Reform der Notfallversorgung: Unparteiische Mitglieder des G-BA für zentrale Vorgaben

Berlin – Vor nicht bundesweit einheitlichen Regelungen zu Strukturanforderungen im Rahmen der geplanten Reform der Notfallversorgung warnen die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
In ihrer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung (Notfall-Gesetz) betonen die unparteiischen Mitglieder des G-BA, man begrüße die mit dem Gesetzentwurf verbundene Zielstellung uneingeschränkt. Dies betreffe insbesondere die Vernetzung der Versorgungsbereiche, die Steuerung der Hilfesuchenden in die richtige Versorgungsebene und eine wirtschaftliche Notfallversorgung von Patienten.
Höchst kritisch sehe man aber, dass zentrale Strukturanforderungen – wie die Anforderungen an das Personal und die Voraussetzung für die Weiterleitung an Kooperationspraxen – nicht bundesweit einheitlich, sondern teilweise krankenhausindividuell festgelegt werden sollten. „Damit wird die Zielstellung einer bundeseinheitlichen Sicherstellung der Notfallversorgung konterkariert“, heißt es in der Stellungnahme.
Es erscheine wenig sinnvoll, die wesentlichen Strukturanforderungen für Integrierte Notfallzentren (INZ) anteilig auf den G-BA, die erweiterten Landesausschüsse und individuell abzuschließende Kooperationsverträge aufzuteilen. Für eine bundesweit einheitliche und gleichwertige Versorgungsstruktur der Notfallversorgung sei es entscheidend, dass zentrale Vorgaben auf der Bundesebene durch den G-BA festgelegt würden.
Diese Vorgaben sollten dann in den Regionen als Rahmen für die Entscheidungen der erweiterten Landesausschüsse dienen. Die Kooperationsverträge für die einzelnen INZ sollten verpflichtend diese Vorgaben einhalten und konkret umsetzen müssen, so die unparteiischen Mitglieder des G-BA.
Ersteinschätzungs-Richtlinie des G-BA nutzen
Diese sprechen sich ausdrücklich für ein Beibehalten der Regelung nach Paragraf 120 Absatz 3b SGB V in der Fassung des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) und für eine „unverzügliche Nichtbeanstandung“ der vom G-BA beschlossenen Richtlinie zur Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs in der Notfallversorgung (Ersteinschätzungs-Richtlinie) aus.
Man sei gesetzlich beauftragt worden, entsprechende Vorgaben zu beschließen und habe diesen Auftrag auch umgesetzt. Die „dringend erforderliche“ Ersteinschätzungs-Richtlinie könne aber in Folge der Beanstandung durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht in Kraft treten – dadurch könne bis auf Weiteres auch keine Entlastung der Notaufnahmen der Krankenhäuser erreicht werden.
Das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf adressierte Ziel einer bundeseinheitlichen Sicherstellung der Notfallversorgung setze auch weiterhin eine qualifizierte Ersteinschätzung für die notwendige Patientensteuerung voraus – die zentralen Bausteine lägen bereits in der vom G-BA beschlossenen Ersteinschätzungs-Richtlinie vor.
Durch die vom BMG beabsichtigten Neuregelungen drohe eine bundeseinheitliche Ausgestaltung und Umsetzung des Ersteinschätzungsverfahrens „konterkariert und künstlich aufgesplittet“ zu werden. Eine bundeseinheitliche Sicherstellung der Notfallversorgung wird damit aus Sicht der unparteiischen Mitglieder des G-BA verhindert.
Auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bewertet den Gesetzentwurf als „noch dringend optimierungsbedürftig“. Es sei der Versuch unternommen worden, wesentliche Punkte der vierten und der neunten Stellungnahme der Regierungskommission für eine bedarfsgerechte und moderne Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen.
„Aber es zeigt sich deutlich“, betonte DIVI-Präsident Felix Walcher, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg, „dass die für die Notfallmedizin zuständigen Fachgesellschaften, wie zum Beispiel wir als die DIVI, bei der Überarbeitung dieses Entwurfs mit unserer Fachexpertise unbedingt einzubinden sind.“
Parallelstrukturen vermeiden
So gelte es nach Einschätzung der DIVI, im Rahmen der geplanten Einrichtung von sogenannten Akutleitstellen in der Trägerschaft der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) unnötige Parallelstrukturen zu den vorhandenen Rettungsleitstellen zu vermeiden.
„Im Sinne einer sehr engen Kooperation zwischen der Akutleitstelle und Rettungsleitstelle wäre die Struktur einer Gemeinsamen Notfallleitstelle, wie dies in der neunten Stellungnahme der Regierungskommission vorgeschlagen wurde, deutlich sinnvoller“, erklärte der Sprecher der DIVI-Sektion Strukturen in der Klinischen Akut- und Notfallmedizin, Torben Brod.
Die DIVI fordert außerdem, dort für eine standardisierte Ersteinschätzung durch notfallmedizinisch qualifiziertes Personal zu sorgen. Auch das neu zu etablierende Ersteinschätzungsinstrument sieht die DIVI derzeit kritisch. Dieses müsse im Vorfeld in multizentrischen klinischen Studien evaluiert worden sein und den wissenschaftlichen Gütekriterien der Validität, Reliabilität sowie der Patientensicherheit genügen – dies sei derzeit nicht der Fall.
Die DIVI unterstützt zudem Forderungen, eine Reform des Rettungsdienstes im Notfall-Gesetz zu berücksichtigen, insbesondere dessen Aufnahme in das Sozialgesetzbuch (SGB V). Notwendig seien auch Veränderungen der Kompetenzzuweisungen beim nichtärztlichen Rettungsdienstpersonal sowie eine medizinisch und ökonomisch sinnvolle Anpassung der vorhandenen boden- und luftgebundenen Rettungsmittel.
Darüber hinaus kann eine tragfähige Reform der Notfallversorgung nach Auffassung der DIVI grundsätzlich nur gelingen, wenn eine standardisierte, interoperable und einheitliche Datenerfassung aller am Prozess Beteiligter in Deutschland etabliert wird.
Kritik vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband
Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier, warnten, die im vorliegenden Entwurf angedachten Maßnahmen seien „auf Sand gebaut“. Das für die Reform vorgesehene Personal gebe es nicht – weder für die Rund-um-die-Uhr-telemedizinische oder -aufsuchende Versorgung noch für Notdienstpraxen im großen Stil.
Der Gesetzgeber müsse diese Versorgungsrealitäten anerkennen und den Gesetzentwurf entprechend anpassen, so Buhlinger-Göpfarth und Beier. Zudem sei die gesetzliche Ausgestaltung der einzelnen Reformvorhaben bisher noch so „mangel- und lückenhaft, dass selbst sinnvolle Elemente des Entwurfs drohen, gegen die Wand zu fahren“.
Dies betreffe etwa die vorgegebenen Fristen zur Ausgestaltung und Umsetzung der Integrierten Notfallzentren (INZ). Jeweils nur sechs Monate für die einzelnen Umsetzungsschritte zu veranschlagen, sei „vollkommen illusorisch“. Ohne Korrekturen drohe das Projekt zu einem Papiertiger zu werden.
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