„Das NRW-Modell ermöglicht spürbare Strukturverbesserungen“
Berlin – Ein Kernpunkt der geplanten Krankenhausreform sind die Leistungsgruppen für die einzelnen Krankenhäuser. Nordrhein-Westfalen (NRW) gilt hier als sogenannte Blaupause. Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis (Mitglied der Regierungskommission Krankenhausreform) und die beiden Gesundheitsökonomen Prof. Dr. rer. pol. Boris Augurzky und Prof. Dr. med. Reinhard Busse haben in einem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt vorläufige Zahlen analysiert und kommen zu dem Schluss, dass noch ungenutztes Potenzial besteht. Dr. Simon Loeser, Bereichsleiter Stationäre Versorgung bei der AOK-Rheinland/Hamburg, sieht dies anders, wie er im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt erläutert.

5 Fragen an Dr. Simon Loeser, Bereichsleiter Stationäre Versorgung bei der AOK-Rheinland/Hamburg
Sie sagen als Replik auf den Beitrag der Autorengruppe um Karagiannidis et al., dass Leistungsgruppen für die Krankenhausplanung zwingend nach Qualitäts- und Steuerungsrelevanz sowie Praktikabilität und Kompatibilität mit den bestehenden Rahmenbedingungen abzugrenzen sind. Warum und was heißt das in der Praxis?
Das Ziel der Differenzierung der Krankenhausplanung in NRW ist die Sicherung und Verbesserung der Versorgung und der hierfür notwendigen Strukturen. Daher bestand der erste Schritt zur Abgrenzung der Leistungsgruppen in einer Verständigung darüber, in welchen Bereichen für die Behandlungsqualität bedeutsame Zentralisierungspotenziale bestehen oder die Laissez-faire-Planung der letzten Dekade erkennbar einen ruinösen Fallzahlwettbewerb zwischen den Kliniken zugelassen hat. Wo beides nicht feststellbar war, haben wir auf eine differenzierte Planung verzichtet.
Die jetzige Phase der Umsetzung zeigt, dass das eine gute Entscheidung war. Denn bereits mit 60 somatischen Leistungsgruppen ist der Planungsprozess höchst komplex. Das zweite Filterkriterium der Praktikabilität und Kompatibilität ist ebenso wichtig, denn die Zuweisung einer spezifischen Leistungsgruppe hat nicht nur die Konsequenz, dass die begünstigte Klinik die Leistung erbringen darf, sondern vor allem, dass die anderen es nicht mehr dürfen. Die Leistungen müssen also über die medizinischen Dokumentationssysteme spezifisch abbildbar sein, um verbindlich steuern zu können und Versorgung nicht arbiträr zu unterbinden.
Sie kritisieren zudem, dass im Eckpunktepapier zwischen Bund und Ländern fünf neue Leistungsgruppen eingeführt worden sind. Ihrer Meinung sind diese nicht notwendig, sondern „interessengetrieben“. Erläutern Sie dies bitte.
Die von einigen medizinischen Fachgesellschaften eingebrachten zusätzlichen Leistungsgruppen erfüllen die beiden zuvor erläuterten Kriterien nicht. Wie soll eine Leistungsgruppe „Notfallmedizin“, die etwa die Hälfte der stationären Fälle umfasst und fachlich einen Querschnitt über alle medizinischen Gebiete darstellt, in das System integriert werden, ohne es auf der Stelle komplett zu entwerten? Aus der Stellungnahme der AWMF zum Stand der Krankenhausreform vom 08.11.2023 geht hervor, dass die Forderungen nach zusätzlichen Leistungsgruppen aus der Angst resultieren, dass nicht separat definierte Leistungen in Zukunft keine Vorhaltevergütung erhalten. Nach aktuellem Kenntnisstand ist diese Angst unbegründet.
Das heißt natürlich nicht, dass es keine sinnvollen Ergänzungen zur Systematik gäbe. Über Vorschläge wie Schulterchirurgie oder Kolonkarzinom hätte ich beispielsweise gerne diskutiert.
Sie halten die Aussage, die Mindeststrukturvoraussetzungen in Nordrhein-Westfalen seien im Verhältnis zum Schweizer-Planungssystem niedriger für nicht richtig. Sie sagen, insbesondere die personellen Anforderungen wären in NRW sogar höher. Kann man dies beziffern?
Der Vergleich der Strukturvoraussetzungen hat nur eine mäßige Aussagekraft, weil diese im jeweiligen Kontext der folgenden Auswahlentscheidung wirken. Beispielsweise werden die Anforderungen an die Facharzttitel von den Kantonen teilweise abweichend von der Zürcher Vorgabe definiert.
Zwei Qualitätskriterien haben sich in den Verhandlungen in NRW als besonders diskriminativ herausgestellt. Einmal die Forderung nach drei festangestellten Ärztinnen und Ärzten mit der konkreten Facharztkompetenz, und zwar in Vollzeitäquivalenten. Und zweitens die Vorhaltung von interdisziplinär relevanten weiteren Leistungsgruppen am gleichen Standort, für die wiederum drei FÄ nachgewiesen werden müssen. So sind in einer Klinik mit der LG Ovarialkarzinom nicht nur mindestens drei FÄ für Frauenheilkunde und Geburtshilfe verfügbar, sondern auch mindestens drei chirurgische FÄ, mindestens drei internistische FÄ sowie mindestens drei erfahrene Intensivmedizinerinnen und -mediziner in Festanstellung. In der SPLG-Systematik aus Zürich sind die Anforderungen anders formuliert. Es ist eine jederzeitige „Erreichbarkeit“ sowie eine maximale Wartezeit auf eine fachärztliche Präsenz definiert (meist eine Stunde bis zur Intervention). Dabei werden regelhaft auch Beleg- und Konsiliarärztinnen und -ärzte angerechnet. „Inhouse“-Verknüpfungen von Leistungsgruppen sieht das System zwar ebenfalls vor, sie sind aber in geringerer Zahl definiert.
Den Vorwurf, dass die konsentierten Mengen in NRW zum Teil unter der Mindestmenge liegen, ist ihrer Meinung nach nicht richtig? Warum?
Der Vorwurf übersieht, dass die Mindestmengenregelungen des G-BA unverändert weiter gelten. Hier werden Mindestmengen mit Planzahlen verwechselt, die ihre eigentliche Funktion bei der Bestimmung der benötigten Anzahl an Standorten haben. Auch jenseits der mindestmengenrelevanten Leistungen unterschätzt der Artikel den Konzentrationseffekt erheblich, wie er sich schon aus dem bisher erreichten Zwischenstand ergibt. So reduziert sich beispielsweise in der Gefäß- und der Thoraxchirurgie, bei großen Darmeingriffen oder beim Wechsel von künstlichen Hüftgelenken die Zahl der Versorgungsaufträge teilweise um mehr als die Hälfte.
Zusammenfassend kommen Sie im Gegensatz zu Karagiannidis et al. zu dem Schluss, dass beim jetzigen Zwischenstand der neuen Krankenhausplanung in NRW es bereits zu der beabsichtigten Schwerpunktbildung beziehungsweise Konzentration kommt. Ist das NRW-Modell ausreichend oder muss hier noch nachjustiert werden?
Das NRW-Modell ermöglicht spürbare Strukturverbesserungen in vielen steuerungsrelevanten Bereichen. Ein ähnlich tragfähiges Alternativmodell sehe ich nicht. Deswegen ist es richtig, mit dem NRW-Modell zu starten und dann erfahrungsbasiert in die Weiterentwicklung zu gehen. Dazu sind konstruktive Kritik und fundierte Ergänzungsvorschläge willkommen. Mit einer oberflächlichen Interpretation vorläufiger Daten hingegen wird man den Ergebnissen der intensiven mehrjährigen Arbeit der Beteiligten (auch zweier Landesärztekammern) aus meiner Sicht nicht gerecht. Die Ungeduld, qualitätsrelevante Zentralisierungen umfassend und umgehend umzusetzen, ist nachvollziehbar. Aber in der Krankenhausplanung umarmen sich Medizin, Ökonomie, Verwaltungsrecht und Politik, und wir bräuchten mehr Debattenbeiträge mit entsprechenden Transferleistungen.
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