Krankenhausreform: Neuer Gesetzentwurf setzt auf Vertrauen in die Länder

Berlin – Die Krankenhausreform soll „praxistauglicher“ und ihre Umsetzung „gangbarer“ gemacht werden. Übersetzt bedeutet das, die Länder erhalten deutlich mehr Ausnahmen und mehr Zeit, die Reform umzusetzen. Zudem ist eine Anpassung der mindestens benötigten Höhe der Liquiditätsreserve im Gesundheitsfonds sowie weitere Entlastungen der Krankenhäuser vorgesehen.
Entsprechende Regelungen sieht der Referentenentwurf des Krankenhausanpassungsgesetzes (KHAG) vor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) versendete den Entwurf gestern an die Bundesländer und Verbände. Sie können bis zum 21. August Stellung dazu beziehen.
Insgesamt wird den Ländern und Krankenhäusern mehr Vertrauen entgegengebracht, den Reformgedanken – mehr Konzentration und Spezialisierung – auch mit mehr Flexibilität anzustreben. Das KHAG soll Anpassungen des im Dezember 2024 in Kraft getretenen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) vornehmen.
Wie von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bereits mehrfach angekündigt, sieht der Entwurf Ausnahmen für die Länder vor, so dass Krankenhäuser künftig nicht mehr unbedingt die Qualitätskriterien der geplanten Leistungsgruppen erfüllen müssen. Diese Ausnahme dürfe in Anspruch genommen werden, „wenn dies zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung zwingend erforderlich ist“, heißt es im Referentenentwurf. Über erste Eckpunkte des Entwurfs hatte das Deutsche Ärzteblatt vor einigen Tagen berichtet.
Vor einer solchen Entscheidung sollen die Länder prüfen, ob die Qualitätskriterien in Kooperationen und Verbünden erfüllt werden können. „Hierdurch soll gewährleistet werden, dass vor einer Zuweisung trotz Nichterfüllung der Qualitätskriterien sämtliche Mittel zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung ausgeschöpft werden“, heißt es weiter. Die Länder dürfen aber alleine beurteilen, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen (etwa Pkw-Fahrzeitminuten) die Erfüllung von Qualitätskriterien in Kooperationen und Verbünden zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung zwingend erforderlich ist.
Ausnahmen von den Qualitätskriterien sollen auch möglich sein, wenn der Betrieb des jeweiligen Krankenhausstandortes vollständig oder teilweise eingestellt wird und die Zuweisung der Leistungsgruppen für die Umsetzung der Betriebseinstellung zwingend erforderlich ist. Dies soll im Falle einer Schließung einer Klinik ermöglichen, dass der Betrieb in der Übergangszeit weiterlaufen kann auch wenn die personelle oder sachliche Ausstattung nicht mehr nach den Leistungsgruppen erfüllt werden kann.
Ausnahmen auf maximal sechs Jahre befristet
Diese Ausnahmen sollen höchstens drei Jahre lang gelten, allerdings nochmals um maximal drei Jahre verlängert werden dürfen. Für die Ausnahme der ersten drei Jahre darf das jeweilige Land entscheiden, für die Verlängerung muss ein Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen erzielt werden. Von der Befristung ausgenommen gelten Krankenhäuser, die heute schon Sicherstellungszuschläge erhalten. Diese können unbefristet Leistungsgruppen anbieten, ohne die Qualitätskriterien zu erfüllen.
Wegfallen sollen weiter die im KHVVG vorgesehenen Erreichbarkeitsvorgaben. So war ursprünglich vorgesehen, dass die Leistungsgruppen Allgemeine Innere Medizin und Allgemeine Chirurgie innerhalb von 30 Minuten Pkw-Fahrzeit erreicht werden können sollen, alle übrigen Leistungsgruppen innerhalb von 40 Minuten.
Auch von den geplanten strengeren Vorgaben bei onkochirurgischen Leistungen soll abgewichen werden. So war mit dem KHVVG vorgesehen, dass Kliniken mit den niedrigsten Fallzahlen bei einer bestimmten Indikation nicht mehr behandeln dürfen und damit keine Vergütung mehr erhalten sollen. Dies sollte bis zu der Grenze gelten, an der die Summe ihrer Fallzahlen 15 Prozent der Gesamtfallzahlen in diesem Indikationsbereich beträgt.
Dem KHAG zufolge soll nun der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für die jeweiligen Indikationsbereiche eine niedrigere Prozentzahl festlegen dürfen, „sofern dies zur Aufrechterhaltung einer patienten- und bedarfsgerechten flächendeckenden stationären Versorgung der Bevölkerung mit onkochirurgischen Leistungen zwingend erforderlich ist“. Vor einer entsprechenden Beschlussfassung solle der G-BA eine Folgenabschätzung durchführen.
Warken hatte zudem bereits angekündigt, Ausnahmen bei der Standortregelung ermöglichen zu wollen. So sollen dem KHAG zufolge der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) im Benehmen mit der Privaten Krankenversicherung (PKV) vereinbaren, welche Krankenhäuser als ein Standort gezählt werden können – trotz mehrerer Gebäude in mehr als 2.000 Meter Abstand zueinander.
Weiter gibt es Änderungen bei den geplanten Fachkrankenhäusern. So werden die im KHVVG vorgesehenen Sonderregelungen für Fachkliniken gestrichen, um die gesetzlichen Regelungen zu Kooperationsmöglichkeiten von Fachkrankenhäusern zu vereinheitlichen, heißt es im Entwurf.
Fachkrankenhäuser können demnach Kooperationen zu allen am Standort vorzuhaltenden verwandten Leistungsgruppen bei vorliegendem Kooperationsvertrag anstreben. Bislang war geplant, dass Fachkrankenhäuser neben für sie wichtigen Leistungsgruppen zusätzlich sogenannte verwandte Leistungsgruppen vorhalten sollten. Dazu gehörte etwa die Leistungsgruppe Innere Medizin, allgemeine Chirurgie oder Intensivmedizin.
Auch Ausnahmen für Nordrhein-Westfalen (NRW) sollen – wie im schwarz-roten Koalitionsvertrag vorgesehen – gesetzlich verankert werden. Das Bundesland hat bereits Ende 2024 einen neuen Krankenhausplan auf der Basis von Leistungsgruppen erstellt und soll so bis Ende 2030 erstmal keine Anpassungen vornehmen müssen.
Anpassungen bei den Leistungsgruppen
Angepasst werden soll mit dem KHAG die Zahl der vorgesehenen Leistungsgruppen. Waren im KHVVG noch 65 Leistungsgruppen eingeplant – 60 Gruppen aus NRW plus Infektiologie, Notfallmedizin, spezielle Kinder- und Jugendchirurgie und Kinder- und Jugendmedizin sowie spezielle Traumatologie – soll künftig nur letztere von den zusätzlichen Gruppen übrigbleiben. Insgesamt soll es also 61 Leistungsgruppen geben. Auch das hatte die schwarz-rote Regierung in ihrem Koalitionsvertrag bereits angekündigt.
Weiter soll das Vollzeitäquivalent eines Facharztes von 40 auf 38,5 Wochenstunden reduziert werden. Damit soll der Tatsache, dass in einer Vielzahl von Tarifverträgen eine 38,5 Stundenwoche als Vollzeitäquivalent festgelegt ist, Rechnung getragen werden, heißt es in der Begründung des Entwurfs.
Die Länder sollen mehr Zeit erhalten, die Leistungsgruppen zuzuteilen und diese Information an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) weiterzugeben. Im KHVVG war hierfür der 31. Oktober 2026 vorgesehen, nun sollen die Länder bis zum 30. September 2027 Zeit erhalten. Über diese geplante Verschiebung hatte das Deutsche Ärzteblatt bereits berichtet.
Die Länder können zudem den Medizinischen Dienst (MD) bis zum 31. Dezember 2025 beauftragen, zu prüfen welche Krankenhäuser die Kriterien der angemeldeten Leistungsgruppen erfüllen. Bislang war eine Beauftragung bis spätestens 30. September 2025 vorgesehen. Mehr Zeit bekommen soll auch der MD. Entsprechende Prüfungen der Qualitätskriterien sollen nicht mehr bis zum 30. Juni 2026 sondern bis zum 31. Juli 2026 abgeschlossen sein.
Verschiebung der Vorhaltevergütung
Es soll sich zudem die Einführung der geplanten Vorhaltefinanzierung verschieben. Die Jahre 2026 und 2027 sollen als budgetneutrale Jahre im Hinblick auf die Vorhaltevergütung gelten. Die bereits vorgesehene Konvergenzphase findet in den Jahren 2028 und 2029 statt. Ab dem Jahr 2030 soll die volle Finanzwirksamkeit für die Vorhaltevergütung eintreten. Auch das wurde bereits mehrfach angekündigt und ist Teil des schwarz-roten Koalitionsvertrages.
Bislang war vorgesehen, dass alles ein Jahr früher startet. Entsprechend werden die für die Jahre 2025 und 2026 weiterhin geltenden Zuschläge für die Pädiatrie und Geburtshilfe werden um ein Jahr verlängert.
Belohnt werden sollen aber die Länder, die ihre Leistungsgruppenzuweisung früher an das InEK melden. Wer das auf freiwilliger Basis bis Ende 2025 macht, soll eine Information bis Ende Februar erhalten, inwiefern sich diese Zuteilung auf die Vorhaltepauschalen theoretisch für 2026 auswirken würde. Diese Information komme der vom Bund oft versprochenen Auswirkungsanalyse der Finanzierungsreform nach, erklärte Warken kürzlich. Gleiches soll für Länder gelten, die dies ein Jahr später bis Ende 2026 machen. Diese erhalten die Informationen zu den Vorhaltepauschalen für das Jahr 2027.
Bund übernimmt hälftige Finanzierung des Transformationsfonds
Im KHAG wird auch die Finanzierung des Transformationsfonds wie bereits angekündigt neu geregelt. So soll der Bund für den Fonds, der Krankenhäuser bei der Umstrukturierung im Rahmen der Reform unterstützen soll, jährlich 2,5 Milliarden Euro von 2026 bis 2035 beisteuern. Geplant ist, diese Mittel aus dem Sondervermögen an die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zu überweisen.
Bislang war vorgesehen, dass diese Mittel von der GKV, also von Beiträgen der Arbeitgeber und -nehmer bezahlt werden. Mit dieser Änderung wird auch die für die PKV geschaffene Möglichkeit, sich an der Finanzierung des Transformationsfonds zu beteiligen, gestrichen.
Auch aus dem Bundeshaushalt sollen die Kosten für die Verwaltung des Fonds und die Aufwendungen des Bundesamts für Soziale Sicherungen gedeckt werden. Hierfür entstehen dem Bund für 2025 Kosten in Höhe von 1,5 Millionen Euro und von 2026 bis 2035 jährlich 2,7 Millionen Euro.
Mindestreserve des Gesundheitsfonds wird erhöht
Zudem soll die Mindestreserve der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds erhöht werden. Sie soll von derzeit mindestens 20 Prozent der durchschnittlich auf den Monat entfallenden Ausgaben des Gesundheitsfonds auf 22,5 Prozent steigen. Die Reserve darf künftig nicht mehr bis zu einer Höhe von 25 Prozent liegen, sondern bis zu 30 Prozent. Dies müsse angepasst werden, da die Höhe der aktuellen Mindestreserve die unterjährige Liquidität nicht mehr ausreichend absichere, heißt es in der Begründung des Entwurfs. Es soll vermieden werden, dass unterjährige Liquiditätshilfen des Bundes zur Regel werden und die Erhöhung der Reserve soll schrittweise erfolgen.
Der Entwurf sieht zudem eine Entlastung der Krankenhäuser um rund drei Millionen Euro jährlich vor. In der Krankenhaustransformationsfonds-Verordnung (KHTFV) war vorgesehen, dass Kliniken für die Beantragung von Fördermitteln aus dem Transformationsfonds eine Wirtschaftsprüferin oder einen Wirtschaftsprüfer beauftragen sollten. Diese sollten gegenüber dem jeweiligen Land den Nachweis einer Prüfung des Insolvenzrisikos des Krankenhausträgers vorlegen. Diese Vorgabe soll nun entfallen. Die Entlastung von drei Millionen Euro jährlich sei eine „Reduzierung der Bürokratiekosten aus Informationspflichten“, heißt es in dem Entwurf.
Es sei selbstverständlich, dass Förderungen aus dem Transformationsfonds nur dann erfolgen werden, wenn prospektiv eine wirtschaftlich nachhaltige Sinnhaftigkeit besteht, erläutert der Entwurf.
Ursprünglich waren sogar die Länder vorgesehen, das Insolvenzrisiko einer Klinik im Vorfeld der Förderungsbeantragung zu prüfen. Vor der Verabschiedung der Verordnung im Bundesrat im März hatten sie erfolgreich gefordert, dass dies Wirtschaftsprüfer übernehmen sollten, weil die Länder dies nicht beurteilen könnten.
Krankenhausreform soll früher evaluiert werden
Nicht verschoben, sondern vorgezogen werden soll die erste Evaluation des KHVVG. Statt bis zum 31. Dezember 2028 soll sie nun schon zum 31. Juli 2027 fertiggestellt sein. Dafür zuständig sind der GKV-Spitzenverband, der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) und die DKG.
Eine weitere Verschiebung ist für die geplante Rechtsverordnung mit den Regelungen zu den vorgesehen Mindestvorhaltezahlen geplant. Diese soll nicht mehr bis zum 12. Dezember 2025 erlassen werden, sondern dafür soll mehr Zeit – bis zum 12. Dezember 2026 – eingeräumt werden. Die geplante Wirkung ab Januar 2027 soll gestrichen werden.
Weiter wird die gesetzliche Verpflichtung eine Rechtsverordnung mit den Qualitätskriterien der Leistungsgruppen bis zum 31. März 2025 zu erlassen, gestrichen. Die angepassten Vorgaben zu den Kriterien befinden sich stattdessen in einer Anlage des KHAG. Hier gibt es kleinere Änderungen, aber keine bei der Anzahl der benötigten Fachärztinnen und -ärzte je Leistungsgruppe. Die Empfehlungen stammen von dem neu gebildeten Leistungsgruppenausschuss.
Einige Anpassungen bei den Vorgaben der Leistungsgruppen
Meistens werden zur Erbringung einer Leistungsgruppe drei Fachärzte der jeweiligen Fachrichtung benötigt. Bei spezielleren Leistungsgruppen, etwa Ösophagus- oder Pankreaseingriffen, werden fünf Fachärzte mit entsprechenden Zusatzweiterbildungen benötigt. Für Herz- und Lebertransplantationen sind sechs vorgesehen, für Nierentransplantationen neun.
Einige Beispiele von angepassten Vorgaben im KHAG: Bei der Leistungsgruppe Allgemeine Chirurgie soll eine „2-zu-1-Regel“ eingeführt werden. Ein Facharzt für Allgemeinchirurgie kann durch zwei Fachärzte (ein FA für Orthopädie- und Unfallchirurgie sowie ein FA für Viszeralchirurgie) ersetzt werden.
Für die Geriatrie waren bislang drei Fachärzte vorgesehen, davon mindestens zwei FA Neurologie oder FA Physikalische und Rehabilitative Medizin mit Zusatzweiterbildung Geriatrie. Jetzt heißt es, dass für die Erbringung der Leistungsgruppe mindestens zwei mit Zusatzweiterbildung Geriatrie oder Schwerpunkt Geriatrie oder FA für Innere Medizin und Geriatrie angestellt sein müssen.
In der Allgemeinen Inneren Medizin wird mehr Flexibilität eingeräumt. Statt zehn Stunden täglich Endoskopie im Zeitraum von sechs bis 20 Uhr vorhalten zu müssen, ist dies nur noch für acht Stunden täglich nötig. Dies räume den Krankenhäusern eine größere Flexibilität in ihrer Planung ein, insbesondere hinsichtlich des für eine Endoskopie erforderlichen Personals, ohne die Versorgungssicherheit von Patientinnen und Patienten einzuschränken, heißt es in der Erklärung dieser Vorgabe.
Für die Erbringung der Speziellen Traumatologie soll kein Blutdepot mehr vorgehalten werden. „Die Versorgungssicherheit für Blutpräparate obliegt den Krankenhäusern dem Grunde nach, sodass es keiner weiteren Konkretisierung bedarf“, heißt es in der Begründung des Entwurfs.
Zudem ist die Streichung der Pflegepersonaluntergrenzen als Erfüllungskriterium der Leistungsgruppen vorgesehen. Sie sollen zwar formal bestehen bleiben, aber nicht mehr als Planungskriterium für die Leistungsgruppen dienen.
Statistisches Bundesamt soll entscheiden dürfen, welche Daten Krankenhäuser erheben müssen
Das BMG will zudem das Statistische Bundesamt per zustimmungsfreier Rechtsverordnung künftig ermächtigen, entscheiden zu dürfen, welche Daten Krankenhäuser erheben müssen, um den Orientierungswert weiterzuentwickeln.
„Vor dem Hintergrund, dass das Statistische Bundesamt über die erforderliche Fachexpertise hinsichtlich der zu erhebenden Daten verfügt, kann im Wege der Subdelegation der Verordnungsermächtigung durch das BMG auf das Statistische Bundesamt das Ver-fahren zur Weiterentwicklung des Orientierungswerts vereinfacht und beschleunigt werden“, heißt es dazu in der Begründung des Entwurfs.
Der Orientierungswert gibt die durchschnittliche jährliche prozentuale Veränderung der Krankenhauskosten wieder, die ausschließlich auf Preis- oder Verdienständerungen zurückzuführen ist. Damit ist er eine wichtige Basis für Budgetverhandlungen im stationären Bereich. Für den Zeitraum des 2. Halbjahres 2023 und des 1. Halbjahres 2024 beträgt der Orientierungswert dem Statistischen Bundesamt zufolge im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum 4,24 Prozent.
Warnungen vor Verschlechterungen
Die Krankenkassen warnten heute vor einer Verwässerung der Reform. Die Aufweichung der geplanten Qualitätsvorgaben würde die zentralen Ziele der Reform – eine bundesweit einheitliche und hohe Behandlungsqualität für mehr Patientensicherheit – nachhaltig gefährden, erklärte Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.
„Die Möglichkeit für Bundesländer, von den einheitlichen Qualitätskriterien für Leistungsgruppen abzuweichen, öffnet einer willkürlichen Zuweisung von Leistungsgruppen Tür und Tor.“ Sie warnte vor einer Gelegenheitsversorgung, die zulasten von Patienten ginge. Stattdessen brauche es verbindliche und bundeseinheitliche Kriterien für die Zuweisung von Leistungsgruppen sowie objektive Kriterien für Kooperationen.
„Sollten Ausnahmen zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung oder aufgrund medizinischer Notwendigkeit dringend erforderlich sein, müssen diese zwingend im Einvernehmen mit den Krankenkassen angewendet werden“, forderte die GKV-Vorständin. Ergänzt werden müsse eine Festlegung auf Basis eines bundeseinheitlichen Rahmens. Empfehlungen als Leitplanken für die Länderentscheidungen sollten vom G-BA erarbeitet werden, erklärte sie weiter.
„Dazu gehört die Ermittlung der bevölkerungsbezogenen Versorgungsrelevanz und Erreichbarkeit von Standorten, ebenso wie Vorgaben zur Bündelung und Stufung von Leistungsgruppen.“ Und es müsse auch die länderübergreifende Versorgung berücksichtigt werden, denn Versorgungsbedarfe enden nicht an Landesgrenzen.
Kritik an der geplanten Streichung der Erreichbarkeitsvorgaben
Unverständlich sei zudem die geplante Streichung der bereits lange bewährten Erreichbarkeitsvorgaben für Ausnahmen, sagte Stoff-Ahnis weiter. Ziel der Reform müsse eine einheitliche qualitative Versorgung und damit letztlich auch der Lebensverhältnisse in Deutschland sein. „Die Definition des nun unbestimmten Rechtsbegriffs der ‚flächendeckenden Versorgung‘ darf daher nicht landesspezifisch und uneinheitlich erfolgen, sonst drohen Ausnahmen selbst in Ballungsräumen.“
Auch die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, kritisierte die geplanten Änderungen. Das KHVVG werde mit seinem starken Ansatz für mehr Qualität und Patientenschutz deutlich verwässert, was die Bundesgesundheitsministerin eigentlich ausschließen wollte, bemängelte sie.
„Um sicherzustellen, dass das KHAG nicht doch noch zu einem ‚Krankenhausreform-Aufweichungsgesetz‘ wird, müssen die geplanten Ausnahmeregelungen deutlich eingegrenzt und bezüglich ihrer Effekte auf die Versorgungsqualität evaluiert werden“, forderte Reimann. „Sollten Ausnahmen zu unterdurchschnittlicher Ergebnisqualität führen, wären den Versicherten auch längere Anfahrtswege zu Krankenhäusern mit besserer Qualität zuzumuten.“
Sie begrüßte hingegen die explizite Zusage des Bundes, die Umbaukosten zur Modernisierung der Krankenhäuser zu übernehmen und mit Steuermitteln zu finanzieren. Positiv sei auch der geplante Aufschub bei der Umsetzung der Vorhaltekostenfinanzierung. „So kann der Webfehler einer weiter bestehenden Fallfixierung noch korrigiert werden“, sagte Reimann. „Gebraucht wird ein System für eine bedarfsorientierte Vorhaltefinanzierung, damit Planungsentscheidungen und Finanzierung miteinander verknüpft werden.“
Auch der BKK-Dachverband sowie die Innungskrankenkassen begrüßten die geplante Finanzierung des Transformationsfonds durch den Bund. „Dass die GKV nicht auch noch für notwendige Strukturmaßnahmen zahlen muss, ist richtig und konsequent – wir begrüßen daher ausdrücklich, dass diese zusätzliche Belastung verhindert wurde“, sagte Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK-Dachverbands.
Sie zeigte sich aber auch besorgt über die vorgesehenen vielen Ausnahmeregelungen und erweiterten Kooperationsmöglichkeiten. „Wenn wir die Krankenhausreform mit Leben füllen wollen, dürfen wir keine Hintertüren für Ausnahmen schaffen. Einheitliche Qualitätsstandards sind kein bürokratischer Selbstzweck, sondern ein Garant für sichere und hochwertige Patientenversorgung“, mahnt Klemm.
Aus Sicht der Betriebskrankenkassen dürfe die Krankenhausreform nicht zu einem Kompromissprojekt verkommen, das bestehende Strukturen lediglich verwaltet, statt sie mutig weiterzuentwickeln. Die vorgesehenen Anpassungen im KHAG würden zum Teil diesen Anspruch verfehlen.
Auch die Innungskrankenkassen warnten diesbezüglich vor einem Flickenteppich in der Versorgung. Sie fordern die Politik auf, sich der geplanten Ausweitung der Ausnahmetatbestände noch einmal gewissenhaft anzunehmen, um damit einhergehende Gefahren einer Qualitätseinschränkung für die Patientinnen und Patienten verlässlich auszuschließen.
BÄK weist auf grundlegende Probleme der Reform hin
Die größeren Handlungsspielräume der Länder begrüßte hingegen die Bundesärztekammer (BÄK). Damit könne eine sachgerechte regionale Umsetzung besser möglich werden, erklärte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. „Dabei können auch ein angepasster Zeitplan und die im Bundeshaushalt vorgesehenen zusätzlichen finanziellen Mittel vorübergehend helfen.“ Richtig seien auch die vorgesehenen Fehlerkorrekturen bei den Qualitätskriterien.
Dennoch bleibe die Reform in ihrem Kern nicht funktionstüchtig. Reinhardt kritisierte die Ausgestaltung der Vorhaltevergütung. „Der derzeit verfolgte Ansatz verfehlt das an sich richtige Ziel einer fallzahlunabhängigen Vergütung der notwendigen Vorhaltung und führt stattdessen zu Überregulierung und neuen Fehlanreizen.“ Daran ändere auch die vorgesehene Verschiebung um ein Jahr nichts.
Weiter bemängelte Reinhardt den sogenannte Leistungsgruppen-Grouper. Dieser werde ohne grundlegende Anpassungen zu relevanten Verwerfungen führen. Ein drittes Kernproblem sei die erhebliche Zunahme der versorgungsfeindlichen Bürokratie – auch daran änderten die vorgelegten Gesetzesänderungen noch nichts.
„Schließlich fehlt uns weiterhin eine ausreichende Abfederung der Reformauswirkungen auf die ärztliche Weiterbildung, insbesondere sind hier Ausnahmeregelungen bei der Arbeitnehmerüberlassung dringend erforderlich“, forderte er.
Der Referentenentwurf könne deshalb nur der Startpunkt für den notwendigen Anpassungsprozess sein. Die kommenden Monate würden zeigen, ob es gelinge, eine wirklich erfolgreiche Reform auf den Weg zu bringen, so Reinhardt.
Die im Entwurf vorgesehenen Fristverlängerungen und erweiterten Ausnahmeregelungen bei der Zuweisung von Leistungsgruppen seien eine pragmatische Antwort auf bereits sichtbare Schwierigkeiten, erklärte Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes (MB). „Die Anpassungen zeigen, dass die Politik bereit ist, auf Rückmeldungen aus der Praxis zu reagieren.“
Auch die Korrekturen an den Leistungsgruppen gingen grundsätzlich in die richtige Richtung. Es bleibe jedoch weiterer Anpassungsbedarf. „Die personellen und strukturellen Anforderungen für die Zuweisung von Leistungsgruppen müssen so gestaltet sein, dass sie in der Praxis erfüllbar sind und keine willkürlichen Hürden aufgebaut werden“, sagte Johna.
Ein besonderes Augenmerk müsse auf den Leistungsgruppen-Grouper gelegt werden. Ohne grundlegende Veränderungen in diesem Steuerungsinstrument drohten erhebliche Fehlsteuerungen. „Die Gefahr besteht, dass Versorgungsentscheidungen zunehmend von formalen Zuordnungskriterien abhängen, statt sich am tatsächlichen Bedarf der Patientinnen und Patienten zu orientieren“, sagte die MB-Vorsitzende.
Gesetzliche Regelung zu Weiterbildungsverbünden gefordert
Johna bemängelte zudem fehlenden Mut bei der notwendigen Anpassung der Finanzierungssystematik. Solange die Vorhaltevergütung weiterhin fallzahlabhängig sei, bleibe sie in ihrer Konstruktion fehlerhaft. Die Verschiebung schaffe lediglich zeitlichen Spielraum.
„Enttäuschend ist auch, dass nicht abzusehen ist, wie der zunehmende bürokratische Aufwand wenigstens eingedämmt werden soll“, sagte sie. Bereits heute belasteten Dokumentationspflichten und Berichtsvorgaben den Klinikalltag erheblich. Die Einführung eines weiteren, parallelen Finanzierungssystems zu den bestehenden Fallpauschalen verschärfe diese Situation.
Wie die BÄK weist auch Johna auf die unzureichende Berücksichtigung der ärztlichen Weiterbildung hin. „Schon jetzt geraten viele Weiterbildungsstellen unter Druck, weil Krankenhausstandorte geschlossen, Leistungen konzentriert und Träger fusioniert werden.“
Damit drohe nicht nur ein Verlust an Qualifikationsmöglichkeiten für junge Ärztinnen und Ärzte, sondern auch ein struktureller Rückgang der Weiterbildungskapazitäten insgesamt. Johna forderte: „Hier müssen Bund und Länder aktiv gegensteuern, sonst werden langfristig nicht nur Fachkräfte fehlen – es wird auch die Attraktivität der ärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus spürbar sinken.“
Es brauche eine verbindliche gesetzliche Regelung zur Sicherung und zum Ausbau von regionalen, durch die Ärztekammern zertifizierte Weiterbildungsverbünde. Diese müssten strukturell und finanziell so ausgestattet sein, dass sie auch unter veränderten Rahmenbedingungen eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Weiterbildung zum Facharzt gewährleisten können, betonte Johna.
Die Krankenhäuser begrüßten die stärkere Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten und Bedürfnisse der Bundesländer. Das erklärte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG zeigte sich erfreut, dass insbesondere die dauerhaften Ausnahmeregelungen für Sicherstellungskrankenhäuser in die richtige Richtung weisen würden.
„Auch bei anderen Kliniken sollte es den Ländern ermöglicht werden, eigenständig über Ausnahmeregelungen zur Sicherstellung der Versorgung zu entscheiden. Zeitliche Befristungen oder gar die Pflicht, Einvernehmen mit den Krankenkassen in diesen Entscheidungen zu erzielen, sind kritisch zu hinterfragen“, so Neumeyer.
Es müsste zudem das Standortdenken überwunden werden. Die sehr eng gefasste Definition müsse ausgeweitet werden, forderte Neumeyer. „Insbesondere große Kliniken mit mehreren Standorten innerhalb einer Stadt benötigen Ausnahmeregelungen.“ Sie könnten nicht an jedem Standort innerhalb einer Stadt sämtliche Leistungsgruppen vollständig vorhalten.
Zudem seien die Regelungen zur Vorhaltefinanzierung unzureichend, mahnte Neumeyer. Die Verschiebung der Finanzierungsänderung sei keine Lösung. „Das Fundament der Vorhaltefinanzierung ist marode: Es bleibt weiterhin fallzahlabhängig, setzt falsche Anreize und ist mit einem übermäßigen bürokratischen Aufwand verbunden.“ Die DKG setze große Hoffnung darauf, dass Bund und Länder den Mut aufbringen, dieses Instrument grundlegen zu überarbeiten. Weiter fehle es an einer Überarbeitung der Hybrid-DRG.
Der Katholische Krankenhausverband Deutschland bemängelte die lediglich befristeten Ausnahmemöglichkeiten der Länder. Daher bedeute der Entwurf für die Kliniken vor Ort vor allem eines: weiter abwarten, weiter Unsicherheit, insbesondere auf eine sachgerechte Leistungsfinanzierung, sagte Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands Deutschland. Es liege nun in der Verantwortung der Länder die Ausnahmen zu nutzen, um die flächendeckende Versorgung bedarfsorientiert aufrechtzuerhalten.
Auch Rümmelin kritisierte die Vorhaltefinanzierung in der jetzigen Form. Diese sei „ein rein technisches Verteilinstrument ohne erkennbaren Mehrwert“. Eine zukunftsfeste Krankenhausversorgung brauche jedoch mehr als ein hochkomplexes und überdies völlig intransparentes Rechenmodell, so Rümmelin. Stattdessen brauche es eine Vorhaltevergütung, die sich an den tatsächlichen Vorhaltekosten orientiert, die die Krankenhäuser für die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung schultern würden.
„Das gilt vor allem in Regionen mit geringen Fallzahlen aber hoher Versorgungsverantwortung. Personal, Infrastruktur und die Einsatzfähigkeit rund um die Uhr verursachen hohe Fixkosten“, sagte Rümmelin. Die geplante Vorhaltevergütung setze aber insbesondere kleinere, aber unverzichtbare Standorte weiter unter Druck.
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