Politik

Verbesserter Zugang zu innovativen Therapien durch Netzwerke

  • Mittwoch, 17. Januar 2024
/tippapatt, stock.adobe.com
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Berlin – Vom Zugang zu innovativen Therapien in der klinischen Praxis profitieren medizinisch nicht nur Patienten, sondern wirtschaftlich auch die Regionen. Darauf wies die Vertretung des Freistaates Sachsen beim Bund gestern gemeinsam mit dem Zukunftscluster SaxoCell und dem Universitätsklinikum Leipzig beim Parlamentarischen Abend „SaxoCell meets Politics“ hin.

Mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundestages sowie der Industrie diskutierten sie Potenziale sowie politische und strukturelle Hürden für die Einführung von neuartigen Therapien in die Versorgung.

Einig waren sich die Diskutanten, dass Kooperationen die Translation beschleunigen können. Das sächsische Netzwerk SaxoCell beispielsweise erschließt neue Anwendungsgebiete und Produktionsmethoden für soge­nannte „lebende Arzneimittel“.

Dabei werden personalisierte zelluläre Therapien und ATMPs (Arzneimittel für neuartige Therapien) mit neuesten Technologien in der Zell- und Gentherapie entwickelt und ihre bisherigen Anwendungsgebiete erweitert sowie ihre Verträglichkeit und Wirksamkeit erhöht.

Durch Automatisierung, künstliche Intelligenz und Standardisierung soll zudem die Effizienz erhöht werden. SaxoCell verbinde 20 Jahre Pionierarbeit auf dem Gebiet von Zelltherapien mit künstlicher Intelligenz und Digitalisierung, sagte Staatsminister Sebastian Gemkow. „SaxoCell bringt Wissenschaft und Industrie zu­sammen und erschließt eine einzigartige Wertschöpfungskette“, betonte er.

CAR-T-Zellen hätten als lebende Krebsmedizin ein großes Potenzial, erklärte Ulrike Köhl, Direktorin des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig. In Deutschland gebe es momentan nur wenige zugelassene CAR-T-Zell-Produkte. Und von weltweit mehr als 1.000 Studien zu CAR-T-Zellen würden nur fünf Prozent davon in Deutschland durchgeführt und diese seien zudem hauptsächlich industriegespon­sert.

„Der Transfer von­­ klinischen Studien in die klinische Versorgung findet in Deutschland nur schleppend statt“, bedauerte Köhl. „Diese Translationslücke muss geschlossen werden. Wir müssen Bürokratie ab- und Netzwerke aufbauen“, betonte sie. „Dies macht SaxoCell.“

„Es existieren viele neue Therapiemöglichkeiten, aber teilweise werden Marktzulassungen aufgrund mangeln­der Erstattung nicht genutzt“, bedauerte Uwe Platzbecker, Hämatologe und Onkologe vom Universitätsklini­kum Leipzig. Als Beispiel für den Nutzen dieser neuen Therapien stellte er den Fall einer Patientin vor: Beatrix Schröder, selbst niedergelassene Internistin, erkrankte an einem B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom.

Sie berichtete von ihrem Krankheitsverlauf und dem Benefit, den sie aus der CAR-T-Zell-Therapie ziehen konnte als die Chemotherapie nicht ansprach. Glücklicherweise sei die CAR-T-Zell-Therapie relativ schnell und unbürokratisch von der Krankenkasse finanziert worden. „Ich verdanke der modernen Medizin mein Leben“, sagte sie.

Christian Thams von der Firma Janssen betonte, dass diese neuartigen Arzneimittel häufig in besonderen The­rapiesituationen wie der von Beatrix Schröder eingesetzt würden. „Es handelt sich um kleine Patientengrup­pen mit lebensbedrohlichen Krankheiten. Ein schnellstmöglicher Therapiezugang ist bei ihnen oft erforder­lich“, erläuterte er.

Aus Sicht des Pharmavertreters wird die Evidenz bei der Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundes­ausschuss (G-BA) oft nicht anerkannt. „Die besondere Therapiesituation wird ignoriert“, kritisierte Thams. Seiner Auffassung nach behinderten veraltete politi­sche Rahmenbedingungen den Fortschritt. „Wir brauchen gesetzlich verankerte Prozesse zur Feststellung der besonderen Therapiesituation“, forderte er. Bei der Nutzenbewertung müsse die bestverfüg­bare Evidenz berücksichtigt werden.

Letzterem widersprach Paula Piechotta, Ärztin und Mitglied des Bundestages (Grüne). Der Topf der gesetzli­chen Krankenversicherung (GKV) ist endlich. „Wir brauchen deshalb Mindeststandards bei der Einführung von neuen Therapien. Bei der Evidenz darf es keine Kompromisse geben“, betonte die Grünen-Politikerin.

Generell gelte jedoch: „Das deutsche Gesundheitswesen muss effizienter und digitaler werden.“ Nur so könnten die Beitragssätze stabil und die Gesundheitsleistungen bezahlbar für die Solidargemeinschaft gehalten werden.

Lars Rohwer (CDU) vom Ausschuss für Bildung und Forschung des Bundestages meinte, Deutschland müsse innovationsfreudiger werden. „Wir brauchen ein gemeinsames Bekenntnis zur Innovation“, sagte er. Auch das Bundesforschungsministerium (BMBF) sollte nach seiner Ansicht langfristige Kooperationen zwischen Indus­trie und Forschung fördern.

Zudem müsse man sich mit der Pharmaindustrie auf ein Vergütungssystem einigen, das die Interessen beider Seiten berücksichtige. „Wir brauchen heute durchschnittlich zehn Jahre bis zur Marktreife einer neuen Thera­pie. Das ist eindeutig zu lang.“

Das dies nicht an den Ethikkommissionen liege, die klinische Studien im Sinne der Patientensicherheit be­werten, betonte Julia Steinigen-Fuchs von der Geschäftsführung der Ethikkommission an der Technischen Universität Dresden. „Wir sind nicht die Bremse“, sagte sie. „Oft warten wir auf andere Stellen, wie beispiels­weise Bundesoberbehörden“, erläuterte die Juristin. Generell dauere es nur 30 Tage von der Einreichung einer klinischen Studie bis zu ihrer Genehmigung durch eine Ethikkommission.

Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Dresden, hob die besondere Rolle der Universitätskliniken bei der Translation neuer Therapien hervor. „Wir stehen an vorderster Front und überneh­men Sonderaufgaben, die wir aber nicht finanziert bekommen.“

Stattdessen müsse Innovation aus Drittmitteln und Forschungsmitteln finanziert werden. „Das ist unser tägli­cher Kampf“, sagte er, betonte aber gleichzeitig, dass es sinnvoll sei, dass Deutschland mit den Krankenkassen und dem G-BA Institutionen habe, die den Zugewinn neuer Therapien tatsächlich prüfen würden.

„Ich sehe optimistisch in die Zukunft“, sagte Albrecht. „Wir haben ein solides Gesundheitssystem mit hohem Standard, das ich nicht gegen ein Gesundheitssystem wie in England oder China eintauschen wollen würde.“ Allerdings werde hierzulande Geld oft an falschen Stellen ausgegeben, bemängelte er. „Wir haben ein Struk­turproblem.“

Christoph Josten, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Leipzig, bestätigte, dass Deutschland eine gute gesundheitliche Versorgung habe. Die Universitätskliniken kämpften dazu jedoch um die besten Köpfe. Dafür benötigten sie ausreichend Mittel und Forschungsplätze. „In die Universitätskliniken muss anders investiert werden, wenn wir konkurrenzfähig bleiben wollen“, forderte er.

ER

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