Pflegepersonalbemessung soll stufenweise eingeführt werden

Berlin – Die geplante Neuregelung zur Bemessung des Personalbedarfs in der Krankenhauspflege soll nach den Vorstellungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Anfang kommenden Jahres mit einer Erprobungsphase starten. Das geht aus einem Eckpunktepapier hervor, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Vor der verbindlichen Einführung des entsprechenden Instruments soll dieses demnach drei Monate lang getestet werden. Im Januar 2024 soll das Verfahren dem Vorhaben nach auf Grundlage der „Pflegepersonal-Regelung 2.0“ (PPR 2.0) und der Kinder-PPR 2.0 verpflichtend in allen zugelassenen Krankenhäusern eingeführt werden.
In einer dritten Stufe ist angedacht, dass ein von den Krankenhäusern zu erreichender Umsetzungsgrad festgelegt wird – um anschließend Personal aufzubauen. Die entsprechenden Aufbaustufen sollten sich an „realisierbaren Werten“ orientieren, zudem sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Pflegekräfte zu berücksichtigen.
Krankenhäuser, für die eine tarifvertragliche Regelung zur Entlastung des Pflegepersonals gilt, müssen die Neuregelung nicht verpflichtend anwenden. Kliniken, die die geplanten neuen Vorgaben nicht erfüllen, sollen demnach spätestens ab 2025 mit Sanktionen bestraft werden können, heißt es in den Eckpunkten. Dafür ist ein gestuftes Verfahren vorgesehen. Details sind noch nicht geregelt.
Das Instrument PPR 2.0 wurde im Rahmen einer konzertierten Aktion von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) dem Deutschen Pflegerat (DPR) und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi entwickelt.
Demnach sollen Patienten täglich in je vier Grund- und Spezialpflegeleistungsstufen eingeteilt werden. Jeder Stufe ist ein Minutenwert zugeordnet. Hinzu kommen Grund- und Fallwerte als Basis. In der Summe ergibt sich ein Zeitwert pro Patient, der den Personalbedarf abbildet. Der offiziell festgelegte Bedarf an Pflegezeit pro Patient könnte durch das neue Instrument nach Angaben der DKG im Schnitt voraussichtlich um 8,1 Prozent steigen.
Lauterbach hatte die Einführung des PPR-2.0-Instruments kürzlich auf einer Verdi-Demonstration zugesagt. Mit der geplanten Personalbemessung ist die Hoffnung verbunden, die Mitarbeiter zu entlasten und den Pflegeberuf dadurch attraktiver zu machen. Nach Einschätzung der DKG fehlen in Deutschlands Kliniken rund 40.000 Pflegekräfte.
Die PPR 2.0 wurde von DKG, DPR und Verdi als Interimslösung bis zu der Einführung eines neu aufgesetzten Pflegebedarfsbemessungsinstruments vorgelegt. Mit der Erarbeitung eines solchen neuen Bemessungsinstruments wurden Ende der vergangenen Legislaturperiode DKG, GKV-Spitzenverband und der Verband der Privaten Krankenversicherung vom Gesetzgeber beauftragt.
„Es ist ein bedarfsgerechtes, standardisiertes, aufwandsarmes, transparentes, digital anwendbares und zukunftsfähiges Verfahren über einen analytischen Ansatz unter Hinzuziehung empirischer Daten zu entwickeln, durch das eine fachlich angemessene pflegerische Versorgung in den Krankenhäusern gewährleistet wird“, heißt es dazu im Paragrafen 137k des Sozialgesetzbuchs (SGB) V. Dessen Entwicklung und Erprobung soll spätestens bis zum 31. Dezember 2024 abgeschlossen sein.
„Die Vertragsparteien beauftragen zur Sicherstellung der Wissenschaftlichkeit des Verfahrens auf ihre Kosten fachlich unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen oder Sachverständige mit der Entwicklung und Erprobung des Verfahrens“, heißt es weiter im Gesetz.
Mitte Dezember vergangenen Jahres haben die Vertragsparteien dem Bundesgesundheitsministerium, wie im Gesetz gefordert, „eine Beschreibung des Inhalts der Beauftragung sowie einen Zeitplan mit konkreten Zeitzielen für die Entwicklung und Erprobung des Verfahrens“ vorgelegt.
Die Grünen im Bundestag äußerten sich heute positiv darüber, dass in den Eckpunkten ein konkreter Praxistest angedacht ist. Außerdem sei eine verbindliche bundesweite Einführung wichtig, um Stückwerk zu vermeiden, sagten Janosch Dahmen, Grünen-Sprecher für Gesundheitspolitik, und Kordula Schulz-Asche, Mitglied im Gesundheitsausschuss der Grünen.
„Über den genauen Zeitplan und mögliche Sanktionen wird noch zu sprechen sein, dabei sollten auch die relevanten Verbände und die Interessensvertretungen der Pflegekräfte eingebunden werden.“ Beide betonten, dass genauso wichtig wie die Einführung der PPR 2.0 ihre gute Umsetzung in der Praxis sei.
Der DKG-Vorstandsvorsitzende, Gerald Gaß, bezeichnete es heute als „unpassend“, dass das positive Signal sofort mit der Ankündigung von Sanktionen verknüpft werde. „Es wäre klug, zunächst einmal den Stand der Pflegepersonalausstattung in den verschiedenen Kliniken zu evaluieren und sich dann darüber zu verständigen, wie die Personalausstattung dort, wo sie unzureichend sein sollte, verbessert werden kann“, so Gaß.
Jeder gute Wissenschaftler analysiere zunächst einmal sorgfältig die Situation und versucht sich über Ursache und Wirkung im Klaren zu werden, bevor er weitere Schritte festlegt. „Wir gehen davon aus, dass diese Prinzipien guter Wissenschaft auch hier angewendet werden“, so Gaß weiter.
Es dürfte allgemein bekannt sein, dass der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte leergefegt sei und eine Verbesserung der Personalausstattung dort wo sie notwendig sein sollte, großer Anstrengungen bedürferf, die nur mittelfristig erfolgreich sein könnten.
Gaß wies auch darauf hin, dass manche Ankündigung in den Eckpunkten erklärungsbedürftig seien. Das gelte etwa für die angedachte Regelung, dass bei Krankenhäusern mit Entlastungstarifverträgen die Pflegepersonalbemessung keine Anwendung finden solle.
Man gehe davon aus, dass mit der flächendeckenden Einführung der Pflegepersonalbemessung die kleinteiligen und bürokratischen Pflegepersonaluntergrenzen bei den Kliniken ausgesetzt werden, die bereits einen hohen Erfüllungsgrad der Pflegepersonalbemessung vorweisen könnten.
Es sei „nicht sinnvoll, Doppeldokumentationen und Kontrollinstrumente dort fortzuführen, wo nachgewiesenermaßen ausreichend Pflegekräfte vorhanden sind“. Die DKG sieht in den vorgelegten Eckpunkte einen ersten Rahmen, der noch einer erheblichen Klärung bedarf.
Ähnlich äußerte sich der Katholische Krankenhausverband Deutschlands (kkvd). Er sieht ebenfalls „konzeptionelle Lücken“ und Umsetzungsfragen. So bleibe unklar, ob die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) weiterhin bestehen bleibe. Diese Verordnung habe außer viel Bürokratie keine Erhöhung der Pflegequalität gebracht. Vielerorts habe sie sogar gute Pflege verhindert.
Wenn die PPR 2.0 konsequent umgesetzt werde, verbessere sie einerseits die Personalsituation für die Pflege im Krankenhaus und erhöhe damit andererseits auch die Patientensicherheit, so der kkvd. Es erschließe sich deshalb nicht, warum es Ausnahmeregelungen für Krankenhäuser mit Entlastungstarifverträgen, die nicht klar am Pflegebedarf der Patienten bemessen werden, geben solle. „Wir erwarten daher, dass im Verlauf des Gesetzgebungsverfahren nachgebessert wird.“
Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler sprach von „genau dem richtigen Signal“ an die Beschäftigten in den Krankenhäusern. „Nach Jahren andauernder hoher Belastung und extremer Anstrengungen in der Coronapandemie zeichnet sich endlich eine nachhaltige Lösung für die Entlastung der Beschäftigten ab“, sagte sie. Lauterbach mache klar, dass er sie „strukturelle Personalnot“ in den Kliniken ernsthaft angehen wolle.
Der GKV-Spitzenverband sieht in dem Vorstoß zwar ein „hoffnungsvolles Signal“. Allerdings „wäre der Aufbruch in eine moderne Pflegepersonalbemessung der richtige Schritt“, sagte Verbandssprecher Florian Lanz. Besser als das vorgesehene Vorgehen wäre es, den Pflegebedarf anhand digital erfasster Diagnosen und Pflegemaßnahmen automatisch zu ermitteln. Lauterbach dürfe entsprechende bestehende Ansätze nicht ignorieren, so Lanz.
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