GKV-Finanzen: Ansätze zum Sparen reichen nicht aus

Berlin – Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Einsparungen werden nicht ausreichen, um die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu stabilisieren. Zu diesem Schluss kommt das IGES-Institut in neuen Berechnungen. Demnach ist auch die Finanzlücke im kommenden Jahr deutlich größer als bislang von GKV und Bundesgesundheitsministerium (BMG) angenommen.
19 Milliarden Euro werde das Defizit schon im kommenden Jahr betragen und bis 2025 auf über 30 Milliarden ansteigen, erklärte heute Martin Albrecht, Geschäftsführer und Bereichsleiter Gesundheitspolitik am IGES-Institut. GKV-Spitzenverband und BMG gehen bisher von 17 Milliarden Euro im kommenden Jahr aus.
Und selbst die 19 Milliarden seien konservativ gerechnet, betonte Albrecht. Sie würden die Folgen des Ukrainekrieges nämlich noch gar nicht berücksichtigen. Komme es, wie derzeit befürchtet, zu einer schwerwiegenden Wirtschaftskrise aufgrund eines russischen Gasembargos, würde die Finanzierungslücke bereits im kommenden Jahr 24 Milliarden Euro betragen.
Die Sparmaßnahmen, die in Lauterbachs Entwurf eines GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) vorgesehen sind, würden den IGES-Berechnungen zufolge aber nur 13,4 Milliarden Euro einbringen. Um 0,3 Prozent müssten die Zusatzbeiträge steigen, um die verbleibende Lücke zu stopfen, hatte Lauterbach bei der Vorstellung seines Gesetzentwurfs gesagt.
Damit lag er laut IGES daneben: Das Institut geht davon aus, dass es mindestens 0,4 Beitragssatzpunkte nach oben gehen müsste. „Wir müssen davon ausgehen, dass in der GKV der Beitragsanstieg höher ausfällt, als es der Minister vor zwei Wochen verlautet hat“, erklärte Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK Gesundheit, in deren Auftrag das IGES Institut die Berechnungen durchgeführt hat.
Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn die Mehrheit der von Lauterbach geplanten Maßnahmen würden kurzfristig Einsparungen bringen, ihre Effekte aber schnell wieder verpuffen. „Auffällig ist, dass drei Viertel der Maßnahmen einmalige Einnahmenaufbesserungen sind“, merkte Storm an. „Hier reicht das Gesetz sicher nicht aus, um Stabilisierung zu bringen“, sagte auch Albrecht. „Für 2024 und 2025 sieht es sehr unsicher aus.“
Denn bereits seit 2019 schlagen die strukturellen Defizite der GKV-Finanzierung voll zu, zu erkennen daran, dass sich die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben sichtbar öffnet. Das werde in den kommenden Jahren noch an Dynamik gewinnen. Für 2024 prognostiziert IGES ein Defizit von 25 und für 2025 eines von 30,2 Milliarden Euro.
Würde man diese Finanzierungsbedarfe über Beiträge abdecken wollen, müssten die Zusatzbeiträge auf 2,8 und 3 Prozent steigen. „Nach unseren Berechnungen wird die Lücke so groß, dass wir vor einer Beitragsexplosion stehen“, erklärte Storm.
Die Maßnahmen des GKV-FinStG würden nämlich nur geringfügig dazu beitragen, die Finanznot zu lindern. Im Gegenteil seien manche dieser Maßnahmen über das kommende Jahr hinaus gedacht sogar kontraproduktiv, kritisierte Storm.
„Es ist Zynismus, einem System, das Jahr für Jahr in größere finanzielle Schwierigkeiten gerät, ein Darlehen zu geben, das bis 2026 zurückgezahlt werden muss“, sagte er mit Blick auf das Bundesdarlehen von einer Milliarde Euro, das Teil des Gesetzentwurfs ist.
Besonders kritisierte Storm Lauterbachs Plan, in die Rücklagen der Krankenkassen zu greifen. Anfang dieses Jahres hätten die Rücklagen aller Gesetzlichen 9,9 Milliarden Euro betragen, Anfang kommenden Jahres sollen sie laut IGES-Prognose noch bei 8,3 Milliarden Euro stehen.
„Schöpft man davon 4 Milliarden Euro ab, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, betragen die Rücklagen nur noch 4,3 Milliarden Euro“, rechnete Storm vor. „Dadurch drohen zahlreiche Kassen unter die Mindestrücklage zu rutschen.“
Diese gesetzlich vorgeschriebene Reserve muss 20 Prozent einer Monatsausgabe betragen – GKV-weit wären das 2023 laut IGES-Prognose rund 5 Milliarden Euro. „Dieser Rücklagenabbau destabilisiert das Gesamtsystem,“ bilanziert Storm. „Hinzu kommt, dass eine Unterschreitung der Mindestrücklage zu einer Zeit droht, in der die Kassen hohe Ausgabenrisiken haben.“
Albrecht und Storm plädierten deshalb für mittel- bis langfristige Maßnahmen, die zwar längst im Gespräch sind, aber von Lauterbach noch nicht angegangen werden – allen voran eine längst überfällige Anpassung der Beitragsbemessung für Beziehende von Arbeitslosengeld II (ALG II) sowie eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. 9,6 und 5,2 Milliarden Euro würden diese beiden Maßnahmen schon im kommenden Jahr einbringen und dann nachhaltig weiterwirken.
„Eines dieser Tabus muss fallen oder sogar beide“, erklärte Storm. Bei den Diskussionen über eine Weiterentwicklung des Spargesetzes dürften diese Themen nicht ausgelassen werden. Auch eine Diskussion über Leistungskürzungen werde „kein Tabu bleiben können“.
Auch die geplante Krankenhausstrukturreform halte er für unausweichlich, allerdings werde sie die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben kurzfristig eher noch vergrößern, ehe sich in den Folgejahren Einsparungen bemerkbar machen.
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