war dieser Vorwurf in abgewandelter Form immer wieder zu hören, um der Union den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es sei „ein Offenbarungseid 16 Jahre unionsgeführter Gesundheitspolitik“, dass CDU und CSU nun „die große Klagemauer“ auffahren würden, erklärte die Grüne Maria Klein-Schmeink. Sie seien schließlich selbst an der Situation schuld, die die Ampelregierung nun beheben muss.
Auch die fand nämlich deutliche Worte. „Das ist ein Versorgungsdestabilisierungsgesetz“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) als Vertreter des Bundesrats. „Wir steuern auf einen Kassencrash zu, auf einen Blackout der Versorgung.“ Lauterbach widerspreche seinem Mantra, dass es keine Leistungskürzungen gebe, vor allem mit der Abschaffung der Neupatientenregelung: „Wissen Sie, was das ist? Das ist eine Leistungskürzung. Das können Sie schönreden, wie Sie wollen. Machen Sie sich doch ehrlich.“
Lauterbach schade mit seiner Politik auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland. So habe er die Pharmaindustrie vor den Kopf gestoßen, indem er sich dem Dialog mit ihr verweigerte. „In der Wirtschaft geht es auch um Vertrauen“, sagte Holetschek. „Wenn Unternehmen den Rahmenbedingungen nicht mehr vertrauen können, verlassen sie den Standort.“ Lauterbach den Innovations- und Forschungsstandort Deutschland kaputtmachen.
Tino Sorge aus der Unionsfraktion versuchte den Spieß umzudrehen: „Ich bin immer wieder erstaunt, wenn die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD so tun, als hätten sie die letzten Jahre nicht mitregiert.“ Lauterbach lasse vor allem die Krankenhäuser mit ihren explodierenden Kosten im Stich, treibe sie gar in die Insolvenz. „Handeln Sie endlich, kommen sie aus dem Ankündigungsmodus heraus.“
Die Ampelparteien reagierten darauf mit großen Ankündigungen: Die jetzt angestrebte Hebung von Effizienzreserven sei nur der erste Schritt, erklärte die Sprecherin der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Fraktion, Heike Baehrens. In einem zweiten Schritt würden „langfristig wirksame Strukturmaßnahmen“ folgen, die bis Ende Mai 2023 vorgelegt werden.
Was damit unter anderem gemeint ist, kündigte der Grüne Janosch Dahmen an: Selbstverständlich würden die Ampelparteien den Koalitionsvertrag umsetzen und die Übernahme der GKV-Beiträge von Arbeitslosengeld-II-Beziehenden neu regeln. Bisher ist das Bundesgesundheitsministerium hier noch nicht tätig geworden. Auch die Krankenhauskommission werde noch weitere Vorschläge für tiefgreifende Strukturreformen erarbeiten.
Die Union hingegen falle durch „unredliche Oppositionsarbeit“ auf, schließlich habe sie keine Gegenvorschläge, wie das Defizit behoben werden kann. Das hatte auch Klein-Schmeink der Union vorgeworfen. Neben der geplanten Krankenhausstrukturreform brauche es auch eine „Reform er Versorgung insgesamt“, inklusive Gesundheitszentren, Ambulantisierung und integrierter Versorgung. „Da höre ich von der CDU nichts außer der Klage, wir brauchen mehr Hausärzte.“
Der FDP-Abgeordnete Maximilian Mordhorst stieß in dieselbe Kerbe: Die CDU habe ständig neue Idee, wo man Geld ausgeben könnte, aber keine eigenen Finanzierungsideen. Holetschek habe fünf Stunden Anreise aus Bayern auf sich genommen, ohne dann zu erklären, was er eigentlich machen wolle: „Das kann doch nicht alles für ein Selfie mit Jens Spahn sein.“
Der Linken-Abgeordnete Ateş Gürpınar lieferte auch keine konkreten Vorschläge, wurde aber grundlegend: Die angestrebten Einsparungen von 17 Milliarden Euro würden nicht ausreichen. Außerdem belaste der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form die Falschen, er sei sozial ungerecht.
Lauterbach selbst hob ebenfalls auf soziale Gerechtigkeit ab. „Eine faire Verteilung auf alle Schultern ist richtig und die stärksten Schultern müssen das meiste tragen“, erklärte er und deutete an, dass auch die Kassen künftig genauer aufs Geld schauen müssen. „Es gibt Krankenkassen, deren Vorstände deutlich mehr verdienen als der Bundeskanzler. Auch darüber muss man nachdenken.“
Kritik, wonach die Beitragszahler zu stark belastet würden, wie er ebenfalls zurück. „90 Prozent dieser Reform werden nicht durch die Erhöhung des Beitragssatzes auf Arbeitnehmerseite finanziert.“ Die 10 Prozent, die durch die Beitragserhöhung hereingeholt werden, seien zumutbar.
Auch er kündigte an, dass die großen Veränderungen erst noch kommen. So müssten unter anderem die Beiträge von ALG-II-Beziehenden neu geregelt und der Bundeszuschuss dynamisiert werden. „Wir brauchen langfristig eine wesentliche Strukturreform der Krankenkassenfinanzierung“, sagte er. „Ich bitte um Verständnis, dass wir erst einmal die Effizienzreserven heben müssen.“
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