Politik

Digitalisierung und bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit zentral bei Arzneimittel­therapiesicherheit

  • Donnerstag, 24. Oktober 2024

Berlin – Die Digitalisierung des Gesundheitswesens eröffnet die größten Potenziale für die Fortentwicklung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) – allerdings müssen vor allem in der interdisziplinären Zusammenarbeit strukturelle Verbesserungen durchgesetzt werden, um diese zu heben. Darüber herrschte heute breite Einigkeit beim 6. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie.

Insbesondere die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ab dem kommenden Jahr werde die AMTS „eine Meile nach vorn katapultieren“, erklärte die Kongresspräsidentin und Leiterin der Koordi­nierungsgruppe AMTS, Petra Thürmann.

Ab Januar soll die ePA eine automatische Medikationsliste beinhalten, die ab Jahresmitte zum sogenannten Medikationsmanagement ausgebaut werden soll. Dieses soll dann mehr Informationen enthalten, von ärztlicher Seite bearbeitet werden können und neue Möglichkeiten zur Kontrolle von Wechsel- und Nebenwirkungen er­öffnen.

Die ePA müsse „die zentrale Plattform sein, um alle relevanten Medikationsdaten zu bündeln und den Austausch zwischen Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern sowie Pflegefachpersonen zu erleichtern“, sagte Thürmann. „Die Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen müssen direkt in der Versorgung für alle spürbar sein.“

Damit das gelingt, müssten jedoch einige Herausforderungen überwunden werden, die auch politisch nicht ohne Weiteres bearbeitet werden können, insbesondere die technische Infrastruktur der Praxisverwaltungs- und Krankenhausinformationssysteme (PVS und KIS).

Es sei „essenziell, dass die verschiedenen digitalen Systeme im Gesundheitswesen nahtlos miteinander kommu­nizieren, um eine durchgängige und sichere Medikationsdokumentation zu gewährleisten“, erklärte Thürmann.

„Die größten Blockierer sind im Moment die PVS- und KIS-Hersteller, die keine ausreichenden Schnittstellen und Interoperabilität schaffen“, kritisierte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub. „Ich teile diese Auffassung aus meiner Sicht“, stimmte ihm der Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte und Bio­technologie im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Thomas Müller, zu.

Allerdings seien die Zugriffsmöglichkeiten des Gesetzgebers auf die Hersteller begrenzt. „Wir können da im So­zialgesetzbuch Standards vorschreiben, aber wir sind nicht in einer Staatswirtschaft“, betonte er. „Man kann den Programmierern nicht sagen, was zu tun ist, aber man kann Normen setzen, die Voraussetzung für eine Zerti­fizierung sind“, wandte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, ein.

„Das hätte man schon vor langer Zeit tun können. Dann wäre wir heute in puncto Interoperabilität weiter“, so Reinhardt weiter. „Wir sind an einem Kreuzungspunkt beim Thema AMTS und wollen das als Bundesärzte­kammer konstruktiv begleiten.“

Es sei in diesem Zusammenhang auch ein schlechtes Signal, dass die eigentlich für 2025 vorgesehene Ein­führung von elektronischen Betäubungsmittelrezepten nun offenbar verschoben werde. „Dass ein solches Vorgehen die Digitalisierung im Gesundheitswesen konterkariert, versteht sich von selbst“, kritisierte er. Er möchte das BMG deshalb bitten, zu prüfen, ob eine fristgerechte Umsetzung nicht doch möglich ist.

Auch beim kommenden 6. Aktionsplan AMTS des BMG werde die Digitalisierung eine zentrale Rolle spielen, betonte Müller und erklärte, dass dessen Finanzierung sichergestellt sei. Sie hoffe darauf, dass das BMG den Plan Anfang kommenden Jahres freigeben wird, unterstrich Thürmann.

Im Kontext der AMTS spielt die Interoperabilität auch deshalb eine zentrale Rolle, weil nach Ansicht aller Be­teiligten eine engere Zusammenarbeit über die Sektoren hinweg notwendig ist – sei es zwischen ambulantem und stationärem Bereich oder zwischen den verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen.

„Damit alle Errungenschaften der Arzneimitteltherapiesicherheit unsere Patientinnen und Patienten erreichen, ist die gelebte interprofessionelle Zusammenarbeit der entscheidende Faktor“, erklärte der Kongresspräsident und Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Wolf-Dieter Ludwig. Dazu ge­hörten auch „interprofessionelle Sicherheitsnetze“, die das Durchrutschen von Fehlern und insbe­sondere gefährliche Wechselwirkungen verhinderten.

Auch hier könne die Politik nur „Impulse geben und Räume schaffen, in denen Evidenz generiert wird“, betonte Müller. „Wir sind eben nicht der staatliche NHS, sondern ein selbstverwaltetes System.“ Neue Konzepte zur Zu­sammenarbeit und Abstimmung könnten nicht von oben herab durchgesetzt werden.

Eine besondere Rolle spielen dabei Modell- und Pilotprojekte, die zum Teil vom Innovationsfonds gefördert werden. Allerdings könne auch dieser nur ein Impulsgeber sein. „Nicht alles, was im Innovationsfonds funktio­niert, funktioniert dann auch im System.“

Das habe man bereits bei mehreren Projekten feststellen müssen. So habe die Verblisterung von Arzneimitteln in Pflegeheimen zwar „unter artifiziellen Bedingungen“ funktioniert, sei aber in der Realität an vielen kleinen Hürden gescheitert.

So habe das Pflegepersonal, das an den Projekten teilnahm, sich natürlich intensiv mit Medikation und den ver­wendeten Arzneimitteln auseinandergesetzt, was im Alltag angesichts der Arbeitsbedingungen nicht immer möglich sei.

Dass solche Projekte oft in künstlichen Set-ups stattfinden und nicht ausreichend an den Versorgungsalltag ge­koppelt sind, kritisierte auch der ärztliche Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg, Attila Altiner.

Die Probleme würden jedoch noch tiefer reichen. „Wir haben ein großes medizinkulturelles Problem“, sagte er. Es gebe „nicht nur keine technische, sondern auch keine kulturelle Schnittstelle“ zwischen Ärzten und Apothe­kern.

Es müssten endlich Vorbehalte gegen eine engere Zusammenarbeit abgebaut und mehr Kenntnisse über die jeweils anderen Arbeitsinhalte geschaffen werden. Zudem spiele AMTS aus in der ärztlichen Aus- und Weiter­bildung noch eine zu geringe Rolle. Zwar komme das Thema durchaus vor, aber eben nicht nicht vollziehbar, weil es zu wenig systematisiert sei.

lau

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