Politik

Umbau der Gematik beschlossen, PVS-Wechsel soll leichter werden

  • Mittwoch, 17. Juli 2024
/BillionPhotos.com, stock.adobe.com
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Berlin – Die Bundesregierung hat den Umbau der Gematik zu einer Digitalagentur mit mehr Befugnissen als bisher beschlossen. Der entsprechende Entwurf für ein Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) ging heute durch das Bundeskabinett.

Er enthält einige Neuerungen, die vor allem für Niedergelassene wesentliche Veränderungen bringen könn­ten: So soll es künftig bedeutend leichter werden, den Anbieter des Praxisverwaltungssystems (PVS) zu wech­seln. Wenn den Praxen Kosten entstehen, weil ein Anbieter die PVS-Daten nicht in einem interoperablen For­mat bereitstellt, sollen sie einen Anspruch auf Schadenersatz erhalten.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) sollen zudem Wechselberatungen und kriterienbasierte Ver­gleichs­möglichkeiten für die PVS-Entscheidung anbieten können. Zudem soll die zur Gesundheitsagentur aufgewertete Gematik selbst mehr Befugnisse zur Zertifizierung von PVS erhalten.

Denn das bei ihr angesiedelte Kompetenzzentrum für Interoperabilität (KIG) soll weitere Aufgaben erhalten. Als zentraler Akteur für die Förderung von Interoperabilität im Gesundheitswesen soll es unter anderem qualitative und quantitative Anforderungen an informationstechnische Systeme festlegen. Speziell bei den PVS soll es die Anforderungen an deren Architektur und Funktionalitäten vorschreiben.

Es sei ein großes Problem, dass viele Systeme im Gesundheitswesen heute nicht ausreichend miteinander kommunizieren könnten, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute in Berlin. Das habe seine Ursache darin, dass Anwendungen wie PVS oder Krankenhausinformationssysteme (KIS) bisher im Prinzip nach einem Open-House-Modell in den Markt gekommen seien.

Minderwertige Ware auf dem Markt

Die Gematik habe bisher lediglich Spezifikationen erarbeitet, aber keine weitergehenden Vorgaben gemacht. Dadurch sei „viel minderwertige Ware auf dem Markt“, sagte Lauterbach. Diese erfülle zwar die Spezifikatio­nen, habe keine Mindeststandards der Benutzerfreundlichkeit.

Ärztinnen und Ärzte hätten bisher bei der Entscheidung für ein PVS bisher mangels Informationen gar nicht ausreichend einschätzen können, welches System für sie geeignet sei. Dabei werde die Digitalagentur künftig helfen.

„Die Digitalagentur Gesundheit wird die Institutionen der Selbstverwaltung bei der Digitalisierung von Ver­sor­gungsprozessen im Gesundheitswesen und der Pflege als Partner unterstützen“, heißt es dazu im Kabi­nettsentwurf des Gesetzes, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Zudem soll die Gesundheitsagentur künftig direkt auch gegen Hersteller vorgehen können, die die Kriterien der Benutzerfreundlichkeit nicht erfüllen. „Sanktionen können auch so wirken, dass bereits auf dem Markt be­findliche Anwendungen ihre Zertifizierung wieder verlieren“, betonte Lauterbach. Diese Anwendungen müss­ten dann vom Markt genommen werden.

Dabei würden auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) entlastet, an deren Stelle die Digitalagentur künftig die Zertifizierung übernehme. Man müsse Schluss machen mit Systemen, die in der Praxis nicht gut funktionieren. „Das hätte schon viel früher passieren müssen“, sagte Lauterbach. „Dann hätte man sich viel Ärger erspart.“

Herstellerverbände kritisieren Wettbewerbsverzerrung

Die Herstellerverbände kritisieren diese Pläne scharf. „Durch den Gesetzesentwurf findet nicht nur eine Wett­bewerbsverzerrung statt. Zusätzlich werden auch marktwirtschaftliche Akteure gehindert, durch Kreativität optimale Lösungen und Mehrwerte für die Nutzenden entwickeln zu können“, erklärte die Geschäftsführerin des Bundesverbands Gesundheits-IT (bvitg), Melanie Wendling.

Unterschiedliche Rollen soll die Digitalagentur bei der Entwicklung und Bereitstellung von Komponenten und Diensten der Telematikinfrastruktur (TI) wahrnehmen. In einem sogenannten differenzierten Marktmodell soll sie frei auf dem Markt angebotene Anwendungen weiterhin spezifizieren und in unterschiedlichen Abstufun­gen von den Anwendern entwickeln lassen.

Darüber hinaus soll sie aber künftig wesentliche Komponenten und Dienste der TI zentral per Vergabeverfah­ren beschaffen und den Leistungserbringern bereitstellen. Komponenten und Dienste der TI, die nur zentral und nur einmalig vorhanden sind, soll sie künftig selbst entwickeln und betreiben dürfen. Das solle Qualität, Wirtschaftlichkeit und Bereitstellung verbessern sowie das Gesamtsystem stabiler machen.

Dabei soll sie auch Standards der Benutzerfreundlichkeit der Komponenten, Dienste und Anwendungen in der TI festlegen. Deren Einhaltung soll sie sicherstellen und bestehende Hürden bei der Nutzung im Markt besei­ti­gen.

Es handele sich dabei um „eine Professionalisierung der Vergabe“, betonte Lauterbach. Bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens handele es sich um „das größte Digitalisierungsprojekt in Europa“. Dafür brauche man eine starke Digitalagentur.

Auch damit sind die Herstellerverbände keineswegs einverstanden. Zwar sei eine moderne Digitalagentur für Gesundheit, die Standards festlege und ihre Einhaltung überwache, sinnvoll. „Was wir aber nicht brauchen, ist eine Gematik, die selbst bestimmte Anwendungen entwickelt oder ausschreibt“, erklärte der Hauptgeschäfts­führer des Digitalverbands Bitkom, Bernhard Rohleder. „Digitale Lösungen müssen im Wettbewerb entstehen und entwickelt werden, der Wettbewerb ist der beste Treiber von Innovationen zum Wohle der Patientinnen und Patienten.“

In einem verpflichtenden Konformitätsbewertungsverfahren soll zudem auch überwacht werden, dass IT-Systeme die gesetzlich vorgeschriebenen qualitativen und quantitativen Anforderungen in der Praxis tat­sächlich umsetzen. Fehlt ein Zertifikat, sollen Mitbewerber rechtliche Möglichkeiten wie einen Anspruch auf Unterlassung oder auf Schadenersatz erhalten.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht darin eine „Form der Zwangsumstellung“, zum Schaden der Kliniken. Weder in den derzeitigen Fallpauschalen noch den künftigen Vorhaltepauschalen werde der Betrieb komplexer digitaler Infrastrukturen in den Krankenhäusern berücksichtigt.

„Es erinnert an die politische Fehlleistung der Regierung beim Heizungsgesetz, wenn nun auch in den Kran­kenhäusern funktionierende Technik per Gesetz nicht mehr genutzt werden darf“, kritisiert der DKG-Vorstands­vorsitzende Gerald Gaß.

Krankenhäuser fordern die Betriebsfinanzierung der Digitalisierung

Bis heute sei keine Finanzierung der Betriebskosten von Digitalisierung im Gesundheitswesen vorgesehen. Der Betrieb komplexer digitaler Infrastrukturen in den Krankenhäusern werde weder in den derzeitigen Fall­pauschalen noch den künftigen Vorhaltepauschalen berücksichtigt.

Zudem soll die Digitalagentur das Mandat erhalten, im Fall von Störungen Informationen von den Anbietern anzufordern und sie gegebenenfalls zu verpflichten, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Falls nötig, soll sie auch selbst Maßnahmen ergreifen können und sich die dadurch entstandenen Kosten von den Anbietern erstatten lassen.

Die Sicherheit der TI soll die Digitalagentur besser gewährleisten können, indem sie mit hoheitlichen Aufga­ben beliehen wird. Diese umfassen die Zulassung, die Zertifizierung und die Erteilung von Anordnungen zur Gefahrenabwehr innerhalb der TI. Auch sollen Bußgeldtatbestände erweitert und die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als Bußgeldbehörde verstärkt werden.

bee/lau

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