Herzbericht zeigt gute herzmedizinische Versorgung – auch während der Pandemie
Berlin – Wenn Herzpatienpatienten während der COVID-19-Pandemie aus Angst vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 Herzbeschwerden bagatellisieren, kann das zu einer höheren Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.
Diese Warnung sprachen heute Experten der ärztlichen Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK), Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) sowie Kinderkardiologie (DGPK) aus. Gemeinsam mit der Deutschen Herzstiftung stellten sie heute virtuell den Deutschen Herzbericht 2019 vor.
„Die aktuelle Coronawelle darf nicht wie im Frühjahr dazu führen, dass Menschen bei Verdacht auf Herzinfarkt oder bei anderen notfallartigen Symptomen aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus oder wegen befürchteter Kapazitätsengpässe in den Kliniken den lebenswichtigen Notruf 112 oder den Weg in die Notfallambulanz scheuen“, betonte Thomas Voigtländer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Das Risiko, an der Herzerkrankung zu versterben, sei für sie größer als an COVID-19 zu sterben.
Noch immer sind die Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland die Todesursache Nummer 1. Nach Angaben des Deutschen Herzberichts sterben bundesweit jährlich etwa 124.000 Menschen an koronarer Herzerkrankung, davon mehr als 46.200 am Herzinfarkt.
„Alarmierend ist, dass aufgrund des ersten Lockdowns 31 Prozent weniger akute Herzinfarkte als im Vorjahreszeitraum in stationäre Behandlung kamen“, berichtete Voigtländer, der selbst als Kardiologe und Intensivmediziner am Cardioangiologischen Centrum Bethanien (CCB) Frankfurt am Main tätig ist.
Grund dafür sei neben der Angst vor einer Infektion auch die Sorge gewesen, dass Nicht-COVID-Patienten nicht mit aller Sorgfalt und Dringlichkeit behandelt würden. Diese Sorgen wolle man ausräumen, sagte Voigtländer.
„Herzinfarkt, aber auch eine akut dekompensierte Herzinsuffizienz oder lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen sind keine aufschiebbaren Krankheitsfälle, sondern unterliegen selbstverständlich weiterhin der Notfallversorgung, die auch während dieser zweiten Coronawelle gewährleistet ist.“
Dies gelte auch für Kinder, sagte Nikolaus Haas, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK). Gleichzeitig stellte er jedoch klar, dass Kinder insgesamt nur selten mit dem Coronavirus infiziert werden.
„Hier bestand jedoch eine gewisse Unsicherheit bezüglich der medizinischen Gefährdung der Herzkinder. Jetzt kann es Entwarnung geben.“ Eine stationäre Aufnahme sei bislang nur bei wenigen Kindern notwendig gewesen (Hospitalisierungsrate = < 0,3 Prozent).
„Herzkinder müssen nicht in Watte gepackt werden“, sagte er. Ein Fernhalten vom Schulunterricht oder ähnliches sei nicht indiziert, es bestehe kein erhöhtes Risiko trotz Herzerkrankung. Dies gilt ebenso für transplantierte Kinder, Kinder mit Einkammerherzen oder anderen Erkrankungen.“
Doch auch bereits vor der Pandemie ist die Zahl der in deutschen Krankenhäusern behandelten Herzpatienten dem aktuellen Herzbericht zufolge leicht zurückgegangen. So sank im Zeitraum von 2016 bis 2018 die Zahl der stationär in Kliniken aufgenommenen Herzpatienten um 1,9 Prozent.
„Dass wir 2018 weniger Herzpatientinnen und -patienten in den Kliniken behandelt haben, bedeutet nicht, dass es in Deutschland damit weniger am Herzen erkrankte Personen gibt“, stellte heute Andreas Zeiher, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), klar. Durch eine bessere Vernetzung in der Versorgung und bei den ambulanten Diagnosemöglichkeiten müssten lediglich weniger Patienten stationär in die Kliniken aufgenommen werden.
Daten zur Sterblichkeit
Die Sterblichkeit durch Herzkrankheiten sei sogar insgesamt leicht gestiegen. Insbesondere zeigten sich Anstiege der Sterbefälle bei den Herzklappenerkrankungen und bei den Herzrhythmusstörungen. Bei der Herzkrankheit mit der häufigsten Diagnose für eine Krankenhauseinweisung, die koronare Herzkrankheit (KHK), sowie beim Herzinfarkt sind jedoch Abnahmen der Sterbefälle zu verzeichnen.
„Der Rückgang ist erfreulich und lässt auf eine Verbesserung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung, verbesserte Präventionsmaßnahmen und mehr Kenntnisse der Bevölkerung über Herzkrankheiten schließen“, sagte Voigtländer. Diese Entwicklung dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die KHK als Grunderkrankung des Herzinfarkts jährlich mit fast 626.000 Krankenhausaufnahmen und einer weiterhin hohen Sterblichkeit verbunden ist, betonte der Kardiologe.
Dem aktuellen Herzbericht zufolge ist die Hospitalisierungsrate (Krankenhausaufnahmen pro 100.000 Einwohner) bei der KHK in den Jahren von 2016 bis 2018 um 5,7 Prozent gesunken. „Gerade in diesem Bereich sehen wir die Effekte der verbesserten ambulanten Behandlung“, erklärte Zeiher die Tendenz. Insbesondere der Austausch und die Vernetzung zwischen Kliniken und den niedergelassenen Kollegen habe dazu geführt, dass ein beachtlicher Teil der Patientinnen und Patienten nicht mehr in die Kliniken kommen müssten.
Zu beobachten sei zudem eine Verlagerung der KHK-Sterblichkeit in die älteren Bevölkerungsanteile. „Wir haben es mit einer Verschiebung der Demografie zu tun“, bestätigte Voigtländer. Neben Alter und Genetik verursachten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes oder Übergewicht die KHK und den Herzinfarkt.
Diese Risikofaktoren seien mit Lebensstiländerungen auch zusätzlich zur Therapie gut beeinflussbar. „Wenn wir den Menschen helfen möchten, müssen wir uns um die Herzpatienten kümmern“, erklärte er. Prävention brauche aber noch mehr Gewicht in der Politik.
Zunahme durch älter werdende Gesellschaft
Mit einer Vergrößerung der Gruppe der älteren Menschen in Deutschland ist auch eine Zunahme der Erkrankungshäufigkeit bei den Herzklappenerkrankungen und den Herzrhythmusstörungen erkennbar.
„Die Herzklappenerkrankungen sind eine typische Erkrankung bei älteren Menschen“, erläuterte Zeiher. Herzrhythmusstörungen würden dagegen auch schon jüngere Menschen häufig betreffen. Ab dem 45. Lebensjahr sei jedoch auch hier ein deutlicher Anstieg der Erkrankungshäufigkeit, vor allem bei Vorhofflimmern, zu erkennen.
Dem Herzbericht zufolge ist die Herzschwäche in Deutschland die häufigste Einzeldiagnose für eine stationäre Behandlung – obwohl auch ihre Häufigkeit leicht (um 0,5 Prozent) zurückging. Deutlich stärker jedoch reduzierte sich allerdings die Sterberate. Sie ging um 7,1 Prozent zurück und lag im Jahr 2018 bei 45,4 Fällen pro 100.000 Einwohnern.
„Dennoch bleibt die Herzinsuffizienz die zentrale Herausforderung“, sagte der DGK-Präsident. Die hohen Fallzahlen bei der Herzinsuffizienz hätten zum Teil paradoxerweise mit den Fortschritten der Herzmedizin zu tun, erläuterte er. Immer mehr Menschen überlebten einen akuten Herzinfarkt, erkrankten in der Folge allerdings später an einer Herzschwäche.
„Durch die Fortschritte in der modernen Herzmedizin und den demografischen Wandel verschiebt sich der Krankheitsbeginn ins höhere Lebensalter, wie wir aus den Daten des Herzberichts eindeutig erkennen können“, so Zeiher. Daher sei es enorm wichtig, in den nächsten Jahren weitere Strukturen zu schaffen, in denen die Versorgung interdisziplinär gemeinsam mit Kollegen aus unter anderem der Nephrologie und Pneumologie gestaltet werden könne.
Unverändert bleibt auch im aktuellen Herzbericht die Geschlechtsverteilung. Von den Menschen, die im Jahr 2018 wegen Herzkrankheiten stationär behandelt wurden, waren 58 Prozent männlich und 42 Prozent weiblich. Dabei zeigt sich bei allen für den Herzbericht ausgewählten Diagnosen ein höherer Anteil erkrankter Männer. Vor allem bei der Koronaren Herzerkrankung und dem akuten Herzinfarkt liegt ihr Anteil besonders hoch.
Von der Koronaren Herzerkrankung sind Männer mehr als doppelt so häufig betroffen wie Frauen (Erkrankungsrate 1.042,1 zu 472,9). Ein ähnliches Bild zeigt sich beim akuten Herzinfarkt (347,8 zu 165,9).
Betrachtet man hingegen die Sterberate, verändert sich dieses Bild ein wenig. Die Sterberate bei Koronarer Herzerkrankung und beim akuten Herzinfarkt liegt für Männer auch hier höher, an den anderen Herzerkrankungen hingegen sterben mehr Frauen. Am deutlichsten kann dies bei der Herzschwäche beobachtet werden. Hier liegt die Sterberate bei Frauen um 65,5 Prozent höher als bei Männern.
Ebenso bei den anderen im Herzbericht berücksichtigten Diagnosen: Bei den Herzrhythmusstörungen sind es 48,6 Prozent und bei den Herzklappenerkrankungen 42,7 Prozent. Dies könne vor allem dadurch erklärt werden, dass Frauen diese Erkrankungen in einem höheren Lebensalter erleiden als Männer, so die Experten.
Die Alterung der Bevölkerung spiegele sich auch bei Patienten, die eine Herzoperation benötigen, wider und folgt in ihrer Häufigkeit dem demografischen Wandel, ergänzte heute Jan Gummert, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG).
Unterteilt nach Altersgruppen, zeige sich für die ab 80-Jährigen ein Anstieg um 3,9 Prozent auf 16,7 Prozent aller operierten Herzpatienten, während der Anteil der Patienten in der Altersgruppe der 70-bis 80-Jährigen von 38,2 Prozent (2011) auf 33 Prozent (2018) im selben Zeitraum gesunken ist.
Erfreulicherweise sei 2018 auch die Anzahl der Spenderherzen und damit die Zahl der Herztransplantationen gestiegen: Die DGTHG begrüßt sehr die offensichtliche Zunahme der Organspendebereitschaft, die auch durch die Pandemie keinen Einbruch erlitt“, sagte Gummert. Insgesamt seien die Deutschen bundesweit und flächendeckend seitens der Herzchirurgie auf Spitzenniveau versorgt.
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