Mehr Kompetenzen für Apotheken: Ministerium hält an Plänen fest

Berlin – Arztpraxen sollen künftig elektronische Sammelrezepte an heimversorgende Apotheken übermitteln dürfen. Das sieht ein heute vorgelegtes Maßnahmenpaket zur Apothekenreform vor, das zudem weiterhin die in der Ärzteschaft hoch umstrittenen Kompetenzerweiterungen für Apotheken beinhaltet.
Anders als bisher sollen Arztpraxen dann im Rahmen eines Heimversorgungsvertrags elektronische Rezepte (E-Rezepte) für die von der heimversorgenden Apotheke versorgten Heimbewohner sammeln und an die Apotheke weiterleiten könnn. Das soll Pflegeheimen Wege ersparen. Allerdings soll die Regelung bis Ende 2028 befristet werden. Danach sollen die Pflegeheime an den Fachdienst angebunden werden.
Die Neuerung ist Teil der Apothekenreform, für die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) heute die Ressortabstimmung eingeleitet hat. Sie besteht aus einem Referentenentwurf für ein Gesetz zur Weiterentwicklung der Apothekenversorgung sowie einem für eine Zweite Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV).
Dabei hält das BMG entgegen massiver Kritik aus der Ärzteschaft auch an den Plänen fest, die Versorgungskompetenzen von Apotheken durch eine Ausweitung der Impfbefugnisse und die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne ärztliche Verordnung auszubauen.
So sollen Apotheken künftig neben Grippe- und COVID-19-Impfungen alle Impfungen durchführen können, die keine Lebendimpfstoffe enthalten. Die Abgabe von Rx-Arzneimitteln ohne Verordnung soll bestimmten Vorgaben unterliegen.
Bei bekannter Langzeitmedikation soll eine einmalige Abgabe der kleinsten Packung unter der Voraussetzung erlaubt werden, dass eine bekannte Verordnung über vier Quartale vorliegt. Das gelte allerdings nur, wenn die Fortführung der Therapie keinen Aufschub erlaubt. Ob die Voraussetzung einer Verordnung über vier Quartale vorliegt, soll die Apotheke anhand vorhandener Einträge in der elektronischen Patientenakte (ePA) überprüfen.
Zudem soll die verschreibungsfreie Abgabe bei akuten, unkomplizierten Formen bestimmter Erkrankungen möglich sein. Um die diesbezüglichen Einzelheiten zu regeln, soll zunächst eine Verordnungsermächtigung geschaffen werden.
Auf deren Grundlage will das BMG dann auf Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und unter Einbindung der Arzneimittelkommissionen der Ärzte und Apotheker in einer Rechtsverordnung Vorgaben für die Abgabe treffen. Diese soll dann auch einen Katalog mit den betreffenden Erkrankungen enthalten.
Die Abgabe soll in der ePA dokumentiert werden und auf Selbstzahlerbasis erfolgen. Für den erhöhten Aufwand sollen die Apotheken Betrag von bis zu fünf Euro pro Abgabe verlangen können.
Zudem will das BMG mehr Präventionsaufgaben in die Apotheken verlagern. So sollen gesetzliche Apothekenleistungen als neue pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) vorgesehen werden, die der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und tabakassoziierten Erkrankungen sowie der Früherkennung von hierfür maßgeblichen Erkrankungsrisiken dienen.
Außerdem sollen Apotheken – wie bereits während der COVID-19-Pandemie – auf Selbstzahlerbasis Schnelltests durchführen dürfen. Das BMG nennt Adeno-, Influenza-, Noro-, RS- und Rotavirus als Beispiele. So könnten Infektionsketten schneller durchbrochen werden.
Ärzteschaft geschlossen gegen die Pläne
Die Pläne hatten nach ihrem Bekanntwerden umgehend deutliche Kritik von beinahe allen großen ärztlichen Organisationen. Mit großer Sorge blicke man auf die Pläne aus dem Ministerium, „Apotheken künftig mit Aufgaben zu betrauen, die einer ärztlichen Qualifikation zwingend bedürfen“, heißt es in einem gemeinsamen Brief der Bundesärztekammer (BÄK), der Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV), des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, des Spitzenverbands Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands, des Virchowbunds, des Berufsverbands Deutscher Internistinnen und Internisten sowie des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte.
Vor allem die vorgesehene Möglichkeit, verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgeben zu können überschreite eine rote Linie. Das Prinzip der Trennung von ärztlicher und pharmazeutischer Kompetenz sei „ein zentrales Qualitätsmerkmal der Patientenversorgung“, so die Ärzteorganisationen. „Wird dieses Prinzip aufgeweicht, drohen fehlerhafte und damit gefährliche Arzneimitteltherapien, eine riskante Fragmentierung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit.“
Die Ausweitung von Impf- und Diagnostikleistungen in Apotheken wiederum würden die gesteckten Ziele absehbar verfehlen. Grippe- und Corona-Schutzimpfungen in Apotheken würden derzeit weder in relevantem Umfang angeboten noch nachgefragt. Gleichzeitig würden Studien und praktische Erfahrungen zeigen, dass Impfquoten vor allem durch ärztliche Koordination und Begleitung stiegen und nicht durch das Schaffen zusätzlicher Impfstellen.
Der Großteil des Reformpakets entfällt hingegen auf Maßnahmen, die die wirtschaftliche Situation der Apotheken verbessern und deren Betrieb vereinfachen sollen. Insbesondere soll als neues Element der Apothekenvergütung eine Verhandlungslösung etabliert werden.
Dabei erhalten die Vertragspartner der Selbstverwaltung den Auftrag, Anpassungen für die Apothekenvergütung zu verhandeln. „Die Apothekerschaft erhält damit die Möglichkeit – wie andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen auch – ihre Vergütung selbst mitzugestalten“, schreibt das BMG.
Rechtlich verbindliche Leitplanken in Form bestimmter Indizes sollen dabei konstruktive Verhandlungen fördern. Im Anschluss sollen die ausgehandelten Anpassungen dem Verordnungsgeber als Empfehlung übermittelt und sollen bei künftigen Änderungen der AMPreisV einbezogen werden.
In den Verhandlungen sollen zudem auch gesonderte Zuschläge für Landapotheken enthalten sein. So soll der Erhalt von Standorten in schlecht versorgten Regionen gefördert werden. Noch könne diese Förderung auf Grundlage von Geodaten und weiteren Parametern in der Praxis noch nicht umgesetzt werden, weshalb die Vergütung ländlicher Apotheken bis dahin über eine signifikante Anhebung der Nacht- und Notdienstpauschale gestärkt werden sollen.
Mehr Austauschmöglichkeiten
Neben weiteren Flexibilisierungen bei Öffnungszeiten, Arzneimittelherstellung und -prüfung, der Gründung von Zweigapotheken, der Vergütung von Notdiensten und Vertretungsregelungen für Pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten (PTA) soll den Apotheken vor allem durch erweiterte Austauschmöglichkeiten mehr Handlungsfreiheit gewährt werden.
Wenn ein rabattiertes Arzneimittel bei der Vorlage eines Rezepts in der Apotheke nicht vorrätig ist, sollen Apotheken künftig alternativ ein anderes, bei ihnen vorrätiges Arzneimittel abgeben dürfen.
Das werde aus Sicht des BMG zu einer schnelleren Versorgung und kürzeren Wartezeiten führen. Die Regelung soll jedoch zunächst zeitlich befristet und im Anschluss auf ihre Kostenwirkung für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) evaluiert werden. Dazu sollen der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband (DAV) ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes einen Bericht vorlegen.
Zudem sollen die Folgen des Skonti-Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Februar 2024 rückgängig gemacht werden. Der BGH hatte damals entschieden, dass zwischen Großhändlern und Apotheken Preisnachlässe auf verschreibungspflichtige Arzneimittel nur innerhalb des variablen Großhandelszuschlags von 3,15 Prozent erlaubt sind. Damit hatte er handelsübliche Skonti und sonstige Vergünstigungen untersagt. Die betreffende gesetzliche Regelung soll nun angepasst werden.
Der Branchenverband Pharma Deutschland begrüßt die geplanten Maßnahmen. „Die Apotheke vor Ort ist weit mehr als eine Abgabestelle – sie ist Gesundheitszentrum, Beratungsort und oft erste Anlaufstelle für Prävention und Therapie“, erklärte Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann. Gerade Prävention und Hilfe zur Selbsthilfe könnten dazu beitragen, die angespannte Finanzlage der Krankenkassen nachhaltig zu verbessern.
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