Vermischtes

Abhängigkeit von China wachsendes Risiko für Arzneimittelversorgung

  • Dienstag, 21. Oktober 2025
/picture alliance, dpa, TASS, Artyom Ivanov
/picture alliance, dpa, TASS, Artyom Ivanov

Berlin – Die Abhängigkeit der europäischen Arzneimittelversorgung von der Volksrepublik China hat in den vergangenen 15 Jahren massiv zugenommen. Insbesondere bei Antibiotika, Schmerzmitteln und Diabetesmedikamenten könnte die hiesige Industrie politisch herbeigeführte Exportstopps mittelfristig kaum kompensieren.

Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Auftrag des Pharmaverbandes Pro Generika. Besondere Brisanz erhalte der Befund, weil die Regierung in Peking den Ausbau der eigenen Pharmaindustrie – und die daraus folgende Abhängigkeit anderer Länder – in den vergangenen Jahren durch Subventionen und strategische Investitionen nachweislich gezielt gefördert habe.

In dem Gutachten hatte das IW die Lieferketten von 56 Arzneimittelwirkstoffen untersucht, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als versorgungsrelevant eingestuft hat.

Dabei sei zwar davon auszugehen, dass aus China kaum Endprodukte in Form von Fertigarzneimitteln direkt in die deutsche und europäische Versorgung gelangten. Dafür sei die mittelbare Abhängigkeit über die verschiedenen pharmazeutischen Wertschöpfungsstufen an Wirkstoff- und Arzneimittelhersteller umso größer.

Verschiedenen Studien zufolge würden rund 68 Prozent der Wirkstoffe auf dem europäischen Markt aus Asien stammen. China nimmt hier zwar mit 24 Prozent nur den zweiten Platz hinter Indien mit 37 Prozent ein. Allerdings seien auch die in der Wirkstoffproduktion starken indischen Hersteller in hohem Maße auf Vorprodukte aus China angewiesen, würden also im Falle von Exporteinschränkungen massiv beeinträchtigt.

Das könne man am Beispiel des Antidiabetikums Metformin gut erkennen. Zwar seien auf der Ebene der Wirkstoffproduktion 15 der 22 wichtigsten Hersteller in Indien ansässig, sowie zwei in China und drei in Europa. Allerdings ändere sich das Bild, wenn man die vorgelagerte Produktionsstufe betrachte.

Denn der Vorläuferstoff Dicyandiamid, der eine der zentralen Ausgangsverbindungen für die Metformin-Herstellung ist, stammt zum größten Teil aus der Volksrepublik. Fünf der sechs größten Hersteller würden sich dort befinden, wie es hieß.

Ähnliches gelte für die Antibiotika Amoxicillin und Cefpodoxim. Auf Ebene der Wirkstoffproduktion unterlägen diese bereits einem mittleren bis hohen Risiko. Betrachte man aber zusätzlich den Bezug der zur Herstellung notwendigen Vorprodukte 6-APA und 7-ACA, so steige das Risiko noch einmal wesentlich.

Marktkonzentration und industrielle Präsenz größte Schwachstellen

Insbesondere die Marktkonzentration in einem Land – im Gutachten nur auf China oder Indien bezogen – sowie die industrielle Präsenz in Europa bieten bei den 56 untersuchten Wirkstoffen demnach Grund zur Sorge, während das Risiko beim Kriterium der Diversifikation der Produktionsstandorte im Schnitt noch moderat ausfällt.

So würden nur 10,2 Prozent der betrachteten Wirkstoffe über eine hinreichend große, und damit als wenig riskant einzuordnende industrielle Basis in Europa verfügen, während gleichzeitig bei über zwei Dritteln der Wirkstoffe eine als kritisch einzuordnende Marktkonzentration entweder in China oder in Indien vorliege, so die Analyse.

Besonders bedenklich sei zudem, dass 27 der 56 betrachteten Arzneimittel in mindestens zwei der drei Kriterien ein hohes Risiko aufweisen. Dabei gebe es allerdings erhebliche Unterschiede in den verschiedenen Arzneimittelgruppen.

Während sich die Abhängigkeit von biopharmazeutischen Produkten noch in Grenzen halte, sei sie bei Generika – insbesondere Antibiotika, Analgetika und Antidiabetika – massiv. So befänden sich 47 Prozent der weltweiten Produktionsstandorte für Antibiotika in China, 27 Prozent in Indien und nur 23 Prozent in Europa.

Bei den Biosimilars wiederum geht der Trend der Untersuchung zufolge von niedrigerem Niveau ebenfalls in Richtung einer wachsenden Abhängigkeit: Seien bis Anfang der 2010er Jahre bestimmte biosimilare Wirkstoffe noch ausschließlich in Europa produziert worden, kämen heute bereits mehr als ein Drittel der Wirkstoffe, die für die Herstellung der in Europa zugelassenen Biosimilars benötigt werden, aus Asien.

Zusammengenommen würden die 56 betrachteten Wirkstoffe in Deutschland ein jährliches Verordnungsvolumen von 98 Millionen Packungseinheiten aufweisen. Wenn man das anteilige Kapazitätsrisiko eines Ausfalls chinesischer Wirkstoffhersteller auf die Verordnungen pro Wirkstoff projiziere, ergebe sich, dass rund 42 Millionen Packungseinheiten mit einem Versorgungsrisiko behaftet seien.

Dabei falle auf, dass insbesondere auch Generika mit einer vergleichsweise hohen Anzahl an Verordnungen stark betroffen seien. Das gelte beispielsweise für das Antibiotikum Amoxicillin sowie die Analgetika Paracetamol und Metamizol.

Strategisch geplante Abhängigkeit

Die Autorinnen und Autoren des Gutachtens weisen ausführlich darauf hin, dass diese Abhängigkeiten nicht natürlich gewachsen sind. Sie seien das Ergebnis gezielter Maßnahmen des chinesischen Einparteienstaats.

Bereits 2006 und 2010 seien Biotechnologie und Pharmaindustrie im Rahmen des „mittel- und langfristigen Plans für die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie“ der chinesischen Regierung als „Frontiertechnologien“ und „strategisch aufstrebende Industrie“ eingestuft worden.

Mit dem „12. Fünfjahresplan zur Wissenschaftlichen und Technologischen Entwicklung” sei dann das Ziel der Qualitätssteigerung von rund 200 Generika sowie die Entwicklung von 40 biologischen Medikamenten mit eigenem geistigem Eigentum und die Registrierung von mindestens 700 neuen Patenten ausgegeben worden. Weitere Pläne folgten.

Entsprechend hätten chinesische Pharmaunternehmen ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung signifikant erhöht, von rund 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 13,4 Milliarden Euro im Jahr 2023. Zudem habe der chinesische Staat diese strategischen Ziele mit einer Vielzahl von Maßnahmen zur Stützung der heimischen Pharmaindustrie unterlegt.

Darunter seien neben massiven Subventionen für Forschung- und Entwicklung unter anderem auch Steuererleichterungen wie eine von 25 auf 15 Prozent reduzierte Körperschaftssteuer für Pharmafirmen oder auch günstige Kredite und Finanzierungsinstrumente für die Unternehmen.

Zwar sei das Ziel dieses gesteuerten Ausbaus der Pharmaindustrie primär die Herstellung der eigenen Versorgungssicherheit durch Unabhängigkeit von ausländischen Produzenten.

Allerdings habe die chinesische Regierung in der Vergangenheit in anderen Bereichen bereits mehrfach gezeigt, dass sie bereit ist, bestehende Abhängigkeiten zur Durchsetzung eigener politischer Interessen zu nutzen – beispielsweise mit Exportstopps seltener Erden nach Japan im Jahr 2010 oder von Industriechemikalien nach Südkorea im Jahr 2021.

Im Oktober 2020 sei zudem ein neues Exportkontrollgesetz in Kraft getreten, das der Regierung umfassende Befugnisse gibt, Ausfuhrverbote oder -quoten für Güter zu erlassen, die als strategisch wichtig gelten.

Das Beispiel des russischen Gasexportstopps nach Beginn des Ukrainekriegs mahne zu besonderer Achtsamkeit, heißt es in dem Zusammenhang im Bericht. Im Anschluss an diesen sei es der Bundesregierung innerhalb kurzer Zeit gelungen, russische Importe auf dem Weltmarkt zu substituieren.

Im Fall fehlender generischer Wirkstoffe würde das hingegen nicht möglich sein. Denn eine kurzfristige Ausweitung europäischer Produktionskapazitäten im Krisenfall sei nur schwer realisierbar. Denn anders als der Import von Gas sei der Aufbau neuer Produktionsstätten ein teurer und zeitaufwändiger Prozess, der bis zu fünf Jahre in Anspruch nehmen könne.

lau

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung