Elektronische Patientenakte: Testphase startet – bundesweiter Rollout nicht vor März/April

Berlin – Mit dem heutigen Tag startet die Testphase der neuen elektronischen Patientenakte (ePA) für alle. Rund 200 Arztpraxen, etwa 60 Apotheken und neun Krankenhäuser in Hamburg, Franken und Nordrhein-Westfalen sollen in den kommenden Wochen die digitale Akte auf Herz und Nieren prüfen. Der bundesweite Roll-out wird im März oder April erfolgen, erklärte heute Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor der Bundespressekonferenz.
Die Krankenkassen legen die sogenannte ePA 3.0 ab heute in den kommenden Wochen Schritt für Schritt für alle 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten an, vorausgesetzt diese haben nicht widersprochen. Die Widerspruchsrate liege derzeit bei rund fünf Prozent, erklärte Florian Fuhrmann, Vorsitzender der Gematik-Geschäftsführung. Menschen aus ostdeutschen Bundesländern hätten etwas häufiger widersprochen als in westdeutschen Bundesländern, ergänzte Lauterbach.
Versicherte, die bereits eine ePA haben, erhalten ein Update ihrer Akte. Bis Mitte Februar soll es für alle GKV-Versicherten möglich sein, in ihre ePA zu schauen, so Lauterbach. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass die Testpraxen zu Beginn der Pilotphase nur wenige vorliegende ePA von Versicherten einsehen und befüllen können. Nach und nach wird das Testmaterial aber steigen.
Deutliche Vorteile durch die elektronische Akte
Die ePA sei das „größte Digitalisierungsprojekt in der Geschichte Deutschlands“, betonte Lauterbach heute. Die Akte werde die Medizin verändern, zeigte er sich überzeugt. So könnten Ärztinnen und Ärzte künftig mithilfe einer automatisierten Medikamentenliste direkt sehen, ob etwa Unverträglichkeiten oder Wechselwirkungen durch Arzneimittel drohten.
Bei der Arzneimitteltherapiesicherheit werde man deshalb schnell Vorteile sehen, betonte auch der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt.
Nach und nach würden alle Behandlungsergebnisse und Untersuchungen von chronisch Erkrankten in die Akte eingestellt werden, damit werde die medizinische Behandlung deutlich besser, sagte Lauterbach. „Das macht einen riesigen Unterschied.“
Die ePA könne auch für Entlastung in den Arztpraxen sorgen. Etwa wenn ein Patient nur eine leichte Erkältung habe, müsse er nicht in die Praxis kommen, sondern der behandelnde Arzt könne die Infos über die ePA einsehen und Medikamente verschreiben, so der Gesundheitsminister.
Zudem könnten Fehlbehandlungen und Doppeluntersuchungen künftig vermieden werden, ergänzte Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). Dies bedeute auch finanzielle Entlastungen für das Gesundheitssystem.
Patientinnen und Patienten hätten ebenfalls einen Vorteil durch die Neuerung, da sie erstmalig ihre Behandlungsdaten an einem gesammelten Ort einsehen könnten, sagte Lauterbach. „Die Patienten sehen zudem das erste Mal was für sie alles abgerechnet wird.“ Damit werden die Patienten künftig deutlich mündiger. Die Hoheit über die Akte liege zudem bei den Patienten, so Baas.
Weiter profitiere auch die Forschung von der neuen ePA. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) könne man künftig die Daten aus den digitalen Akten auswerten, etwa welche Behandlung in welcher Reihenfolge bei einer Krebserkrankung am besten anschlage, erklärte Lauterbach weiter.
Verschiebung des Roll-outs wegen Sicherheitsmaßnahmen
Ursprünglich war der bundesweite Roll-out auf den 15. Februar angesetzt. Aufgrund von Sicherheitsbedenken und technischen Herausforderungen war aber schon seit einiger Zeit klar, dass diese Frist kaum gehalten werden kann. „Wichtig ist, dass die ePA sicher läuft“, bekräftigte Lauterbach heute. Dies habe „oberste Priorität.“
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die Digitalagentur Gematik seien eng im Austausch mit IT-Spezialisten und dem Chaos Computer Club (CCC), die Sicherheitslücken bei der Nutzung der ePA entdeckt hatten. Maßnahmen zur Beseitigung dieser Lücken würden nun schrittweise bis zum bundesweiten Roll-out umgesetzt, so Lauterbach.
Probleme im Rahmen der Testphase seien gelöst. Das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) habe bestätigt, das die Pilotphase beginnen könne – „und zwar auf einem Sicherheitsniveau, das sehr hoch ist“, so Lauterbach. Ein Vorhaben wie die ePA werde nie zu 100 Prozent sicher sein können, ergänzte TK-Chef Baas. „Aber der Nutzen muss überwiegen.“
Neben den Sicherheitsmaßnahmen seien für den bundesweiten Roll-out auch die neuen Erkenntnisse der Leistungserbringer wichtig, ergänzte Fuhrmann von der Gematik. Das Feedback von Anwendern und Herstellern werde berücksichtigt, entsprechende Änderungen würden gegebenenfalls kurzfristig vorgenommen, so Fuhrmann.
Praxistauglichkeit ist zentral
Zudem sei zentral, dass die Softwarelösungen, also die Schnittstellen der Praxisverwaltungssysteme (PVS) und Krankenhausinformationssysteme (KIS) technisch gut funktionierten. Es werde etwa gemessen, wie schnell Ärztinnen und Ärzte die Akte öffnen könnten, wie schnell Befunde eingespielt werden könnten und welche PVS besser funktionierten als andere, ergänzte Lauterbach.
Die ePA müsse praxistauglich sein, betonten Lauterbach, Baas und auch BÄK-Präsident Reinhardt. Die ePA biete Potenzial, den Bürokratieabbau besser in den Griff zu bekommen, sagte Baas. Hoch qualifizierte Menschen könnten damit wieder mehr Zeit haben, Menschen zu behandeln.
Für den Erfolg der ePA werde aber eine bestimmte Funktionalität und eine gelungene Integration in die Systeme von Ärztinnen und Ärzte wichtig sein, sagte Baas. Wenn das Handling einfach sein werde, werde das Vertrauen in die ePA von ärztlicher Seite stark wachsen, erklärte auch Reinhardt. Er kündigte an, in diesem Fall werde die BÄK Ärztinnen und Ärzte in großem Umfang dazu motivieren, die ePA zu nutzen.
Kritik und Lob aus dem Gesundheitswesen
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, begrüßte den heutigen Start. „Das Digitalisierungsdefizit im deutschen Gesundheitssystem ist gigantisch. Darum ist es eine sehr gute Nachricht, dass es jetzt endlich losgeht mit der ePA für alle.“
Auch die Bevölkerung sei gegenüber der Neuerung aufgeschlossen. Die Widerspruchsquote der AOK-Versicherten liege aktuell bei 2,9 Prozent, so Reimann. „Dieser Vertrauensvorschuss darf nicht verloren gehen.“ Sie bekräftigte die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, um den Roll-out sicher zu gestalten.
„Datenschutz und Datensicherheit sind wichtig, dürfen allerdings nicht dazu führen, dass das deutsche Gesundheitswesen im digitalen Steinzeitalter verharrt.“ Auch in anderen sensiblen Bereichen wie beim Onlinebanking habe man die Abwägung von Nutzen und Risiko hinbekommen.
Deutliche Kritik zum heutigen Teststart kommt hingegen von den Linken. Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Gruppe Die Linken im Bundestag, warnte vor katastrophalen Sicherheitsmängel bei der ePA. Sie bemängelte eine unzureichende Transparenz bei den Sicherheitsmaßnahmen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die ePA dürfe nicht verspielt werden.
Vogler warnte zudem vor einem unzureichenden Nutzen. „Die Dokumentensammlung lässt modernes Datenmanagement nicht zu und bringt für die Ärztinnen und Ärzte Mehrarbeit ohne Zusatznutzen.“ Zudem seien viele Patientinnen und Patienten, von der Nutzung ausgeschlossen. „Denn gerade für ältere und eingeschränkte Menschen ist das auf Smartphones ausgerichtete System häufig nicht nutzbar.“
Die ePA gibt es bereits seit Januar 2021, bislang mussten die Versicherten allerdings die Akte bei ihren Krankenkassen beantragen. Die Folge: Nur sehr wenige Menschen nutzten das Angebot. Das soll sich nun mithilfe des neuen Opt-Out Verfahrens ändern. Die gesetzliche Änderung wurde mit dem Digitalgesetz Anfang 2024 umgesetzt.
Die ePA 3.0 sieht weitere Ausbaustufen vor, darunter ein gemangter Medikationsplan, strukturierte Daten etwa aus Laborbefunden, eine Volltextsuche und die Ausleitung der Daten an ein künftiges geplantes Forschungsdatenzentrum Gesundheit.
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