Politik

Sachverständige kritisieren geplante Finanzierung für neues Bundesinstitut als unzureichend

  • Donnerstag, 17. Oktober 2024
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Berlin – Die Kritik an den Plänen zur Aufspaltung des Robert-Koch-Instituts (RKI) und dem Aufbau eines neuen Public-Health-Bundesinstituts reißt nicht ab. Nur rund zweieinhalb Monate vor dem avisierten Inkraft­treten des „Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“ äußerten Sachverständige gestern Abend im Bundestag weitere Einwände zum jüngsten Entwurf, auch bezüglich der Finanzierung.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in dem neuen „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ aufgeht, zudem soll ihm eine wichtige Abtei­lung des RKI zugeschlagen werden. Einer der Hauptkritikpunkte von Fachleuten ist – schon länger – die vorgesehene Trennung der Zuständigkeiten in übertragbare (RKI) sowie nicht-übertragbare Erkrankungen (BIPAM).

„Wir halten diese Trennung für nicht sinnvoll“, sagte gestern zum Beispiel Christine Neumann-Grutzeck, Vor­standsmitglied der Bundesärztekammer (BÄK). Fachleute befürchten zudem Doppelstrukturen und Ab­stimmungsprobleme durch diese Trennung, die als künstlich gewertet wird. Eine derartige Trennung sei weltweit einmalig, hielt der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) fest.

Weitgehende Zustimmung gibt es aber es zur generellen Zielsetzung der Bundesregierung, die öffentlichen Gesundheit in Deutschland stärken zu wollen. Es sei höchste Zeit, das Thema zu institutionalisieren, machte die Kommunikationswissenschaftlerin Cornelia Betsch (Universität Erfurt) deutlich. Wie beispielsweise die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) heute bemängelte, droht Deutschland eine „Präven­tionswüste“ zu werden.

Allerdings steht für Fachkreise stark infrage, ob das BIPAM, so wie es aktuell geplant ist, eine Lösung darstellt. Vielmehr sehen sie Defizite bei den grundlegenden konzeptionellen Fragen.

Finanzierung wird als zu knapp angesehen

Die im jüngsten Entwurf von September vorgesehenen Mittel werten nun mehrere Sachverständige als zu knapp. Verankert sind für das BIPAM als Mehrbedarf einmalige Sachausgaben im Jahr 2025 in Höhe von 15,5 Millionen Euro und jährliche Sachausgaben in Höhe von 14,5 Millionen Euro ab 2025.

Dies erscheine stark unterfinanziert, hielt Raimund Geene vom Berliner Institut für Gesundheits- und Sozial­wissenschaften an der Alice Salomon Hochschule und Mitglied des RKI-Beirats in einer schriftlichen Stell­ungnahme fest. Er plädiert dafür, die jährlichen Mehrkosten auf 30 Millionen Euro zu veranschlagen, dies erscheine realistischer. Diese Summe war noch in einem Referentenentwurf im Sommer enthalten gewesen.

Die finanzielle Untersetzung sei „bei diesen ambitionierten Zielen etwas dünn“ sagte auch Betsch. Es müssten nicht nur viele Daten erhoben und ausgewertet werden, sondern Menschen müssten daraus auch Kommuni­kation und Interventionen ableiten. „Ich denke, dass die Investition in Prävention lohnt".

Skeptisch zeigte sich zudem Neumann-Grutzeck von der BÄK: Neben den Sachmitteln müsse man für die an­gestrebten Fortschritte auch an Personalmittel denken. In einer schriftlichen Stellungnahme gab die BÄK außerdem zu bedenken, dass sie befürchte, dass allein für den Aufbau und das Erreichen der vollen Arbeits­fähigkeit des BIPAM Jahre vergehen könnten.

Unabhängigkeit des Instituts für Sachverständige wesentlich

Mehrere Sachverständige monierten außerdem eine mangelnde Unabhängigkeit von politischem Einfluss: Das BIPAM soll der Dienst- und Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unterstehen. Sie argumentieren, dass vielmehr ein evidenzbasiert arbeitendes und unabhängig kommunizierendes Institut nötig sei, wenn man das Vertrauen der Menschen gewinnen wolle.

„Nach unserer Einschätzung wird auch die Glaubwürdigkeit und die Rolle des Instituts davon abhängen, dass es wissenschaftlich arbeiten kann, also an der Stelle fachlich unabhängig ist“, sagte Klaus Koch vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Es müsse eine klare Trennung geben zwischen der Präsentation der wissenschaftlichen Evidenz und politi­schen Entscheidungen, sagte Ingrid Mühlhauser vom Netzwerk Evidenzbasierte Medizin.

Weiter gab es von mehreren Seiten Forderungen nach einer begleitenden Evaluation, etwa der Arbeit des Instituts und der eingesetzten Präventionsmaßnahmen. Eine vertiefte Auseinandersetzung auch mit alten Aktivitäten der BZgA ist für Thomas Altgeld von der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung ebenfalls geboten. Das sei „ein Sammelsurium von Lieblingsprojekten von Ex-Gesundheitsministern, die nie evaluiert wurden“. Deutschland sei bezüglich der Erforschung der Wirkung beispielsweise von Plakatkam­pagnen ein Entwicklungsland.

Übergreifender Ansatz wird vermisst

Etliche Sachverständige sehen zudem im Gesetzentwurf den Health-in-all-policies-Ansatz unzureichend um­gesetzt, der Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe versteht, sie als Querschnittthema in allen Poli­tik­feldern verankert und somit letztlich auf gesündere Lebensbedingungen abzielt. Auch die gesundheitliche Chancengleichheit solle mit aufgenommen werden, hieß es von der BÄK.

Ein solches Institut müsse eine ressort- und sektorenübergreifende Koordination übernehmen, sagte Petra Thürmann (Universität Witten/Herdecke und Mitglied in der Expert:innenkommission „Gesundheit und Re­si­lienz“ der Bundesregierung). „Das können wir nicht auf kommunaler Ebene liegen lassen“, sagte sie mit Blick auf die Ländergesetze, in denen die Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes geregelt sei.

International hätten etwa die Niederlande, Österreich, Frankreich, Großbritannien und die USA Public-Health-Pläne entwickelt, sagte Thürmann. „So etwas ist im Moment dringend notwendig", sagte auch Geene und sprach sich dafür aus, dies dem Aufgabenpaket des BIPAM zuzuschlagen.

Ein weiterer Kritikpunkt mehrerer Sachverständiger ist die geplante Freiwilligkeit von Kooperationen des BIPAM mit Akteuren im Bereich öffentliche Gesundheit. Um welche Akteure es sich dabei handeln soll, ist nicht näher definiert. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVJK) beklagte, dass es doch wohl möglich sein müsse, gemeinsame Verantwortungsübername verbindlicher in konkreten Strukturen zu etab­lieren.

Für die Belange der Kinder und Jugendlichen sei es auch nicht damit getan, eine neue Institution zu schaffen, machte der BVJK deutlich. Weitere Maßnahmen zur Stärkung der Prävention seien nötig. Mindestens der Pakt für den ÖGD müsse fortgesetzt werden.

Auf eine Frage aus der SPD-Fraktion, ob das Institut zu einer strukturierten Evaluation der Coronapandemie beitragen könne, äußerte sich Geene zustimmend. Um diese Tätigkeit unabhängig abzusichern, sollte seinen Worten nach im Gesetz die Einrichtung eines Beirats geregelt werden.

Alternativvorschläge für Namen

Die Pläne für das neue Institut rufen schon seit Monaten Kritik aus Fachkreisen hervor, auch weil die Verän­de­rungen eine Schwächung des RKI bedeuten könnten. Fortgesetzt wurde gestern auch die Debatte über den Institutsnamen. Dieser wurde etwa von Fachgesellschaften als „Fehlgriff“ bezeichnet, der immerhin leicht korrigiert werden könne, indem die öffentliche Gesundheit in den Namen aufgenommen werde.

Es kursieren alternative Namensvorschläge wie „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“, „... für Gesund­heits­förderung“ oder „..für Gesundheit“ sowie eine ergänzende Benennung nach Persönlichkeiten wie Alice Salomon oder Marta Fraenkel.

Ines Perea, Unterabteilungsleiterin 63 „Gesundheitsschutz“ im BMG, sagte heute in einer Veranstaltung des Tagesspiegel-Verlages, zu der Debatte um den Namen BIPAM: „Ich glaube, ich nehme nichts vorweg, indem ich sage, das wird vermutlich nicht der Name bleiben.“

Die Ampelkoalition begründet das Gesetz in ihrem Entwurf im Kern mit Erfahrungen aus der Coronapande­mie, „die gezeigt haben, dass die behördlichen Strukturen im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens der Verbesserung bedürfen“.

Als künftige Herausforderungen werden neben Pandemien sowie Gesundheitsgefahren durch Klima, Umwelt und Ernährung unter anderem der demografische Wandel, und der Wandel des Krankheitsspektrums hin zu chronisch-degenerativen und psychischen Erkrankungen genannt.

Das Bundeskabinett hatte sich im Sommer hinter die Aufspaltung des RKI gestellt, es verabschiedete die Pläne aus dem BMG trotz heftiger Kritik aus Fachkreisen unverändert.

Wie es im Gesetzentwurf heißt, sollen das BIPAM und das RKI die öffentliche Gesundheit gemeinsam bundes­seitig stärken. Das neue BIPAM soll demnach dazu beitragen, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Letztlich wird auch eine Entlastung der sozialen Sicherungssysteme erhofft.

Das Vorhaben wird im Gesetzentwurf als alternativlos bezeichnet. Der Entwurf stelle „sowohl einen effizien­ten als auch effektiven Lösungsansatz dar, indem er bestehende Strukturen integriert und optimiert“. Aus Fachkreisen sind andere Optionen vorgeschlagen worden, wie etwa ein Ausbau des RKI, eine Stärkung der bestehenden Strukturen oder ein gemeinsames Dach für beide Institute.

ggr

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