Politik

Krankenhausreform: Kaum Einschränkung der Erreichbarkeit

  • Donnerstag, 22. Juni 2023
/Carola Vahldiek, stock.adobe.com
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Berlin – Eine flächendeckende und schnell erreichbare Krankenhausversorgung kann sichergestellt werden, auch wenn die Behandlung ausschließlich in zertifizierten oder geeigneten Standorten erfolgt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Potenzialanalyse, die die Regierungskommission Krankenhaus heute vorgestellt hat. Die Analyse ist die fünfte Stellungnahme des 17-köpfigen Gremiums.

In diesem Papier machen die Expertinnen und Experten keine Vorschläge zur Verbesserung der Gesundheits­versorgung im stationären Bereich wie in den vergangenen vier Stellungnahmen, sondern verdeutlichen welche Vorteile eine konsequente Umsetzung der geplanten Krankenhausreform bezüglich der Qualitätsverbesserung der Patientenversorgung mit sich bringen würde.

Eine Spezialisierung und Konzentration der Gesundheitsversorgung durch evidenzbasierte Mindest­voraussetzungen der Strukturqualität biete erhebliche Potenziale zur Verbesserung der Behand­lungsergebnisse und -qualität, schreibt die Kommission. „Aufgrund der sehr hohen Krankenhausdichte in Deutschland müssen dabei keine wesentlichen Einschränkungen der Erreichbarkeit in Kauf genommen werden.“

Anhand von drei Fallbeispielen – der Krebs-, Schlaganfall- und Endoprothetikversorgung – zeigt die Kommission auf, dass eine entsprechende Verbesserung der Patientenversorgung nicht mit einer Verschlechterung der Erreichbarkeit der Krankenhäuser einhergehen werde.

Diese Bereiche wurden ausgewählt, da sie sehr häufig in der Bevölkerung vorkommen, für die künftigen Leistungsgruppen relevant seien und es publizierte Evidenz für entsprechende Qualitätspotenziale gebe, erklärte Mitautor Jochen Schmitt, Mitglied der Regierungskommission und Professor für Versorgungsforschung an der TU Dresden.

So wurden 2021 lediglich 35 bis 84 Prozent aller Patientinnen und Patienten bei elf untersuchten Krebsarten in zertifizierten Krebszentren behandelt. Am seltensten wurden Patientinnen und Patienten mit einem Pankreaskarzinom in einem entsprechenden Zentrum behandelt (35 Prozent), beim Mammakarzinom waren es am meisten (84 Prozent).

Großteil der behandelnden Kliniken hat keine Zertifizierung

In Deutschland gab es zwischen 49 (Hirntumore) bis 295 (Kolonkarzinom, und Rektumkarzinom) zertifizierte Standorte. Allerdings führten zwischen 804 (Gebärmutterhalskrebs) und 1.306 Kliniken (Lungenkrebs) Erstbehandlungen von Patientinnen und Patienten durch. Damit konnte der Großteil der behandelnden Kliniken keine entsprechende Zertifizierung vorweisen. Zwischen den zertifizierten und den nicht-zertifizierten Krankenhäusern besteht allerdings ein qualitativer Unterschied. So liegt der relative Vorteil im Gesamtüberleben bei einer Erstbehandlung in Zentren zwischen drei Prozent (Lungenkarzinom) und 23 Prozent (Brustkrebs) gegenüber nicht-zertifizierten Krankenhäusern. Zudem erzielen größere Krankenhäuser bessere Ergebnisse zusätzlich zur Zertifizierung, erklärte Schmitt.

Damit könnten jährlich zwischen 665 (Gebärmutterhalskrebs) und 4.873 (Darmkrebs) Lebensjahre gerettet werden. Würden alle Krebspatientinnen und -patienten zur Erstbehandlung in zertifizierten Zentren versorgt, könnten pro Jahr 20.404 Lebensjahre gerettet werden. „Krebsbehandlungen in zertifizierten Zentren sind besser als Krebsbehandlung in nicht-zertifizierten Zentren“, resümiert Schmitt.

Die Regierungskommission analysierte zudem beispielhaft für vier Krebsarten die Erreichbarkeit der Krankenhäuser, wenn nur noch zertifizierte Zentren die Behandlung übernehmen würden. Für Darm-, Brust- und Prostatakrebs läge die durchschnittliche Erreichbarkeit (Median) für die Bevölkerung ungefähr bei 20 Minuten, für Hirntumore wäre es etwas mehr als 30 Minuten. Lediglich rund 16 Minuten sind es beim Kolonkarzinom. „Sie wäre damit unverändert exzellent im Vergleich zu den europäischen Nachbarn“, schreibt die Kommission in der Stellungnahme.

Schnelle und gute Versorgung bei Schlaganfall wichtig

Als zweiten Bereich analysierte die Regierungskommission die Schlaganfallversorgung. Bei der Schlaganfallbehandlung kommt es auf eine rasche Erreichbarkeit eines geeigneten Krankenhauses an. „Entscheidend ist, ob der Patient direkt in einem Krankenhaus landet, wo er auch gut behandelt werden kann“, sagte heute Kommissionsmitglied und Intensivmediziner Christian Karagiannidis. Durch Verlegungen von einem Standort zum nächsten gehe viel Zeit verloren.

Zudem könnten Schlaganfälle unterschiedliche Ursachen haben, deshalb sei eine schnelle und richtige Diagnose wichtig, betonte auch der Neurologe Darius Günther Nabavi vom Vivantes Klinikum Neukölln und erster Vorsitzender der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG). Deshalb seien etwa eine multimodale Bildgebung sowie Neurologen in der Notaufnahme wichtig.

Im Jahr 2021 gab es in Deutschland 328 entsprechend geeignete Krankenhausstandorte mit einer Stroke-Unit. Diese Standorte verfügen über ein spezialisiertes fachärztliches Team und haben entsprechende bildgebende Verfahren, um die richtige Diagnose zu finden.

Weitere 1.049 Krankenhäuser haben in diesem Jahr Schlaganfälle allerdings ohne Stroke-Unit behandelt. Ein knappes Drittel der Behandelten (30,4 Prozent) verstarben innerhalb eines Jahres, wenn sie in einem Krankenhaus ohne Stroke-Unit behandelt worden sind. Bei der Behandlung mit einer Stroke-Unit verstarben im gleichen Zeitraum lediglich rund ein Viertel der Behandelten (23,9 Prozent). Sollten Fälle nur noch an Standorten mit Stroke-Units behandelt werden, könnten 4.969 Sterbefälle verhindert werden, heißt es in der Stellungnahme. Diese Zahl bedeute zudem mindestens genauso viele schwere Pflegefälle, ergänzte Karagiannidis. Wichtig wäre es, diese Zahlen ebenfalls zu reduzieren.

Fahrzeit zu Stroke-Unit-Standorten zwei Minuten länger

Die Fahrzeit würde sich dabei nur um knapp zwei Minuten verändern, sollte die Schlaganfallversorgung künftig ausschließlich an Standorten mit Stroke-Units stattfinden. Damit verlängere sich die Erreichbarkeit von 21,6 Minuten auf 23,4 Minuten. Zudem würden Rettungsdienste heute teilweise entferntere Kliniken ohne entsprechende Stroke-Units anfahren, obwohl es im näheren Umkreis Stroke Units gebe, so Schmitt.

„Zu viele Krankenhäuser können schlecht für die Erreichbarkeit der richtigen Krankenhäuser sein“, betonte er. Karagiannidis ergänzte die Notwendigkeit einer schnellen Reform der Notfallversorgung. Insbesondere auf dem Land gebe es entsprechende Defizite bei der Versorgung mit Rettungsdiensten, die behoben werden müssten.

Als drittes Beispiel analysierte die Kommission die Endoprothetik, also den künstlichen Gelenkersatz. Bei Knie- und Hüftgelenkoperationen gebe es einen Zusammenhang der Fallzahl, also der Häufigkeit wie oft eine Klinik einen Eingriff durchführt, mit der Ergebnisqualität, heißt es. Diese wird meist an der Zahl der notwendigen Revisionsoperationen gemessen.

Bei einer Mindestzahl von 150 Hüftgelenks- und 100 Kniegelenkseingriffen ergibt sich, dass lediglich 22 Prozent beziehungsweise 34 Prozent der behandelnden Kliniken in Deutschland, diese Zahlen auch erreichen. Zudem werden knapp die Hälfte der Hüftgelenkseingriffe (47 Prozent) und ein knappes Drittel der Kniegelenksoperationen (29 Prozent) an Kliniken ohne Erreichung der Mindestfallzahl durchgeführt.

Damit könnten jährlich 397 beziehungsweise 212 Revisionsoperationen vermieden werden, sollten die Mindestfallzahlen bei der Behandlung berücksichtigt werden, schreibt die Kommission. Bei einer Erhöhung der Mindestfallzahlen auf jährlich 200 Hüftoperationen und 150 Knieoperationen, würden sogar 447 beziehungsweise 269 Revisionsoperationen vermieden werden können. Die durchschnittliche Fahrzeit zu einer geeigneten Klinik würde sich bei diesen Überlegungen „so gut wie nicht verändern“.

Zudem geht die Regierungskommission davon aus, dass die Zentren beziehungsweise entsprechend geeignete Standorte auch die gesamten Fälle bewältigen könnten. Karagiannidis erklärte, dass die Lungenkrebszentren beispielsweise alle entsprechenden Fälle schaffen würden. Er wies aber auch daraufhin, dass noch zu viele Behandlungen stationär stattfinden würden. Eine weitergehende Ambulantisierung könne auch in dieser Hinsicht Ressourcen schonen und eine bessere Versorgung ermöglichen, so Karagiannidis.

Ärztinnen und Ärzte sorgen sich um flächendeckende Versorgung

Der Plan Standorte zu konzentrieren und kleinere Krankenhäuser zu schließen, ist nicht nur bei den Bundesländern, sondern auch bei vielen Ärztinnen und Ärzten als auch Pflegefachkräften umstritten. Die Sorge vieler Krankenhäuser und Pflegefachkräfte und Ärztinnen und Ärzte ist groß, dass aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage vieler Kliniken und aufgrund der geplanten Reform viele kleine Krankenhäuser schließen müssten. Damit sei die flächendeckende Patientenversorgung in Gefahr, heißt es oft. Die Analyse will hingegen das Potenzial der Krankenhausreform auf die Ergebnisqualität, Patientensicherheit sowie die Erreichbarkeit quantifizieren und deutlich machen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte heute bei der Vorstellung der Analyse, dass Menschen nicht mehr in die Krankenhäuser gehen sollten, in denen sie keine gute Versorgung erhalten und Qualitätsdefizite herrschen würden. Er betonte, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachkräfte keine Schuld an den bestehenden Qualitätsdefiziten hätten. Das Personal sei sehr gut ausgebildet, bekräftigte Lauterbach. Stattdessen seien Defizite mit den Strukturen der Krankenhauslandschaft zu erklären, die etwa zu Fehlanreizen führten. Es sei ein „schmutziges Geheimnis“ der Versorgung, dass viele Krankenhäuser Leistungen durchführten, obwohl sie diese nicht qualitätsgesichert erbringen könnten, sagte der Minister.

Um dies künftig zu vermeiden, betonte er, dass eine Transparenzübersicht über die Leistungen der Krankenhäuser geplant sei. Diese bundesweite Landkarte mit allen Krankenhäusern und den angebotenen Leistungsgruppen soll möglichst mit Inkrafttreten der geplanten Krankenhausreform zum 1. Januar 2024 veröffentlicht werden, so Lauterbach heute.

Die Regierungskommission Krankenhaus hat die Analyse mithilfe von Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Daten aus den Qualitätsberichten der Krankenhäuser (Datenjahr 2021) sowie Daten von medizinischen Registern und Fachgesellschaften erstellt. Die Analysen wurden zudem unter anderem unterstützt durch eine Kooperation mit dem GKV-Spitzenverband, dem AOK-Bundesverband, dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WidO). Die Analyse aus dem Krebsbereich bauen zudem auf der WiZen-Studie (Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren) auf.

Unterschiedliche Reaktionen

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, begrüßte die Analyse. Diese zeige, „dass sich mit einer qualitätsorientierten Konzentration von Leistungen bessere Behandlungsergebnisse, mehr Patientensicherheit und niedrigere Sterberaten erreichen lassen, ohne die wohnortnahe Versorgung zu gefährden“. Es sei höchste Zeit, daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen, so Reimann.

„Das Ziel der Qualitätsverbesserung muss bei der anstehenden Krankenhausreform an erster Stelle stehen. Auch angesichts des Fachkräftemangels ist eine qualitätsbasierte Konzentration von Leistungen unumgänglich. Nur so können die vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen optimal eingesetzt werden.“ Sie forderte Bund und Länder auf, keine Abstriche zulasten der Patientensicherheit zu machen, indem sie Qualitätsvorgaben durch allgemeine Öffnungsklauseln konterkarierten. Kommende Woche treffen sich Bund und Länder erneut zu einer vorerst letzten gemeinsamen Sitzung. Lauterbach hofft, dass sich die Verhandlungspartner auf gemeinsame Eckpunkte einigen werden, die über den Sommer in einen Gesetzentwurf gegossen werden sollen.

Kritik kam von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß, nannte die Analyse „einen neuen Tiefpunkt in der politischen Debatte um die Zukunft der Kranken­hausversorgung in Deutschland“. Er kritisierte, dass für die Analyse die Abrechnungsdaten der Krankenhäuser verwendet wurden und nicht vorhandene Schlaganfalldokumentationen, die Gaß zufolge aussagekräftiger gewesen wären. Er wies daraufhin, dass die Zahl der Krebszentren in der Vergangenheit kontinuierlich gestiegen seien und Krankenhäuser sich heute schon freiwillig dieser Prüfung unterziehen würden.

cmk

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