Zweifel an endemischem Zustand der Pandemie nach Omikron-Welle

Berlin – Fachleute aus Virologie und Epidemiologie haben Zweifel daran geäußert, dass das Coronainfektionsgeschehen nach der Omikron-Welle einem endemischen Zustand deutlich näher kommt.
„Es ist absolut möglich, dass nach dem Abflachen der aktuellen Welle Delta zurückkommt“, sagte Ulrike Protzer, Leiterin des Instituts für Virologie an der TU München, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Man können nicht sicher sein, dass Omikron Delta ablöse.
Die Immunität nach einer Omikron-Infektion sei ein „bisschen anders“ als nach einer Delta-Infektion. „Aber wenn man geimpft ist und dann vielleicht zusätzlich eine Infektion hatte, kann das Immunsystem mit neuen Varianten, die jetzt kommen könnten, gut umgehen“, sagte Protzer den Funke-Zeitungen.
Bei Risikogruppen sollte jedoch erwogen werden, ob im Herbst eine vierte Impfdosis nötig sei. Die Daten aus Israel, wo gerade die Impfkampagne zur vierten Dosis läuft, könnten bei der Bewertung helfen.
Auch Gérard Krause, Epidemiologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, zeigte sich skeptisch: „Ich teile die Euphorie nicht, dass Omikron uns jetzt in die Endemie führt“, sagte Krause den Funke-Zeitungen. „Wir wissen nicht, was für Varianten noch kommen, die die Immunität vielleicht umgehen und auch zu schweren Verläufen führen können.“
Durch abnehmenden Impfschutz und Infektionen mit der einen oder anderen Variante hätten viele Menschen zwar eine „Teilimmunität“, aber die helfe nicht gegen jede Variante gleich gut. Die Frage, wann die Pandemie vorbei ist, sei vor allem eine Frage nach dem Umgang mit dem Erreger, sagte Krause.
„Wie viele Erkrankungen sind wir bereit zu akzeptieren, wie viele können wir verhindern und um welchen Preis“ – über diese Fragen müsse es eine gesellschaftliche Verständigung geben. Das sei keine rein medizinische Frage, sondern eine breit angelegte Abwägung.
Als Orientierung könne der Umgang mit den regelmäßigen Grippewellen dienen. „Das Ziel muss es sein, die schlimmsten Schäden zu verhindern und die Schwächsten zu schützen“, sagte der Experte für Epidemiologie. „Die Verluste einer mittleren Influenza-Saison sind wir als Gesellschaft offenbar bereit, hinzunehmen.“
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat einen Anstieg der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz gemeldet und damit erneut einen Höchstwert. Das RKI gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche heute mit 1176,8 an.
Zum Vergleich: Am Vortag hatte der Wert bei 1156,8 gelegen. Vor einer Woche lag die bundesweite Inzidenz bei 840,3 (Vormonat: 265,8). Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 78 318 Corona-Neuinfektionen. Vor einer Woche waren es 63.393 Ansteckungen.
Experten gehen von einer hohen und weiter steigenden Zahl von Fällen aus, die in den RKI-Daten nicht erfasst sind, unter anderem, weil Testkapazitäten und Gesundheitsämter vielerorts am Limit sind. Zudem melden einige Städte und Kreise seit Tagen Probleme bei der Übermittlung der Corona-Fallzahlen.
Deutschlandweit wurden den neuen Angaben zufolge binnen 24 Stunden 61 Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 28 Todesfälle. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 9.815.533 nachgewiesene Infektionen mit SARS-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden.
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