Krebshilfe fördert Forschung zu ethischer Verantwortung in der Onkologie

Berlin – Die Deutsche Krebshilfe will in den nächsten Jahren ethische Aspekte der Onkologie wissenschaftlich untersuchen, definieren und Lösungskonzepte entwickeln. Dazu hat sie das Förderprogramm „Ethische Verantwortung in der modernen Krebsmedizin“ initiiert.
Insgesamt zehn interdisziplinäre Projekte, an denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Medizin, den Naturwissenschaften, der Ethik, Philosophie, Theologie und Soziologie beteiligt sind, werden von ihr in den kommenden drei Jahren mit rund 3,8 Millionen Euro gefördert.
Die jetzt ausgewählten Projekte konzentrieren sich unter anderem auf eine bessere Wissensvermittlung, auf Therapieentscheidungen in Grenzfällen sowie den Einfluss ökonomischer Faktoren auf onkologische Therapieentscheidungen.
„Die Krebsforschung und -medizin voranzubringen, sind zentrale Anliegen der Deutschen Krebshilfe“, sagte heute Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe, bei der Vorstellung des neuen Förderschwerpunktprogramms.
Einen großen Teil der anvertrauten Spendengelder investiere man in innovative und zukunftsweisende Projekte und trage somit zu stetigen Weiterentwicklungen in der Krebsbekämpfung bei. „Bei allen Fortschritten sind uns bei der Versorgung krebskranker Menschen, aber auch ethische Aspekte enorm wichtig“, sagte er. Man wolle einen Beitrag dazu leisten, der ethischen Verantwortung in der modernen Krebsmedizin gerecht zu werden.
„Ärztinnen und Ärzte haben immer auch eine ethische Verantwortung gegenüber ihren Patientinnen und Patienten,“ unterstrich Wolf-Karsten Hofmann, Direktor der Klinik für Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Mannheim und Vorsitzender des Fachausschusses „Versorgung“ der Deutschen Krebshilfe.
Dank enormer wissenschaftlicher Fortschritte in den letzten Jahrzehnten könne man Betroffene immer besser behandeln. „Allerdings stellen diese therapeutischen Erfolge uns Ärzte auch vor eine große Herausforderung. Während wir früher in der Regel keine Wahl hatten, welches Medikament oder welche Therapie wir einsetzen, müssen wir heute abwägen: In welcher Situation ist welche diagnostische oder therapeutische Maßnahme im Sinne des Patienten angeraten?“
Die moderne Krebsmedizin sei oftmals sehr kostenintensiv, betonte Hofmann. „Und wir bewegen uns nicht in ökonomiefreiem Raum.“ Zudem müssten Ärztinnen und Ärzte häufig auch ethisch-moralisch urteilen und ihre Patienten zum Thema „Leben mit Krebs“ beraten. „Dies ist keine einfache Aufgabe.“
Eine zunehmend wichtige Rolle spielen die Kommunikation mit dem Patienten und die gemeinsamen Entscheidungen. Die derzeit existierenden medizinischen Aufklärungsbögen leisteten allerdings nicht das, was sie sollten, bedauerte Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universitätsmedizin Halle.
Die Patienten müssten die medizinischen Sachverhalte tatsächlich richtig verstehen können, um die Informationen abzuwägen und vor dem Hintergrund eigener Werthaltungen die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Oftmals sei das momentan jedoch nicht der Fall, sagte er heute bei der Vorstellung seines Projekts.
„Mögliche Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit sind eine Komplexität der Informationen und Handlungsoptionen, zeitweise kognitive Einschränkungen aufgrund von psychischen und sozialen Belastungen, ein verminderter Bildungsgrad oder kognitive Defizite“, erläuterte der Arzt und Medizinethiker.
Im Rahmen seines Projekts, bei dem die Onkologie, Ethik, Soziologie und das Medizinrecht miteinander verwoben werden, sollen die Aufklärungsbögen verändert werden. Eine vereinfachte beziehungsweise klare Sprache, Visualisierung sowie digitale Unterstützung in Form von Videos sind einige Ansätze für eine verbesserte Vorbereitung auf das ärztliche Aufklärungsgespräch.
Schildmann erwartet in den nächsten Jahren mehr Wissen über individuelle Merkmale für Vulnerabilität der Entscheidungsfähigkeit der Patientinnen und Patienten sowie mehr Informationen über institutionelle Barrieren. Gefunden werden sollen auch neue Lösungsstrategien zur Unterstützung der Entscheidungsfähigkeit in der Onkologie.
Der Frage, welchen Einfluss ökonomische Faktoren auf onkologische Therapieentscheidungen haben, wird Sara Lückmann vom Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik der Universitätsmedizin Halle nachgehen. Sie wolle im Rahmen ihres Projekts erstmals umfassende Daten zur ökonomischen Beeinflussung onkologischer Therapieentscheidungen in Deutschland zur Verfügung stellen, sagte sie heute.
Gleichzeitig wolle ihr Team Strategien und Handlungsmöglichkeiten zur Minimierung ökonomischer Einflüsse auf Therapieentscheidungen in der Onkologie entwickeln. „Häufig ist der erster Impuls, dass es doch keinen Einfluss ökonomischer Faktoren auf onkologische Therapieentscheidungen geben darf. Es ist aber so“, sagte die Versorgungsforscherin.
Beispiele seien die Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs im ambulanten Sektor. Dieser hätte zu einem überproportionalen Anstieg relevanter Diagnosen geführt. Und auch die Manipulation des Geburtsgewichtes in der Neonatologie sei ein Ausdruck des Kostendrucks. „Studien zeigen, dass Ärztinnen und Ärzte einem wachsenden Druck ausgesetzt sind, bei patientenbezogenen Entscheidungen betriebswirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen“, erklärte sie.
In den kommenden drei Jahren will Lückmann Erklärungsansätze für die Wirkung der Finanzierungen des Gesundheitssystems auf Therapieentscheidungen finden. Dazu will sie qualitative Interviews mit Ärzten, Ärztinnen und Studierenden führen, um zu analysieren, wie diese die ökonomische Beeinflussung in der Onkologie wahrnehmen. Gleichzeitig sollen die Daten der Krankenkassen und Krebsregister quantitativ analysiert werden.
Ob Gespräche zu Lebensende, Sterben und Tod durch eine App unterstützt werden können, wird Carola Seifart von der Arbeitsgruppe Ethik in der Medizin der Universität Marburg untersuchen. „Gerade bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen sind gemeinsame Gespräche zur Therapiezielfindung erforderlich, die Erwartungen hinsichtlich eines zu erzielenden Gesundheitszustandes widerspiegeln“, erläuterte sie. „Wenn Krebs nicht heilbar ist, werden andere Aspekte für Lebensqualität wichtig.“
Momentan würden diese Therapiezielfindungsgespräche jedoch noch viel zu selten geführt, so Seifart. Ursachen seien vielfältige Barrieren, sowohl auf ärztlicher als auch auf der Seite der Patienten und Angehörigen. In ihrem Projekt will Seifart deshalb untersuchen, ob durch einen strukturierten Einsatz von interaktiven Apps die Anzahl an Therapiezielfindungsgesprächen und gesundheitsbezogenen Vorausplanungen (Advance Care Planning, ACP) erhöht und die Patientenkompetenz bezüglich der fortgeschrittenen Krankheitssituation verbessert werden kann.
„Therapiezielfindungsgespräche generell sind assoziiert mit weniger Aufnahmen auf Intensivstationen, höherer Lebensqualität in der letzten Lebensphase, einer Stärkung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, einer geringeren familiären Belastung und verminderten Gesundheitskosten“, erläuterte sie.
Stefanie Houwaart, Patientenbeauftragte der Deutschen Krebshilfe, begrüßte den Start der zehn ausgewählten Projekte. Sie seien von „höchster Relevanz und Brisanz“ und legten den Finger in die Wunde, sagte sie. „Es ist gut, dass die Krebshilfe sie mutig fördern kann.“ Es dürfe nicht nur die klinische und wissenschaftliche Evidenz im Mittelpunkt stehen, sondern auch die Patientenpräferenzen und deren moralische Ansprüche. „Jeder muss individuell für sich eine gute Versorgung finden können.“
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