Arzneimittelpreise: Kassen weisen Industrieforderungen zurück
Berlin – Der AOK Bundesverband weist Forderungen der Pharmaindustrie nach einer konzertierten Aktion zur Standortstärkung zurück. Wichtiger sei es, über Preisbildung und Kostentransparenz zu sprechen, erklärte die Vorstandsvorsitzende Carola Reimann.
Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) war Anfang Juli mit einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie der Unternehmensberatung Kearney an die Öffentlichkeit gegangen, der zufolge ein schnelles politisches Handeln notwendig sei, um die Stellung des Pharmastandortes Deutschland zu halten.
Ansonsten würden vielen Patienten bis 2030 den frühen Zugang zu innovativen Arzneimitteln verlieren, so die Warnung. Gemeint waren diejenigen Patienten, die an klinischen Arzneimittelstudien teilnehmen.
Deren Zahl werde nämlich angesichts der besseren Rahmenbedingungen in Ländern wie den USA, China, Großbritannien oder Spanien sinken. Deshalb fordert der Verband künftig eine bessere politische Koordinierung der Maßnahmen zur Stärkung des Standorts.
Dazu brauche es einen Roundtable „Pharmainnovationsstandort Deutschland“ unter Koordination des Bundeskanzleramts oder des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), an dem neben dem BMG auch das Forschungs- und das Umweltministerium sitzen sowie Industrieverbände und Behörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) oder die Ethikkommissionen und die Bundesärztekammer (BÄK). Andere Länder hätten mit solchen Ansätzen gute Erfahrungen gemacht.
Dabei sei dieser Weg schon beschritten worden, wendet Reimann nun ein: „Bereits in der Vergangenheit gab es einen Pharmadialog, allerdings mit fraglichem Mehrwert“, erklärte die Vorstandsvorsitzende des AOK Bundesverbands heute. „Wenn nun der erneute Anlauf in Form eines Runden Tisches gefordert wird, dann sollten hier die astronomischen Einstiegspreise für neue Arzneimittel offen thematisiert werden.“
Dort müsse man über faire Preismodelle, die ethischen und wirtschaftlichen Grenzen von Gewinnmargen sowie die tatsächlichen Forschungs- und Entwicklungskosten sprechen. „Es kann nicht sein, dass Pharmaunternehmen weiter auf Kosten der Beitragszahlenden ihre Gewinne maximieren, indem sie öffentliche Forschungsförderung nochmals in Rechnung stellen“, betonte Reimann.
Es reiche nicht aus, dass der verhandelte Erstattungsbetrag für neue Arzneimittel künftig bereits nach sieben statt bisher zwölf Monaten nach Markteintritt gilt. Diese Änderung war vergangenes Jahr mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) beschlossen worden.
Nach wie vor könnten Hersteller dann sechs Monate lang hohe Gewinne über selbst festgelegte Preise einfahren – unabhängig davon, ob das neue Arzneimittel einen Mehrwert für die Versorgung bringt oder nicht.
Für eine faire Preisbildung reiche also nicht, es brauche mehr Transparenz zu den tatsächlichen Kosten für Forschung und Entwicklung, aber auch zu den Gewinnmargen. „Gewinne der Pharmaindustrie werden bislang durch Unterstützung der öffentlichen Hand ermöglicht, zum Beispiel durch Forschungs- und Standortförderung sowie steuerliche Vorteile“, kritisiert Reimann.
Sie verweist dabei auf die Regelungsvorschläge des vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) herausgegebenen Arzneimittelkompass 2021 mit dem Schwerpunkt „Hochpreisige Arzneimittel – Herausforderung und Perspektiven“.
Demnach könne man auf alle Investitionen und Kosten der pharmazeutischen Unternehmen ein Grundgewinn in Höhe von acht Prozent gewähren und dabei echte Therapieinnovationen mit einem Aufschlag von bis zu 40 Prozent auf die Kosten honorieren. „Dies schafft einen Anreiz für die Forschung und Entwicklung und trägt entscheidend dazu bei, überzogene Höchstpreise zu stoppen“, erklärte Reimann.
Der vfa hat demgegenüber ganz andere Vorschläge: Der Verband trat ebenfalls heute erneut mit Reformvorschlägen an die Öffentlichkeit. Ziel seine zeitgemäße Anpassung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG).
Dabei betont der Branchenverband besonders, dass es wichtig, sei „systemfremde Elemente“ wie den neuen Abschlag auf Kombinationstherapien, die mit dem GKV-FinStG eingeführt worden, wieder abzuschaffen. Der Kombinationsabschlag „verschärft den Preisdruck für viele innovative Medikamente immens“, schreibt der vfa.
Außerdem dürften demnach wichtige patientenrelevante Therapieverbesserungen durch das Gesetz in den Verhandlungen zum Erstattungsbetrag zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband in eine Reihe von Fällen nicht mehr anerkannt werden.
Dieses „neue Verhandlungskorsett“ nehme den Verhandlungspartnern und der Schiedsstelle die bisherige Möglichkeit, besondere Versorgungssituationen oder Limitationen der AMNOG-Nutzenbewertungsmethodik bei der Preisbildung zu berücksichtigen und Medikamente als notwendige Therapiealternativen im Markt zu halten. Der vfa schlägt deshalb vor, „das Verhandlungsprinzip des AMNOG zu stärken“ – und meint damit das Gegenteil von Reimanns Forderungen.
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