Politik

Stagnierende Spendebereitschaft, Organe bleiben rare Güter

  • Donnerstag, 24. Oktober 2024
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Frankfurt am Main/Berlin – Trotz stetiger Bemühungen bleiben die Organspendezahlen seit Jahren auf niedri­gem Niveau. Auch 2024 ist keine Ausnahme: So gab es von Januar bis September in den rund 1.200 Entnah­mekrankenhäusern in Deutschland 714 postmortale Organspender (718 im Vergleichs­zeitraum 2023).

„Derzeit stehen gleichzeitig jedoch mehr als 8.200 Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten, für die eine Organtransplantation oft die letzte Hoffnung ist. Wir hätten die medizinischen Möglichkeiten zu helfen, uns fehlen aber die Organe“, sagte heute der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Axel Rahmel, auf der DSO-Jahrestagung in Frankfurt/Main.

„Die derzeitige Warteliste mit 6.400 registrierten Nierenpatientinnen und -patienten ist lediglich die Spitze des Eisbergs“, verdeutlichte der Arzt. Für diese Menschen stünde die Ersatztherapie der Dialyse zur Verfügung, wäh­rend andere, die vergeblich auf ein Herz oder eine Lunge warteten, versterben würden. Im vergangenen Jahr seien das in Deutschland 667 Patienten gewesen.

Ermutigend sei zwar die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegene Anzahl der Meldungen möglicher Organspender aus den Krankenhäusern, sagte Rahmel. Dies führe jedoch nicht zu mehr Spenden.

„In den meisten Fällen fehlt schlicht die Zustimmung“, bedauerte Rahmel. Insbesondere, wenn die Verstorbenen zu Lebzeiten ihren Willen weder schriftlich noch mündlich geäußert hätten, hätte es in der Hälfte der Fälle keine Zustimmung von den Angehörigen gegeben.

Zudem sinke die Anzahl der entnommenen Organe pro Spender, so Rahmel weiter. Dies läge daran, dass das mediane Alter der gemeldeten und der realisierten Organspender stetig zunehme. „Damit kommt es häufiger zu Abbrüchen des Organspendeprozesses wegen medizinischer Kontraindikationen oder unzureichender Spender­organqualität.“

„Ohne die Solidarität der Bevölkerung wird sich die Situation der Organspende langfristig jedoch kaum ver­bes­sern lassen“, ist der Medizinische DSO-Vorstand überzeugt. Es sei wichtig, dass jeder Mensch seine Entscheidung zu Lebzeiten treffe und auch dokumentiere, appellierte Rahmel. Derzeit würde die Entscheidung immer noch in zwei Drittel der Fälle von den Angehörigen getroffen.

Organspenderegister nicht die Trendwende

Eine Trendwende in der Organspende wünscht sich auch Sabine Dittmar (SPD), Parlamentarische Staatssekre­tärin im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Sie würdigte heute in Frankfurt die unermüdlichen Bemühun­gen der DSO, nach immer neuen Möglichkeiten zu suchen, die die Organspende fördern.

„Sie als Koordinierungsstelle erfüllen nicht nur den gesetzlichen Auftrag, sich um die Zusammenarbeit aller beteiligten Partner bei der Gemeinschaftsaufgabe Organspende zu kümmern. Sie sehen sich dabei auch dem Willen der verstorbenen Menschen und deren Familien verpflichtet, ihrem Wunsch, Organe zu spenden, nach­zukommen und diesen Wunsch mit größter Sorgfalt umzusetzen“, sagte sie anlässlich des 40jährigen Bestehens der DSO.

„Aus Sicht der DSO ist auch das seit März verfügbare digitale Organspenderegister eine weitere Option, die ge­nutzt werden sollte, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen“, ergänzte Thomas Biet, Kaufmännischer DSO-Vorstand. Doch dies sei nur ein kleiner Baustein: Es zeichne sich nämlich bereits ab, dass das Register per se nicht zu mehr dokumentierten Zustimmungen führe.

Bis Mitte Oktober hätten dort nur rund 180.000 Menschen eine Erklärung hinterlegt. „Möglicherweise steigen die Zahlen aber noch, wenn mehr Bürgerinnen und Bürger über einen elektronischen Personalausweis verfügen oder eine Registrierung über die Krankenkassen-App möglich ist“, meinte er.

Eventuell könnte das Register sein volles Potenzial zukünftig entfalten, wenn die Widerspruchsregelung einge­führt werden sollte, erklärte Karl Broich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), bei dem das Register angesiedelt ist. Durch den jederzeit möglichen Zugriff der Kliniken auf das Register wäre ge­währleistet, dass ein hinterlegter Widerspruch sicher auffindbar sei. „Das Register ist für die Widerspruchsrege­lung bereit.“

Auch Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des DSO-Stiftungsrates und ehemaliger Präsident der Bundes­ärztekammer, sieht in der Widerspruchsregelung Vorteile, betonte aber die Notwendigkeit einer sensiblen Kommunikation, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern.

„Wir brauchen einen Systemwechsel bei der Organspende. Aus medizinischer Sicht, vor allem aber aus der Sicht der schwer kranken Patienten auf den Wartelisten für eine Transplantation wäre eine solche Regelung der Ide­al­fall und würde uns langfristig nutzen“, sagte er. Internationale Erfahrungen zeigten aber, dass sich durch die Einführung einer Widerspruchsregelung die Organspendezahlen nicht sprunghaft erhöhen.

Dies unterstrich auch Sandra Zumpfe, Vorstandsvorsitzende Bundesverband der Organtransplantierten (BDO). Sie forderte vor allem die tatsächliche Umsetzung aller bereits gesetzlich verankerten Maßnahmen. Noch immer seien die Transplantationsbeauftragten nicht in allen Kliniken präsent. „Ich möchte erreichen, dass die Organspende endlich in den Köpfen der Bevölkerung Deutschlands ankommt und unsere Anliegen überall wahrgenommen werden“, sagte sie.

Seit vier Jahrzehnten koordiniert die DSO die post­mortale Organspende in Deutschland. Sie organisiert alle Schritte des Organspendeprozesses zwischen den Entnahmekrankenhäusern, der internationalen Vermittlungs­stelle Eurotransplant und den Transplantations­zent­ren.

Sie identifizierte auch die strukturellen Problemfelder bei der Organspende: Zum 1. April 2019 trat daraufhin das „Zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ in Kraft.

Der Schwerpunkt der Reform lag auf den Transplantationsbeauftragten, deren Rolle durch die neuen gesetz­lichen Vorhaben gestärkt wurde. Die Kliniken erhielten zudem eine aufwandsgerechte Vergütung ihrer organ­spendebezogenen Aufgaben. Darüber hinaus wurde mit der Gesetzesnovelle die Angehörigenbetreuung auch rechtlich der DSO übertragen.

Angesichts ihres runden Geburtstags plädiert die DSO jetzt für einen Perspektivwechsel. „Die Widerspruchsre­gelung alleine ist nicht die Lösung des Organmangels, aber sie ist ein wichtiger Baustein in Synergie zu den bereits erfolgten Gesetzesänderungen und kann eine Kultur der Organspende fördern, die uns andere Länder voraushaben“, bekräftigten heute die DSO-Vorstände Rahmel und Biet.

ER

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