Reaktionen auf geplantes Arzneimittelgesetz gehen auseinander

Berlin – Die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Bekämpfung von Arzneimittelengpässen durch eine Reform der Marktmechanismen stoßen auf gemischtes Echo. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßt sie, der Apothekerschaft hingegen wurde nicht nur eine seit langem geäußerte Forderung erfüllt, sie erhalten auch ein neues Honorar – und zeigen sich dennoch entrüstet.
„Die Gesetzesinitiative des Bundesgesundheitsministers geht in die richtige Richtung“, kommentierte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen die heute veröffentlichten Eckpunkte für ein neues Arzneimittelgesetz. Das gelte insbesondere mit Blick auf Kinderarzneimittel: „Es ist ein richtiger Ansatz, unter anderem die Preisregeln für Kinderarzneimittel zu lockern und Festbeträge sowie Rabattverträge abzuschaffen“, erklärte der stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister.
Dabei dürfe die geplante Anhebung des Preisniveaus aber selbstverständlich nicht zu einem verschärften Regressrisiko für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen führen, betonten die beiden Vorstände dabei.
Deutlich kritischer blickt die Präsidentin des Bundesverbands der Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Overwiening, auf die Pläne des BMG. Zwar begrüße sie es grundsätzlich, dass sich die Politik endlich der katastrophalen Zustände bei den Lieferengpässen mit lebenswichtigen Arzneimitteln annimmt, und auch, Patientinnen und Patienten finanziell von Mehrkosten zu entlasten, sei richtig.
„Über die Apotheken, die seit Monaten mit großem Engagement und Aufwand die Lieferengpässe managen und somit die Menschen zuverlässig versorgen, gießt das Ministerium aber nun offenbar Hohn und Spott aus“, sagte Overwiening heute in Berlin.
Ihre Ablehnung gilt dabei insbesondere dem 50-Cent-Honorar, das Apothekerinnen und Apotheker erhalten sollen, wenn sie ein als versorgungskritisch eingestuftes Arzneimittel nach Rücksprache mit der Arztpraxis austauschen.
„Das ist wirklich eine Frechheit! Damit wird die Bürokratie noch erhöht, der teils stundenlange Arbeitsaufwand nicht einmal ansatzweise bezuschusst – und als Zeichen der Wertschätzung kann man dieses Almosen wohl auch kaum bezeichnen“, kritisierte die ABDA-Präsidentin. „Gerade jetzt an den Feiertagen zu Weihnachten und Neujahr, wo Nacht- und Notdienste für die Apotheken noch zusätzlichen Stress bedeuten, kann kein Apotheker und keine Apothekerin verstehen, wie solch ein Cent-Aufschlag die Versorgungssicherheit stabilisieren oder gar verbessern soll.“
Würden in den kommenden Tagen alle Apotheken das Lieferengpassmanagement einstellen und keine Mühe mehr auf die Suche nach Ersatzpräparaten verwenden, „müssten Politik und Kassen zusehen, wie die Arzneimittelversorgung in Deutschland zusammenbricht“, erklärte Overwiening. Auf die erfüllte Forderung nach Verstetigung der Ausnahmen beim Austausch in der Apotheke ging sie nicht ein.
Krankenkassen für weitergehende Maßnahmen
Ebenfalls kritisch, aber insgesamt deutlich weniger ablehnend haben die Kassen die Pläne aufgenommen. Sie hätten schon seit langem darauf gedrängt, in Ausschreibungen weitere Kriterien wie Verfügbarkeit und Diversität der Produktionsstandorte und Lieferwege mit aufnehmen zu dürfen, betonte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer: „Gut, dass diese Punkte nun vom Bundesgesundheitsministerium angegangen werden. Die Versorgungssicherheit muss oberste Priorität haben, entsprechend muss der gesetzliche Rahmen weiterentwickelt werden.“
Pfeiffer gehen die Reformen aber nicht weit genug. „Statt kurzfristiger Weihnachtsgeschenke für die Pharmaindustrie brauchen wir einen Medikamentengipfel, bei dem von der Politik über die Apothekerschaft bis zu der Pharmaindustrie und den Krankenkassen alle wichtigen Akteure an einem Tisch sitzen“, forderte sie.
Der GKV-Spitzenverband warne dabei vor der Annahme, „dass internationale Pharmakonzerne ihre globalen Produktionsstandorte alleine deshalb ändern, weil gesetzlich Krankenversicherte künftig über ihre Krankenkassenbeiträge höhere Medikamentenpreise in Deutschland bezahlen müssen“.
Es stehe in den Sternen, ob Medikamente künftig verlässlicher in Richtung Europa geliefert oder vielleicht sogar wieder mehr produziert werden, nur weil der Festbetrag für bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittelgruppen wie Medikamente für Kinder und in der Krebstherapie pauschal um 50 Prozent hochgesetzt wird.
Ähnlich sieht es auch der Verband der Ersatzkassen (vdek). Dessen Vorstandschefin Ulrike Elsner kritisierte, dass es problematisch sei, dass durch den geplanten Gesetzentwurf wichtige wettbewerbliche Instrumente – wie Rabattverträge oder Festbetragsregelungen – bei patentfreien Arzneimitteln ausgesetzt oder abgeschwächt würden, ohne dass diese Maßnahmen automatisch zu einer Beseitigung der Lieferprobleme führen.
„Auf jeden Fall werden die Regelungen zu einer weiteren Verteuerung der Arzneimittelversorgung führen“, prognostizierte Elsner. „Eine pauschale Abschaffung der Festbeträge und Rabattverträge für Kinderarzneimittel erhöht die Gewinne der Pharmaindustrie, aber löst nicht die Probleme.“
Dagegen kam postwendend Widerspruch – und zwar nicht aus dem BMG oder den Regierungsparteien, sondern vom gesundheitspolitischen Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, dem CDU-Abgeordneten Peter Liese. „Die Kritik der Krankenkassen ist völlig unbegründet. Aus den Worten klingt Hass auf die Pharmaindustrie und das ist genau eine wichtige Ursache des Problems“, erwiderte er auf Pfeiffer und Elsner.
Wenn man versuche, „bei den Verträgen den letzten Cent auszuquetschen und darüber hinaus eine Nicht-Willkommenskultur für pharmazeutische Unternehmen in Deutschland und Europa kultiviert, dann muss man sich nicht wundern, dass irgendwann die Produktion insbesondere in Europa nicht mehr attraktiv ist“, erklärte er.
„Ich glaube, das ist in erster Linie ein Geschenk für unsere Kinder“, hatte auch Lauterbach mit Blick auf Pfeiffers Äußerungen erwidert. Natürlich erzeuge die Reform Mehrkosten – die seien bei Arzneimitteln für die Kinder aber gut investiert.
Die Pharmaindustrie selbst beschwert sich ebenfalls nicht über die größeren Summen aus dem Solidartopf, die ihnen künftig für bestimmte Präparate gezahlt werden sollen. Laut Hubertus Cranz, dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) gehe Lauterbachs Überlegungen ebenfalls grundsätzlich in die richtige Richtung.
„Allerdings dürfen aktuelle Probleme nicht allein eine Neustrukturierung des Bestandsmarktes bestimmen. Während des Gesetzgebungsverfahrens sollten langfristig stabile Strukturen geschaffen werden“, forderte er. Kritisch sieht er hingegen die angedachte mehrmonatige, versorgungsnahe Lagerhaltung: „Hier besteht das Risiko, zu große Mengen vorzuhalten, die aufgrund begrenzter Haltbarkeit – wie bei den Coronaimpfstoffen – nachher verworfen werden müssen.“
Das wiederum sehen die Arzneimittelgroßhändler ganz anders. „Wer Apotheken und Großhändler vor Hamsterkäufen warnt, hat nicht verstanden, wie dramatisch die Situation ist“, erklärte der Vorsitzende des Verbandes des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels (PHAGRO), André Blümel. „Für Hamsterkäufe fehlt die Ware; pharmazeutische Großhändler horten keine Arzneimittel, sondern geben eingegangene Ware sofort in den Markt, um wenigstens einen Teil der Bestellungen der Apotheken bedienen und ihren Sicherstellungsauftrag erfüllen zu können.“
Blümel warnte davor, den Großhandel bei den Reformen zu vergessen: „Die für eine sichere Arzneimittelversorgung notwendige Infrastruktur des vollversorgenden Großhandels ist seit Jahren staatlich unterfinanziert, bei stetig steigenden gesetzlichen Belastungen und immer neuen versorgungspolitischen Zumutungen.“
Durchgehende Zustimmung kam hingegen aus den Regierungsparteien. „Ich bin dem Bundesgesundheitsminister dankbar, dass er da entschlossen und wirksam handelt. Seine heute vorgestellten Eckpunkte zielen auf strukturelle Verbesserungen ab“, erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens.
„Wir werden die Reformvorschläge im neuen Jahr im Deutschen Bundestag beraten und uns für eine sichere und verlässliche Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten einsetzen.“ Auch Lauterbach kündigte an, noch im Januar einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.
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