Politik

„Durchbruch“ beim E-Rezept: Vorerst keine Pflicht, aber mögliche Anreize

  • Mittwoch, 1. Juni 2022
Elektronisches Rezept, E-Rezept /Maybaum
/Maybaum

Berlin – Die Einführung des elektronischen Rezeptes (E-Rezept) kommt im September für die Arztpraxen nicht verpflichtend – stattdessen sollen sie Anreize erhalten. Auf ihrer Gesellschafterversammlung beschloss die Ge­matik gestern Abend einen Stufenplan für den Roll-out bis zum Frühjahr 2023, der sich an Qualitätskrite­rien orientieren soll. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) konnte sich nach eigenen Angaben mit ihren Wünschen durchsetzen.

„Das ist ein Durchbruch für die Digitalisierung“, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum Beschluss des Gesellschafterrats der Agentur, die zu 51 Prozent seinem Hause gehört, heute. Der Be­schluss wurde der Gematik zufolge einstimmig getroffen, also auch von den Leistungserbringern von Kassen­ärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Bundesärztekammer (BÄK) bis zur Deutschen Krankenhausgesell­schaft (DKG) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) getragen.

Und tatsächlich haben sich Gematik-Führung und Bundesgesundheitsministerium (BMG) besonders auf die KBV zubewegt: Anders als noch vor wenigen Wochen kolportiert soll die Ausstellung von E-Rezepten für Arzt­praxen in Schleswig-Holstein und Bayern nicht ab September verpflichtend werden.

Stattdessen sollen in Schleswig-Holstein und im Kammerbezirk Westfalen-Lippe Praxen und Krankenhäuser E-Rezepte im Rahmen einer weiteren Pilotphase ausstellen, die sukzessive zu einem flächendeckenden Ver­fah­ren hochfährt.

Wie es mit der stufenweisen Einführung weitergeht und was die nächsten Schritte sind, wollen die Gesell­schaf­ter zeitnah festlegen. Anders als in der Vergangenheit – hier hatte sich Lauterbach schon in den vergan­genen Monaten öffentlich auf die KBV zubewegt – sollen dabei definierte Qualitätskriterien eine große Rolle spielen.

So sollen die Gesellschafter erst den Erfolg der Pilotphase in den beiden Regionen per Beschluss bestätigen, bevor sie die verpflichtende Einführung dort beschließen. Stand heute ist laut Gematik angedacht, drei Monate nach Start der Pilotphase in den beiden Regionen in die E-Rezept-Pflicht zu gehen und parallel dazu in sechs weiteren Bundesländern sukzessive die Einführung umzusetzen.

Die fehlenden acht Bundesländer sollen dann im Jahr 2023 folgen. Eine bundesweite Pflicht für Arztpraxen und Krankenhäuser zur beinahe ausschließlichen Nutzung des E-Rezept könnte dann also im Frühjahr 2023 erreicht sein – weit mehr als ein Jahr nach dem einst vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplanten Stichtag und gesetzlich festgeschriebenen 1. Januar 2022.

Entscheidend bleibt dabei also die Ärzteschaft: Apotheken müssen ab dem 1. September bundesweit in der Lage sein, E-Rezepte zu verarbeiten, die Krankenkassen sind es laut Gematik bereits. Die Apotheker sehen darin kein Problem: „Wir stellen uns der digitalen Transformation und sind für die konsequente Einführung des E-Rezeptes“, sagt Thomas Dittrich, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverband (DAV). „Was die Anbin­dung an die Telematikinfrastruktur angeht, sind die Apotheken schon längst E-Rezept-ready.“

In den kommenden drei Monaten würden die Apotheken nun auch ihr Personal vollständig schulen, damit Hardware, Software und deren fachgerechte Bedienung reibungslos ineinandergreifen können.

Lauterbach zeigt sich optimistisch, dass der Zeitplan hält: „Das E-Rezept wird sich in der Praxis bewähren und dann schnell bundesweit Anwendung finden“, sagte er. „Es ist der Beginn der überfälligen digitalen Revolution in unserem Gesundheitssystem.“

Zufrieden zeigt sich auch die KBV. „Unsere Bedenken wurden gehört: Eine automatische und verpflichtende Einführung des E-Rezepts zum 1. September in zwei Bundesländern ist vom Tisch“, erklärte der Vorstandsvor­sitzende Andreas Gassen. Die Rahmenbedingungen seien nun klar und entscheidend dafür, wann und wie der weitere Roll-out erfolgt.

Gassen und seine Vorstandskollegen Stephan Hofmeister und Thomas Kriedel dankten den Kassenärztlichen Vereinigungen Schleswig-Holstein (KVSH) und Westfalen-Lippe (KVWL) dafür, dass die sich bereit erklärt ha­ben, als Pilotregionen zu fungieren. Schleswig-Holstein ist bereits ein Hotspot: 300 bis 500 E-Rezepte würden im Bundesland bereits täglich ausgestellt, betont die KVSH.

Entsprechend selbstsicher zeigt sich auch ihr Vorstand: „Keine Praxis muss die Umsetzung fürchten, denn uns ist bewusst, dass es derzeit vielfach noch an zentralen Modulen fehlt und digitale Prozesse Strukturände­run­gen in Praxen bedingen, die vor der Routine Aufwand erfordern“, erklärt die Vorstandsvorsitzende Monika Schliffke. Die KVSH erwarte nun von Gematik und Softwarehäusern, dass sie sich in den Roll-out-Phasen di­rekt mit den KVen abstimmen, für stabil laufende Technik sorgen und dafür auch Verantwortung übernehmen.

„Der wichtigste Schritt auf dem Weg zur flächendeckenden Nutzung des E-Rezepts ist es, Prozesse und Struk­turen belastbar zu evaluieren“, mahnt hingegen der KVWL-Vorstandsvorsitzende Dirk Spellmeyer. Die techni­schen Komponenten und die Prozesse in der Praxis müssten perfekt aufeinander abgestimmt sein und harmonieren.

Auch Spellmeyer zeigt sich dabei selbstbewusst: „KVWL und KVSH sind bekannt für ihre Vorreiterrolle und Expertise im Bereich der Digitalisierung, daher werden wir in einem zeitlich und regional gestuften Vorgehen als kompetenter Ansprechpartner gemeinsam die Praxen unterstützen und leiten.“ Deren Aufwand dürfe näm­lich in keinem Fall erhöht werden, Ziel sei der Abbau von Bürokratie und zeitaufwändigen Hybridlösungen, denn nur so komme der Nutzen des E-Rezepts auch bei allen Beteiligten an.

KVSH und KVWL würden deshalb „einen besonderen Support“ für die Anwender der einzelnen PVS-Systeme gewährleisten und dabei „den Kreis sukzessive größer ziehen, wenn das E-Rezept zu einer Routine geworden ist“, so Schliffke. „Dies schließt nicht aus, dass selbstverständlich jede Praxis ihren Startpunkt selbst bestimmt.“

Auch für Lauterbach fand der KBV-Vorstand lobende Worte. „Minister Lauterbach hat mehrfach betont, dass er Verständnis für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen hat und den vielen Problemen, denen sie sich bei der Umsetzung der Digitalisierung ausgesetzt sehen“, erklärte Hofmeister.

Kriedel betonte, dass die Gematik – und damit das BMG – den Forderungen der KBV nach dem Primat vorab festgelegter Parameter nachgekommen ist: „Grundsätzlich werden die jeweiligen Rolloutphasen erst dann umgesetzt, wenn alle abgestimmten Qualitätskriterien erreicht und dies von den Gesellschaftern auch so festgestellt wird“, sagte er. Auch der Start in den anderen Regionen werde nur in enger Abstimmung mit den dortigen KVen beschlossen.

Und noch mehr: Die Gematik solle Vorschläge erarbeiten, welche Anreizsysteme kurzfristig erarbeitet werden können, „um schnellstmöglich sowohl weitere Regionen zu gewinnen als auch die für den Phasen-/Regions­über­gang gesetzten Ziele zu erreichen“, heißt es im Beschluss, der Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Schon in zwei Wochen wollen die Gesellschafter darüber abstimmen.

Außerdem sollen die Leistungserbringer (LE) nicht alleingelassen werden: Die Gematik werde den Startpro­zess in den Regionen „eng begleiten und hierzu eine zentrale Supportstruktur aufsetzen, die den regionalen LE-Organisationen eine schnelle Kontaktaufnahme ermöglicht“, heißt es im Beschluss.

Die Rede ist von einer Hotline – wie genau und von wem diese angeboten werden wird, steht aber genauso wenig im Beschluss wie eine feste Timeline oder die konkreten Qualitätskriterien, die erreicht werden müssen.

lau

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