Politik

Die Krankenhausreform kommt und mit ihr erneute Mahnungen

  • Freitag, 22. November 2024
/picture alliance, Daniel Bockwoldt
/picture alliance, Daniel Bockwoldt

Berlin – Die Krankenhauslandschaft in Deutschland wird umfassend reformiert. Der Bundesrat billigte heute das Krankenhausversorgungsverbesse­rungs­gesetz (KHVVG) und rief nicht den Vermittlungsausschuss an. Die Ent­scheidung führte bei den Akteuren im Gesundheits­wesen zu mahnenden Worten.

Die Reform soll die Zahl von derzeit 1.900 Klinikstandorten – psychiatrische und psychosomatische Kliniken mitgerechnet – deutlich reduzieren, bei höherer Qualität und besserer Finanzierung. Kernstück ist ein neues Vergütungssystem.

Dazu sollen die Fallpauschalen künftig nur 40 Prozent der Vergütung ausmachen. Die rest­lichen 60 Prozent sollen Kliniken für das Vorhalten von Personal, Räumlichkeiten oder notwendiger Medizin­technik erhalten.

In strukturell schwächeren Regionen sollen notwendige Krankenhäuser erhalten werden und besondere Förder­mittel erhalten. Außerdem soll es die Möglichkeit für sektorübergreifende und integrierte Gesundheitszentren geben. Auch bei der Personalbemessungen und Bürokratie gibt es Änderungen. Zur Finanzierung der gesamten Reform ist ein Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro geplant – von Bund und Ländern.

Kritiker hatten stets falsche Anreize und zu starre Vorgaben bemängelt. Viele Länder befürchten Klinikschließun­gen insbesondere auf dem Land und hätten sich dringend weitere Nachbesserungen gewünscht.

Noch viel zu tun

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), machte deutlich, dass die Aufgaben von Bund und Ländern „noch lange nicht“ erledigt sind. Es gebe noch „zahlreiche Leerstellen“, die in den nächsten Wochen und Monaten geschlossen werden müssten.

„Die Reform kann nur gelingen, wenn der Bund mit den Ländern zusammenarbeitet und stärker als bisher auf die Hinweise aus der Praxis hört“, sagte Reinhardt. Das gelte für die konkrete Umsetzung des nun beschlossenen Gesetzes, aber auch für notwendige gesetzliche Nachbesserungen, die in der neuen Legislaturperiode kommen müssten.

Das parlamentarische Verfahren hatte aus Sicht der Bundesärztekammer bereits in einigen Bereichen Verbesse­rungen gebracht, etwa mit Blick auf die Berücksichtigung der ärztlichen Weiterbildung oder der ärztlichen Per­so­nalausstattung. Diese Aspekte seien essenziell, da die Personalausstattung den Dreh- und Angelpunkt für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung darstelle, so Reinhardt.

Aus seiner Sicht kommt es nun zunächst darauf an, die Leistungsgruppensystematik schnell und sachorientiert anzupassen. Außerdem braucht es demnach schnell Lösungen, wie die ärztliche Weiterbildung unter den ver­änderten Bedingungen gesichert werden kann. Dazu müssten die Finanzierung gesichert und auch bessere arbeitsrechtliche Voraussetzungen für Weiterbildungsverbünde geschaffen werden, erklärte Reinhardt.

Er betont, dass auch die Vorhaltevergütung weiterentwickelt werden müsste, da sie in der aktuellen Form „weder das Ziel einer fallzahlunabhängigen Betriebsmittelfinanzierung noch eine substanzielle Ablösung der DRG-Vergütungssystematik erreicht“.

Die Fehlanreize des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems müssten korrigiert werden, um versorgungs­notwendigen Krankenhäusern eine stabile wirtschaftliche Grundlage für eine bedarfsgerechte Patientenversor­gung zu geben. Nicht zuletzt sei für gezielte Anpassungen der Reformkomponenten ein zuverlässiges und transparent verfügbares Auswirkungstool unerlässlich, das in den kommenden Wochen und Monaten auszu­arbeiten sei.

Um den Krankenhäusern sowie ihren Beschäftigten die dringend nötige Planungssicherheit zu geben, müssen aus Sicht der Bundesärztekammer Bund und Länder in den nächsten Monaten trotz Wahlkampf und Regierungs­bildung sachorientiert an der Umsetzung und den notwendigen Rechtsverordnungen arbeiten.

Wo gesetzliche Anpassungen nötig sind, muss eine neue Regierung diese zeitnah umsetzen. Nur so kann die Krankenhausversorgung zum Wohl der Patientinnen und Patienten sowie der Beschäftigten in den Krankenhäu­sern zukunftsfest und nachhaltig gestaltet werden.“

Der Hartmannbund appelliere an alle Beteiligten, im Rahmen der Umsetzung des Gesetzes mit Augenmaß vor­zugehen und die berechtigten konstruktiven Einwände – nicht nur vieler Bundesländer – doch noch zu berück­sichtigen und vor allem die Grundversorgung der Bevölkerung nicht aus den Augen zu verlieren. „Hier ist jetzt unbedingter politischer Pragmatismus gefordert – vor allem auch mit Blick auf die Planungssicherheit von Kliniken und Kommunen, aber auch der Länder.“

Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, sieht Licht und Schatten. „Viele der angekündigten Ziele werden gar nicht oder nur zum Teil erreicht“, sagte sie. Das liege auch daran, wie der Reformprozess in den vergangenen zwei Jahren abgelaufen sei. Mehr Kooperation zwischen Bund und Ländern hätte zweifellos die Chance eröffnet, praktikable Lösungen zu finden, die der notwendigen Versorgungssicherheit Rechnung tragen.

Sie betonte, das jetzt vorliegende Ergebnis müsse „noch den Realitätstest bestehen“. Offenkundige Defizite müssten in der neuen Legislaturperiode beseitigt und Bürokratie abgebaut werden. „Darauf werden wir unser besonderes Augenmerk richten, wenn die neue Bundesregierung nach den Wahlen im nächsten Jahr ins Amt kommt“, sagte Johna.

Auf der Habenseite sei zweifellos die in dem Gesetz verankerte Refinanzierung der Tariflohnsteigerungen zu verbuchen. „Unsere größte Sorge aber ist, dass eine ausreichende Vorhaltung von Versorgungsmöglichkeiten in Krisenfällen im Sinne einer dringend notwendigen Resilienzstrategie für das Gesundheitswesen durch den politisch gewollten Kapazitätsabbau nicht mehr gewährleistet ist.“

Wichtige Nachricht für gesellschaftliche Herausforderungen

„Deutschland hat gezeigt, dass es selbst in dem extrem schwierigen Umfeld des Gesundheitswesens reformieren kann. Das ist eine ganz, ganz wichtige Nachricht für die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft“, sagte Christian Karagiannidis, Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

Der Leitende Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin am Klinikum Köln-Merheim geht davon aus, dass die Reform schrittweise die Qualität der Versorgung durch Zentralisierung und weniger Gelegenheitsversorgung steigern wird. Sie sei für die Patien­tensicherheit und Qualität ein ganz wichtiger Schritt nach vorne, vor allem in der Krebsmedizin so Karagian­nidis.

„Kurzfristig wird man nun in der Patientenversorgung noch nicht viel spüren. Dazu sind erst einmal eine Menge Strukturanpassungen nötig, die Zeit in Anspruch nehmen“, betonte Boris Augurzky, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, und Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

Augurzky geht davon aus, dass man perspektivisch nach der Bundesratsentscheidung eine größere Schwer­punkt­bildung erleben werde, „besonders bei spezialisierten Leistungen wie zum Beispiel in der Onkologie und in der Endoprothetik.“

„Es stehen im kommenden Jahr noch Rechtsverordnungen zu den neu einzuführenden Leistungsgruppen an. Auch sind noch einige technische Details des neuen Vergütungssystems, das an diese Leistungsgruppen andockt, zu klären. Die wichtigste Aufgabe wird aber sein, in den Regionen die Krankenhauskapazitäten an das neue Zielbild anzupassen. Dazu sind Investitionen und personelle Veränderungen nötig.“

„Unmittelbar gibt es nun etwas mehr Geld, das den Krankenhäusern auch kurzfristig hilft“, erläuterte Reinhard Busse, Technische Universität Berlin, Mitglied des Fachbeirats des Bundesgesundheitsministeriums sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

Im Mittelpunkt stünden allerdings bei Weitem die perspektivischen Änderungen durch zielgenauere Zuweisung des Leistungsspektrums aufgrund von Mindestanforderungen an Personal und technische Ausstattung pro Leistungsgruppe sowie der ebenfalls auf Leistungsgruppen beruhenden Vorhaltefinanzierung.

„Sofern die Leistungsgruppenzuweisung durch die Bundesländer wie im Gesetz vorgesehen umgesetzt wird, kommt es dann tatsächlich zur intendierten Umgestaltung der Krankenhauslandschaft“, sagte Busse. Er erwartet als Effekte weniger unnötige stationäre Behandlungen, dafür aber eine bessere Qualität für die Patienten, die stationär versorgt werden sollten, unter anderem durch mehr Personal pro verbleibenden Fall, aber auch Stabilität für den neugestalteten Krankenhaussektor.

Kritik von den Kliniken

„Mit ihrem Beschluss haben die Bundesländer die letzte Chance auf eine gute parteiübergreifend konsentierte Krankenhausreform in dieser Legislaturperiode verpasst“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß. Das Gesetz werde das Gegenteil von dem bewirken, was sein sperriger Name verspreche.

Gaß geht davon aus, dass sich die Versorgung in Deutschland nicht verbessern, sondern vielfach verschlechtern wird. Diese werde in einigen Regionen sogar ganz wegbrechen, glaubt er. „Der politische Streit um den richtigen Weg wird bis weit in das kommende Jahr weitergehen. Mit diesem Beschluss ist praktisch nichts gewonnen, die wirtschaftliche Notlage und die Unsicherheit für die Kliniken bleibt bestehen.“

Der DKG-Chef rief eine neue Bundesregierung auf, einen radikalen Neustart im Gesundheitsressort vorzuneh­men, um dieses „untaugliche Reformgesetz“ umgehend zu Beginn der Legislaturperiode nachbessern zu können.

Auch der Deutsche Caritasverband und der Katholische Krankenhausverband zeigten sich enttäuscht. „Der Caritas­verband sieht mit großer Sorge das Engagement vieler katholischer Träger im Krankenhausbereich ernsthaft gefährdet, denn weder Ordensgemeinschaften noch Caritasstiftungen oder andere freigemeinnützige Träger können dauerhaft rote Zahlen schreiben, ohne insolvent zu gehen“, sagte Verbandspräsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.

Die Private Krankenversicherung beklagt ebenfalls, dass das Gesetz nicht korrigiert wurde. „Der Bundesrat hat sich leider gegen die notwendige Korrektur der Krankenhausreform entschlossen. Den Versicherten droht jetzt ein massiver Kostenschub“, sagte Florian Reuther, Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung.

Die Bezahlung von Investitionen auf ihre Kosten anstatt aus dem gesamtstaatlichen Steueraufkommen sei zu­dem verfassungswidrig. Durch die geplante Vorhaltevergütung nach dem Motto ‚Geld ohne Leistung‘ drohten zudem neue Versorgungsmängel zulasten der Patienten.

„Denn nach diesem Gesetz können Kliniken künftig ihre Einnahmen steigern, indem sie weniger Leistungen für Patienten erbringen. Eine Reform kann die Versorgung nur dann verbessern, wenn die Krankenhaus-Entgelte sich auch zukünftig an Qualität und Leistung orientieren.“

Vom AOK-Bundes­verband wurde die Abstimmung mit Erleichterung wahrgenommen. Es brauche bei der Ausge­staltung noch Außenmaß und Nachbesserungen. Aber ein vollständiges Scheitern der Reform wäre viel schlimmer gewesen.

„Trotz aller Mängel ist das KHVVG eine solide Basis für die dringend notwendigen Strukturreformen zur Verbes­serung der Behandlungsqualität und zur finanziellen Absicherung der bedarfsnotwendigen Kliniken. Denn es schafft einen guten Rahmen für die Festlegung der Leistungsgruppen in Verbindung mit der Einführung einer sinnvollen Vorhaltefinanzierung“, sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann.

Dennoch sei es noch nicht ausgemacht, dass die im Gesetz vorgesehenen Verbesserungen in der Praxis auch tatsächlich greifen würden. Ob es mit dem notwendigen qualitätsorientierten Strukturwandel klappe, hänge maßgeblich von den Rechtsverordnungen ab, die Anfang nächsten Jahres noch zwischen Bundesgesundheits­ministerium und Ländern verhandelt werden müssten.

Darin sollen beispielsweise die Leistungsgruppen und die konkreten Qualitätsvorgaben für die Krankenhäuser verbindlich definiert werden.

may/cmk/kna/dpa/afp

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