Rufe nach schneller Finanzreform der Pflegeversicherung

Berlin – Angesichts einer starken Zunahme an Pflegebedürftigen werden Rufe nach einer Finanzreform der Pflegeversicherung noch vor der Bundestagswahl 2025 lauter.
„Die Reform muss jetzt kommen, denn die Lage für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige wird sich immer mehr verschlechtern“, sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. Die Gewerkschaft Verdi forderte, eine Lösung dürfe nicht weiter aufgeschoben werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte deutlich gemacht, dass er wegen Differenzen in der Koalition keine Chance für eine Reform in dieser Wahlperiode sieht – trotz eines zuletzt „explosionsartigen“ Anstiegs der Zahl der Pflegebedürftigen.
Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte: „Eine ideologisch getriebene Blockadepolitik durch den kleinsten Koalitionspartner FDP ist keine gute Grundlage für politisches Handeln der Ampel.“ SPD und Grüne müssten Haltung zeigen und die dringend nötige Pflegereform durchsetzen.
Als Erstes müsse die Pflegeversicherung von versicherungsfremden Leistungen entlastet werden. So müsse etwa die Rentenversicherung pflegender Angehöriger aus Steuermitteln finanziert werden. Dauerhaft nötig sei eine „solidarische Pflegegarantie“, die alle pflegebedingten Kosten trage und in die alle entsprechend ihrem Einkommen einzahlten.
Nach einer bereits beschlossenen Reform der Ampelkoalition sollen die Finanzen der Pflegeversicherung eigentlich bis 2025 abgesichert sein. Damit stieg der Beitrag für Menschen ohne Kinder auf vier Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Der Arbeitgeberanteil ging auf 1,7 Prozent herauf. Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil – weniger Beitrag als zuvor.
Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink, sagte: „Unser Ziel bleibt es, dass Pflege gerecht und verlässlich finanziert wird, und das so schnell wie möglich.“ Dafür sei es unter anderem wichtig, dass Leistungen, die nicht Aufgabe der Pflegeversicherung sind, aus Steuermitteln finanziert würden. „Dazu gehören die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige.“
Linke-Parteichefin Janine Wissler forderte eine „solidarische Versicherung“ für alle. „Nötig ist, dass alle entsprechend ihres Einkommens in eine Pflegevollversicherung einzahlen.“
„Dass die versprochene Pflegereform in dieser Wahlperiode nun ausgeschlossen wird, zeigt nicht nur die tiefe Spaltung in der Ampelkoalition, sondern auch das fehlende Engagement der gesamten Bundesregierung. Ein wahres Trauerspiel zulasten der Pflegebedürftigen, der Pflegekräfte und der Angehörigen“, sagte Erich Irlstorfer (CSU), Berichterstatter der Unions-Fraktion für Pflege.
Der katholische Caritas-Verband mahnte eine stärkere Unterstützung insbesondere von Familien an, die Menschen zu Hause pflegen. Dringend geboten sei, „eine soziale Infrastruktur zu schaffen, die tags und nachts die Angehörigen entlastet“, sagte Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Lauterbach hatte am vergangenen Montag vor einem explosionsartigen Anstieg der Pflegefälle gewarnt. Im vergangenen Jahr kamen rund 35.000 Pflegebedürftige mehr als in den Vorjahren üblich dazu, wie der GKV-Spitzenverband mitteilte. Die Zahl stieg damit auf 361.000.
Der Deutsche Pflegerat wirft der Politik jahrzehntelange Untätigkeit vor. „Die demografische Entwicklung kennen wir. Seit 25 Jahren rechnen wir uns vor, dass die Babyboomer pflegebedürftig werden“, sagte Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Diese Entwicklung müsse doch in der Gedankenvorstellung der Politik klar sein. „Insofern wundert mich die aktuelle Aufregung“.
„Mit dem jetzigen Modell werden wir die Zukunft nicht bewältigen. Das ist uns klar“, sagte Vogler. Sie fordert mehr Wertschätzung der Pflege innerhalb der Gesellschaft. „Wenn man nicht betroffen ist, hat die Pflege in der Gesellschaft eigentlich keinen Stellenwert.“
Insgesamt müsse die Kompetenz verbessert werden, etwa durch ein Schulfach Gesundheit und Pflege. Außerdem müssten die Pflegeberufe aufgewertet werden. „Es muss selbstverständlich sein, den Pflegeberuf zu studieren. Dafür brauchen wir in den Universitäten mindestens 10.000 Plätze.“
Der Freiburger Sozialexperte Bernd Raffelhüschen plädierte für eine einjährige Selbstbeteiligung der Betroffenen an den Kosten. „Die Kostenlawine ist nicht mehr aufzuhalten. Um die Folgen abzumildern, sollte eine Pflegekarenzzeit schnellstmöglich eingeführt werden“, sagte er der Bild.
Pflegebedürftige müssten dann das erste Jahr die Pflegekosten selbst zahlen. „Erst danach fließen Leistungen aus der Pflegeversicherung.“ Der Ökonom sagte einen stark steigenden Beitragssatz voraus: „Die Pflegeversicherung könnte bis 2040 auf circa sieben Prozent für Kinderlose steigen.“
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