Alternde Gesellschaft muss sich mehr mit Tod befassen

Berlin − Deutschland steht laut einer Studie wegen der Alterung der Gesellschaft vor großen Veränderungen. „Es wird für die Gesellschaft eine neue Normalität mit sich bringen, wenn fast ein Drittel ihrer Mitglieder in ein Alter kommt, in dem der Tod merklich näher rückt und schließlich unausweichlich wird“, heißt es in der heute in Berlin veröffentlichten Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.
„Die Menschen werden zunehmend Angehörige und Freunde verlieren, und die Gesellschaft steht vor der Aufgabe, mehr Sterbende zu versorgen“, heißt es. „Besonders in den ländlichen Regionen werden die Menschen häufiger an einer Trauerfeier teilnehmen, als die Geburt eines Kindes zu feiern“, so die Studie.
In einigen Landkreisen dürften 2035 auf eine Geburt vier Beerdigungen kommen − heute sind es eins zu zwei. Die Gesellschaft müsse deshalb viele Anstrengungen unternehmen, um Sterben und Tod einen neuen Platz zu geben.
Nach einer für die Studie erhobenen Allensbach-Umfrage sind die Wünsche der Bundesbürger für die letzte Lebensphase eindeutig. Nach einem langen Leben möchten die meisten Menschen schmerzfrei, nah am Gewohnten, selbstbestimmt, sozial eingebunden und gut versorgt aus dem Leben scheiden.
So würden beispielsweise 76 Prozent der Befragten ihr Lebensende am liebsten im Kreise ihrer Angehörigen verbringen. 79 Prozent wollen möglichst lange selbstbestimmt leben. Eine gleich große Prozentzahl wünscht sich eine kurze Sterbephase.
Umgekehrt machen sich die Menschen Sorgen, dass das „gute Sterben“ nicht gelingt. 74 Prozent befürchten, dass das Personal in Kliniken und Heimen zu wenig Zeit hat, sich liebevoll um Sterbende zu kümmern. 73 Prozent haben den Eindruck, dass viele Mitbürger einsam sterben, und 61 Prozent denken, dass viele Angehörige und Freunde unsicher sind, wie sie einen Sterbenden begleiten sollen.
„Welche Befürchtungen und Hoffnungen Menschen mit ihrem eigenen Lebensende verbinden, hängt wesentlich damit zusammen, ob sie Lücken in der Gesundheits- und Palliativversorgung vor Ort wahrnehmen und ob sie bereits Sterbenden zur Seite gestanden haben“, sagt Catherina Hinz vom Berlin-Institut.
Bisher fühlen sich nur 22 Prozent ausreichend durch Freunde, Kirche oder Kommune unterstützt. Insbesondere auf dem Land sehen rund 40 Prozent der Befragten große Lücken in der Hospiz- und Palliativversorgung.
„Die Mehrheit der Menschen ist bereit, sich um sterbende Angehörige oder Freunde zu kümmern“, sagt Konrad Lampart von der Software AG-Stiftung. Zugleich brauchten diejenigen, die Sterbende begleiten, mehr Unterstützung, etwa durch ambulante Palliativdienste, das soziale Umfeld sowie Arbeitgeber.
Die Studie macht deutlich, dass es einen Bedarf gibt, sich anders mit der Endlichkeit des Lebens zu befassen: 75 Prozent betrachten es als Missstand, dass das Thema Sterben verdrängt wird.
Mancherorts entstünden bereits neue Formate, die sich dem Lebensende in all seinen Facetten widmen: im Museum mit aktueller Kunst, beim informellen Austausch zum Thema im „Death Café“ oder beim Straßenfest, auf dem der Hospizverein seine Arbeit vorstellt.
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