Diskussion um Datenerhebung und Datennutzung im Gesundheitswesen

Berlin – Das öffentliche Interesse an der Nutzung von Daten aus dem Gesundheitswesen ist in der Coronapandemie deutlich angestiegen. Gleichzeitig ringen Forschung sowie Institutionen im Gesundheitswesen darum, wie Daten erhoben werden können und wie diese zu interpretieren sind.
„Ich mache mich dafür stark, dass wir die richtigen Daten auswählen und nutzen. Gerne auch Daten, die bereits vorhanden sind, weil sie routinemäßig eigentlich für andere Zwecke erfasst wurden", sagte Karin Maag, unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung anlässlich der 12. Qualitätssicherungskonferenz des Gremiums.
„Qualitätssicherung ist eine Chance, die Versorgung von Patientinnen und Patienten tatsächlich nachhaltig abzusichern und zu verbessern. Ebenso kann sie helfen, Strukturen und Abläufe zu optimieren sowie Personal und Finanzmittel besser einzusetzen“, so Maag in ihrer Eröffnungsrede weiter.
„Grundsätzlich brauchen wir Daten, um zu sehen, ob die Patientenversorgung bereits dort ist, wo sie sein soll. Das hat uns die Erfahrung der Coronapandemie deutlich gezeigt, als die Qualitätssicherung in der Akutphase richtigerweise zugunsten der Versorgung von Kranken zurückgefahren oder zeitlich befristet ganz ausgesetzt wurde. Aus diesem Zeitraum fehlen uns Daten und damit auch Erkenntnisse.“
Dabei sei ihr bewusst, dass die Datenerfassung in der stationären wie ambulanten Versorgung nicht immer wieder auf Gegenliebe stoße: „Qualitätssicherung entfaltet ihre Kraft für eine gute Patientenversorgung am besten, wenn sie nicht als lästiges Übel gesehen wird, sondern als selbstverständlicher Bestandteil des medizinischen Behandlungsprozesses", sagte Maag. „Was braucht es, um diese Grundeinstellung, die ohne Zweifel bei allen Beteiligten vorhanden ist, nicht zu gefährden? Balance. Wir müssen immer wieder das Verhältnis zwischen Aufwand, Ergebnis und Ziel der Qualitätssicherung anschauen."
Einen kritischen Blick auf die Erhebung und Interpretation von Daten in der Medizin warf Gerd Antes, der langjährige Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums. „Wir nutzen nicht die Daten, die wir bereits haben“, sagte er zur Eröffnung der Konferenz.
Aus seiner Sicht müssten Datenbestände erweitert, werden, auch an einigen Stellen mit Routinedaten. Auch wenn Antes selbst immer skeptisch gegenüber der Nutzung von Routinedaten der Krankenkassen gewesen sei, kann er sich inzwischen vorstellen, dass es einen Mehrwert geben könnte, wenn beispielsweise die vier großen Krankenkassen ihre Daten austauschen würden.
Beim Generieren von Daten in der medizinischen Wissenschaft werde aber auch zu viel doppelte Arbeit geleistet, kritisiert Antes. Es gebe kaum Koordination von Forschung, gerade in der Coronapandemie werde viel wiederholt und somit nicht wirklich an neuen Erkenntnissen gearbeitet.
Allein die Zahl der Studien, die im vergangenen Jahr angekündigt und auf Pre-Printservern publiziert worden seien, sei immens hoch. „Wir befinden uns in der Pandemie in einer riesigen Beobachtungsstudie", erklärte Antes. Er wirbt dafür, dass gerade in solch einer Pandemiesituation das Nicht-Wissen kommuniziert werden müsse. „Wir müssen lernen, dass wir etwas nicht wissen. Die Anerkennung von Unsicherheit muss Teil der Kommunikation werden.“
Fake News und Fake Science, die vor allem in den Sozialen Medien immer mehr um sich griffen, seien eine große Gefahr für die Datenforschung. Diese setze, so kritisiert es Antes, immer mehr auf ein disruptives Modell, bei dem viele Studien nicht mehr auf Reproduzierbarkeit oder Kausalitäten setze.
Die bislang gängige wissenschaftliche Praxis – „orthodoxen" Methoden wie Antes sie nennt –, denen Transparenz, Wiederholbarkeit, Qualität und eine klare Fragestellung zugrunde liegt, werde immer öfter nicht mehr eingehalten.
Antes kritisierte auch, dass der neu eingerichtete Expertenbeirat, der laut Infektionsschutzgesetz das Pandemiemanagement in Deutschland bewerten soll, nicht alle notwendigen Disziplinen umfasst. So fehle es an Public Health Experten oder an Epidemiologen.
Einen anderen Weg in der Reflexion über die Pandemie sei beispielsweise Norwegen gegangen: Dort gibt es ein neu gegründetes „Centre of Epidemic Intervention Research“ (CEIR), das Strukturveränderungen aber auch die internationale Vernetzung koordinieren soll. Beides fehle in Deutschland.
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