Vorschlag zu Verschärfungen für Ungeimpfte löst neue Debatte aus

Berlin – Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) denkt laut darüber nach, die Coronaregeln für Ungeimpfte zu verschärfen und Tests ab Oktober für Ungeimpfte bis auf einige Ausnahmen kostenpflichtig zu machen. Das hat eine alte Debatte neu angefacht.
Das Ressort von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte in einem Bericht, der an den Bundestag und die Länder ging, konkrete Vorschläge aufgelistet, um die vierte Coronawelle möglichst flachzuhalten.
Besonders für Ungeimpfte könnten abhängig von der Impfquote, der Inzidenz und der Rate schwerer Krankenhausfälle ab bestimmten Grenzwerten erneut weitergehende Einschränkungen notwendig werden, hieß es darin unter anderem.
Dazu zählten Kontaktbeschränkungen und die Begrenzung der Teilnahme oder gar ein Ausschluss bei Veranstaltungen und in der Gastronomie – also auch mit negativem Test. Zusammenfassen lässt sich das mit der Formel „2G statt 3G“, wobei letzteres für „Geimpft, Genesen, Getestet“ steht.
„Für essenzielle Dinge wie öffentliche Verkehrsmittel oder den Rathaus- oder Krankenhausbesuch muss es die Möglichkeit geben, auch nur mit einer Maske oder mit Test Zugang zu haben“, erklärte Spahn im Münchner Merkur.
„Aber für Discos, Stadien oder Theater, also Bereiche, die nicht zur Grundversorgung gehören, kann ich mir auch einen Zutritt nur für Geimpfte oder Getestete vorstellen.“ Auch ein beschränkter Zugang für Ungeimpfte sei denkbar: „Dass zum Beispiel zu einem Fußballspiel im Bayern-Stadion 30.000 Geimpfte und dazu noch 2.000 Getestete kommen dürfen.“
Das Thema soll nächste Woche bei der kommenden Runde von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten der Bundesländer besprochen werden. Es zeichnet sich schon jetzt eine langwierige Debatte ab. Denn gegen die Verschärfungen haben sich gleich mehrere SPD-Ministerpräsidenten ausgesprochen.
Es sei wichtig, dass sich mehr Menschen in Deutschland impfen ließen, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig der Bild. Dabei führten „Drohungen“ aber nicht weiter. Man müsse vielmehr „überzeugen“.
Ähnlich äußert sich Bremens Regierender Bürgermeister Andreas Bovenschulte: „Ich halte es für falsch und rechtlich unzulässig, Ungeimpfte vom öffentlichen Leben auszuschließen.“ Angesichts der Impfkampagne sei auch „ein genereller Lockdown kein realistisches Szenario“.
„Niemand soll vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden“, forderte auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Mit negativem Test sollten Ungeimpfte weiter zum Beispiel an Veranstaltungen teilnehmen dürfen.
SPD-Bundestagsfraktionsvize Bärbel Bas sagte der Welt: „Die bestehenden Testangebote sollten weiter genutzt werden und den Zugang zu Angeboten in Innenräumen auch ermöglichen.“
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) stellte heute klar, dass Spahns Position nicht die der Bundesregierung ist. „Es liegen keine Pläne dieser Art auf dem Tisch“, sagte sie der Augsburger Allgemeinen.
Allerdings könnten private Veranstalter, Geschäftsinhaber und Gastronomen Vertragsfreiheit haben und selbst entscheiden können. „Wer seinen Gästen einen besonderen Schutz anbieten will, kann deshalb auch Angebote machen, die sich nur an Geimpfte richten“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Die FDP, die im Frühjahr noch gesonderte Lockerungen für Geimpfte gefordert hatte, bekräftigte nun ihre Ablehnung etwaiger staatlicher Einschränkungen für Ungeimpfte. „Wer nicht geimpft oder genesen ist, sollte mit einem tagesaktuellen Negativtest am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Alles andere wäre eine unverhältnismäßige Freiheitseinschränkung“, sagte FDP-Parteichef Christian Lindner der Welt. Aufgrund einer regional unterschiedlichen Coronalage sei es außerdem falsch, „das ganze Land über einen Kamm zu scheren“.
FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki hatte zuvor bereits der Bundesregierung Wortbruch vorgeworfen, weil Spahns Vorschlag einer Impfpflicht gleichkomme. Eine Pflichtimpfung schließt die Regierung aber aus.
Offener für eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Genesenen gegenüber lediglich Getesteten sind die Grünen. Baden-Württembergs grüner Gesundheitsminister Manfred Lucha verlangte in der Welt einen Paradigmenwechsel ab dem Zeitpunkt, wenn allen ein Impfangebot gemacht worden ist: „Geimpfte erhalten alle Freiheiten zurück, und für Ungeimpfte gelten verschärfte Regeln.“
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen hat sich in der Debatte um ein Ende der kostenfreien Schnelltests für ein zeitlich unbefristetes Weiterbestehen der kostenfreien Testangebote ausgesprochen. „Wir haben ja gerade erst gelernt, in der dritten Welle, wie wichtig Tests sind“, sagte Dahmen im ARD-Morgenmagazin.
Für den Gesundheitspolitiker kommt die Debatte um eine Ende der kostenfreien Test „zur völlig falschen Zeit“. Über 30 Millionen Menschen seien noch ungeimpft, es gehe also nicht um Einzelne, sondern weite Teile der Bevölkerung. Und am Ende schützten ja nicht die Tests, sondern nur die Impfungen. Das bedeute, dass die Impfkampagne mit ihrem Tempo vorgibt, „wann wir sagen können, dass das Testen in den Hintergrund tritt“.
Im Moment sei die Impfkampagne leider ins Stocken geraten und das Impftempo inzwischen auf einem Niveau wie es Anfang März, April – ganz zu Beginn der Impfkampagne war – angekommen. „Wenn wir hier nicht mehr Tempo kriegen, wenn wir die Impfquote nicht deutlich steigern, werden wir das Testen absehbar noch brauchen – und zwar kostenfrei“, sagte Dahmen.
Es sei allerdings richtig, einen Unterschied zwischen Geimpften und Getesteten zu machen – „wenn wir von der Gefährdung ausgehen“. Einschränkungen für Ungeimpfte dürfe es nichtsdestotrotz nur geben, wenn eine Belastung des Gesundheitssystems so groß wäre, dass andernfalls alle Einschränkungen in Kauf nehmen müssten.
Hilde Mattheis (SPD), Mitglied im Gesundheitsausschuss, mahnte unterdessen an, sich bei der Impfkampagne stärker auf die Erwachsenen zu konzentrieren. „Ich halte es für falsch, den Fokus der Debatte beim Impfen auf die Unter 18-jährigen zu legen“, erklärte Mattheis.
So habe eine aktuelle Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung aufgezeigt, dass es bei sich ungeimpften Erwachsenen keineswegs überwiegend um Impfgegner handele, sondern dass es gerade unter den Menschen mit niedrigem Haushaltseinkommen sehr viele Impfwillige gebe, die aber bisher kein Impfangebot erhalten hätten.
„Das spricht dafür, dass bestehende Hürden weiter abgebaut werden müssen“, forderte Mattheis. „Ob auf den Marktplätzen, beim Supermarkt, vor Bars, Konzerten, Kinos und mit Einbeziehung von Nachbarschaftstreffs, Sportvereinen etc.: Die Menschen müssen sehr niedrigschwellig erreicht werden, gerne auch mit einer Bratwurst, einem Gutschein oder ähnliches als Belohnung fürs Impfen.“
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