Politik

Verhandlungen über Entlastung für Krankenhäuser treten auf der Stelle

  • Mittwoch, 5. Oktober 2022
Bundeskanzler Olaf Scholz (Mitte, SPD), Stephan Weil (links, SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Hendrik Wüst (2.von rechts, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. /picture alliance, Bernd von Jutrczenka
Bundeskanzler Olaf Scholz (Mitte, SPD), Stephan Weil (links, SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Hendrik Wüst (2.von rechts, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. /picture alliance, Bernd von Jutrczenka

Berlin – Die Verhandlungen von Bund und Ländern über die Entlastungen für Bürger, Unternehmen und auch die Einrichtungen im Gesundheitswesen angesichts der hohen Energiepreise treten auf der Stelle. Der Satz aus einer Beschlussvorlage für die Gespräche von gestern, noch im Oktober über weitere Maß­nahmen etwa für Krankenhäuser beraten zu wollen, findet sich im endgültigen Beschluss nach rund vierstündigen Gesprä­chen nicht mehr wieder.

In der Vorlage hatte es geheißen, Bund und Länder wollten spätestens bis Ende Oktober gesondert über Hilfs­maßnahmen für Kranken­häuser sowie Universitätskliniken und Pflegeeinrichtungen beraten. Im Beschluss von gestern Abend, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, klingt das nun anders.

„Mit den umfangreichen Entlastungsmaßnahmen, insbesondere den Energiepreisbremsen, dürfte vielfach die Notwendigkeit für gesonderte Maßnahmen für einzelne Zielgruppen entfallen“, heißt es darin nun. Soweit sich weiterer Hilfebedarf – etwa für Krankenhäuser sowie Universitätskliniken und Pflegeeinrichtungen sowie die soziale Infrastruktur [...] ergebe, würden Bund und Länder über zusätzliche Maßnahmen beraten.

Mit Fassungslosigkeit und Enttäuschung reagiert die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) auf die „Be­schlussunfähigkeit der Bund-Länder-Runde“. Das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern führt nach Ansicht der DKG zu einer inakzeptablen Hängepartie für die Bürger, die gesamte Wirtschaft und für die Krankenhäuser.

„Man kann dieses Nichtergebnis nur als Scheitern bezeichnen“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. Man werde mit der Frage, wie man die immensen Kosten der galoppierenden Inflation ausgleichen solle, weiterhin alleingelassen. „So steigt die Gefahr von Insolvenzen von Woche zu Woche. Wir brauchen umgehend einen Beschluss für einen umfassenden Inflationsausgleich für die Kliniken“, erklärte er.

Man erwarte nun, dass das Bundesgesundheitsministerium umgehend einen konkreten Vorschlag vorlege, wie die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser stabilisiert werden könne. Bundesgesundheitsminster Karl Lauter­bach (SPD) hatte den Einrichtungen mehrfach versprochen, sie in der Krise nicht alleine zu lassen.

Die Krankenhäuser fürchten hingegen seit Wochen, beim Entlastungspaket von Bund und Ländern vernachläs­sigt zu werden. Die DKG mahnt, die Einrichtungen benötigten dringend Unterstützung. Anders als andere Be­triebe könnten Kliniken nicht einen Teil ihrer Kostensteigerungen über Preisanhebungen ausgleichen.

Sorgen haben auch die niedergelassenen Ärzte. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Bun­des­ärztekammer (BÄK) riefen die Regierung wie viele Ärzteverbände auch auf, die ambulante Versorgung nicht zu vergessen. Die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz stießen auf Kritik.

„Einmal mehr wird die Leistung der ambulanten Ärzte und Psychotherapeuten mit Füßen getreten. Mit keinem Wort wird die ambulante Versorgung im Beschlusspapier erwähnt“, monierte Annette Rommel, erste Vorsit­zen­de der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen. Dabei lägen die Kosten in den Praxen, insbesondere bei ener­gieintensiven Fachgruppen wie in der Nuklearmedizin, bei Radiologen oder Dialysen deutlich über der ohne­hin hohen Inflation von zehn Prozent in Deutschland.

„Täglich schildern uns Mitglieder ihre Nöte von steigenden Energie- und Heizkosten. Viele Praxen sorgen sich um ihre Zukunft. Sie verschieben Investitionen, erwägen Einsparungen beim Personal oder sogar die Praxis aufzugeben“, so Rommel.

Die Praxisinhaber könnten nicht länger auf eine nicht näher definierte Gaspreisbremse warten. Sie benötigten jetzt Planungssicherheit. „Ein weiteres Hinhalten bedroht Existenzen und gefährdet die ambulante Versor­gung. Das können wir uns nicht leisten. Wir brauchen jede einzelne Praxis.“

Bund und Länder vermieden gestern nach den Gesprächen verbale Frontalangriffe. Die Formulierungen waren dennoch eindeutig und zeigen, es hakt an den Finanzierungsfragen. Nach dem Treffen mit den Länderregie­rungs­chefs sprach Bundes­kanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin zwar von einer „sehr konstruktiven Beratung“.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warf der Bundesre­gierung jedoch vor, sie habe „kaum Kompro­miss­bereitschaft“ gezeigt. „Wir sind heute nur ganz wenige Schritte vorangekommen und noch längst nicht am Ziel.“ Aus Sicht vieler Länder sei das einfach zu wenig.

So erzielten Bund und Länder noch keinen Konsens über die Verteilung der Kosten für die Entlastungen. „Da gibt es noch Diskussionen, wie das im Einzelnen geschultert werden kann“, sagte Scholz. „Aber ich habe den Eindruck, dass wir da auf einem sehr konstruktiven Pfad unter­wegs sind und uns auch miteinander über diese Aufgabe verständigen werden.“

Scholz rechnete vor, dass die bisherigen Entlastungspakete und das nun geplante Sondervermögen zusamm­en ein Volumen von 295 Milliarden Euro haben werden. „Der Bund wird davon knapp 240, 250 Milliarden Euro auf seine Kappe nehmen und finanzieren“, sagte der Kanzler. Auch über die konkrete Ausgestaltung der ge­plan­ten Strom- und Gaspreisbremse wird nach seinen Angaben noch gesprochen.

Die Bundesregierung will Verbraucher und Unternehmen mit einem Maßnahmenpaket von bis zu 200 Milliar­den Euro vor hohen Energiepreisen wegen des Ukraine-Kriegs schützen. Die Preise für Gas und Strom sollen gedeckelt werden. Für Unternehmen soll es Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen geben. Details sind aber noch offen. Die Hilfen sollen über Kredite finanziert werden.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der am kommenden Sonntag eine Landtagswahl zu bestehen hat, zeigte sich anders als Wüst zufrieden mit den Beratungen und nannte sie „sehr konstruktiv“. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass dies noch nicht die Schlussberatungen sein könnten. Auch Weil drückte aber aufs Tempo. Das Gesetzgebungsverfahren für das Gesamtpaket müsse noch im November beginnen. Zu Beginn des kommenden Jahres solle niemand unruhig schlafen müssen, weil er wisse, wie die Verhältnisse seien.

Aber auch andere Länderchefs zogen eine ähnlich negative Bilanz wie Wüst. „Die Verhandlungen heute mit Bundeskanzler Olaf Scholz sind aus meiner Sicht eine Enttäuschung gewesen“, erklärte Hessen Ministerpräsi­dent Boris Rhein (CDU).

Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) monierte, der Bund habe keine der jetzt wichtigen Fragen beantworten können. „Angesichts der wirklich schwierigen Lage, in der wir uns in Deutschland befin­den, mit großer Unsicherheit in der Bevölkerung, hätte ich erwartet, dass der Bund mit sehr viel konkreteren Vorstellungen in diese Konferenz reingeht.“

may/dpa

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