Politik

Klimawandel führt zu mehr Patienten in Hausarztpraxen

  • Dienstag, 29. Juni 2021
/Jenny Sturm, stock.adobe.com
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Wiesbaden – Die Allgemeinmediziner werden künftig mehr Patienten wegen gesundheitlicher Probleme infolge des Klimawandels behandeln. Das erklärte die in Köln niedergelassene Hausärztin Susanne Bal­zer gestern auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden.

„Wir sehen den Klimawandel in den Hausarztpraxen“, sagte sie. „Wenn er weiter voran­schreitet, wird er uns vor erhebliche Herausforderungen stellen.“

Balzer berichtete von drei Patienten, die in unterschiedlicher Weise gesundheitliche Probleme durch den Klimawandel entwickelt hätten. „Ich behandle einen 84-jährigen multimorbiden Patienten mit chro­ni­scher Nieren- und Herzinsuffizienz“, sagte Balzer, die sich auch bei KlimaDocs engagiert.

„Während der Hitzeperiode entwickelte er eine Kollapsneigung, die Nierenwerte verschlechterten sich.“ Eine stationäre oder fachärztliche Behandlung habe er jedoch abgelehnt. „Er wollte zu Hause bleiben“, sagte Balzer. „Ich habe vier Hausbesuche durchgeführt, bis er einigermaßen rekompensiert war.“

Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit

Die Erderwärmung führe zu einer höheren Pollenbelastung, fuhr Balzer fort und berichtete von einer 53-jährigen Patientin, die in den vergangenen zwei Jahren starke Probleme durch allergisches Asthma bron­chiale bekommen habe. „Sie musste ihre Kortisoneinnahme deshalb verlängern“, sagte Balzer. „Allergi­sche Reaktionen sind zurzeit ein häufiger Beratungsanlass.“

„Wir sehen auch mehr psychologische Belastungen in der Hausarztpraxis, die ihre Ursache in der Klima­krise haben“, berichtete Balzer. „Ich betreue zum Beispiel eine 22-jährige Frau mit Depressionen, die am Anfang ihres Studiums steht und durch Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit deutlich belastet ist. Als Ursache benennt sie den Klimawandel.“

Mehr Hausbesuche

Hausärzte müssten auf vielfältige Weise auf den Klimawandel reagieren. So müssten sie bedenken, wel­chen Einfluss Hitzeperioden auf die Wirkung von Medikamenten haben und sie müssten zum Beispiel Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion im Blick behalten.

„Wir müssen darauf achten, dass wir belastete Patienten nicht am Mittag oder Nachmittag in die Praxis einbestellen, sondern morgens, wenn es noch nicht so heiß ist“, sagte die Kölner Hausärztin. „Und wir müssen mehr Hausbesuche anbieten.“

Balzer wies darauf hin, dass Ärztinnen und Ärzte gegenüber ihren Patienten für ein nachhaltigeres Leben werben müss­ten. „Es gibt tolle Win-win-Effekte durch eine pflanzliche Ernährung und mehr Bewegung“, erläu­terte sie.

„Zudem müssen wir unsere Praxen klimaneutral gestalten.“ Der englische National Health Service (NHS) habe sich als Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu sein. „Das wäre auch für Deutschland extrem wünschenswert“, so Balzer.

Neue Krankheiten

Der Vorsitzende der DGIM, Markus Lerch, betonte, dass der Klimawandel in Deutschland zu mehr und zu neuen Krankheiten führen werde. „In den Hitzeperioden der vergangenen Jahre haben wir eine Über­sterb­lichkeit insbesondere bei Menschen im Alter zwischen 75 und 85 Jahren gesehen“, sagte er.

Diese habe im Jahr 2003 zum Beispiel bei etwa 7.600 Patienten gelegen und 2006 bei 6.200. „Dabei sterben die Menschen nicht an einem Hitzschlag, sondern an kardiovaskulären Erkrankungen: an einem Schlag­anfall oder einem Herzinfarkt“, so Lerch.

Zudem steige das Risiko, durch den Klimawandel an Tropenkrankheiten wie Dengue, Malaria oder Zika zu erkranken, die durch Mücken übertragen werden, die sich durch die wärmeren Temperaturen bis nach Deutschland ausgebreitet haben. Bei langen Wärmeperioden könnten sich in der Ostsee auch Vibrio-vulnificus-Bakterien ausbreiten, die zum Beispiel für Diabetespatienten ein Risiko darstellten.

Für sie könne es zu schweren Verläufen mit einer nekrotisierenden Fasziitis kommen. Zusätzlich steige durch die zunehmende Zahl an Sonnentagen das Risiko, ein malignes Melanom zu bekommen. Lerch betonte, dass sich das Gesundheitssystem darauf einstellen müsse, mehr Kühlsysteme bereitzustellen.

„In den Hitzeperioden werden wir kühlen müssen“, sagte er. „Darauf sind wir nicht eingerichtet. In Deutschland gibt es 1,65 Millionen Klimaanlagen. In New York City alleine gibt es 6,5 Millionen.“ Der Bedarf an Kältetechnik in Deutschland werde massiv steigen. Denn heute gebe es in vielen Kranken­häusern und Pflegeeinrichtungen gar keine Kühlsysteme.

fos

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