AOK warnt vor hohen Bürokratiekosten durch vertrauliche Erstattungspreise

Berlin – Die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zur Einführung vertraulicher Erstattungspreise für patentgeschützte Arzneimittel treffen auf Kritik aus dem Kassenlager. Der AOK-Bundesverband befürchtet steigende Kosten für die Beitragszahler.
Mit seinem Entwurf für ein Medizinforschungsgesetz (MFG) will das BMG einen weiteren Schritt machen, um die Attraktivität des deutschen Arzneimittelmarktes für die Pharmaindustrie zu erhöhen.
Neben einer Vereinfachung der Regularien für klinische Studien sieht es dazu mit dem Instrument vertraulicher Erstattungspreise auch vor, neue finanzielle Anreize für Pharmaunternehmen zu schaffen.
Wie auch bei der Beschleunigung der Antragsverfahren zum Strahlenschutz bei klinischen Studien folgt das BMG damit einer seit Jahren erhobenen Forderung der Pharmaindustrie. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) verlangt eine solche Regelung bereits seit mehr als zehn Jahren.
„Aus Sicht des vfa sind gesetzliche Veränderungen anzustreben, die eine internationale Preisreferenzierung auf Grundlage des Erstattungsbetrags (…) vermeiden. Hierzu ist der Erstattungsbetrag vertraulich zu behandeln“, schrieb er bereits 2011 in einem Positionspapier.
Hintergrund ist, dass der deutsche Erstattungsbetrag für viele, insbesondere europäische Länder als Referenzwert für die eigenen Erstattungssummen dient. Mit Blick auf diese Auswirkung auf andere Märkte könnten die Verhandlungsspielräume der Unternehmen in den Preisverhandlungen eingeschränkt werden, heißt es im Gesetzentwurf.
Dieser sieht nun vor, dass Pharmaunternehmen die Möglichkeit erhalten, vertrauliche Erstattungsbeträge zu vereinbaren, anders als von der Industrie gefordert allerdings nur bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Das BMG geht in dem Entwurf von rund 40 solcher Neueinführungen pro Jahr aus.
Die Logik dahinter ist, dass die Rabatte, die die Hersteller den Krankenkassen nach den Preisverhandlungen gewähren, nicht öffentlich werden und die höheren Listenpreise weiter den Referenzwert für andere Märkte bilden. Einfacher gesagt, könnten die Unternehmen ihre Arzneimittel hierzulande günstiger verkaufen, ohne dadurch auch die Preise in anderen Ländern zu drücken.
Deutschland hat anders als andere Länder keine sogenannte vierte Hürde wie eine Kosten-Nutzen-Bilanz, und die Arzneimittelpreise gelten ohnehin als hoch im Vergleich zu denen der Nachbarländer. Die Auswirkungen auf andere Märkte werden demnach als größeres Hindernis für höhere Rabatte gesehen als die direkte Gewinnreduzierung in Deutschland.
Die Vertraulichkeit soll auf Wunsch des jeweiligen Unternehmens optional möglich sein und bis zum Wegfall des Unterlagenschutzes gelten. Den vertraulichen Erstattungsbetrag müssten die Unternehmen demnach den Anspruchsberechtigten – neben der gesetzlichen Krankenversicherung also auch den privaten Krankenversicherungsunternehmen, Krankenhäusern, Selbstzahlern oder der Beamtenbeihilfe des Bundes – mitteilen und die Differenz zum tatsächlich gezahlten Abgabepreis ausgleichen.
Den Krankenkassen kommt bei dem Verfahren eine zentrale Rolle zu, denn sie sollen dem Gesetzentwurf zufolge den Anspruch auf Ausgleich der Differenz abwickeln. Dazu gehört auch die Prüfung der Abgaben des Arzneimittels an die eigenen Versicherten und die Umsetzung des Ausgleichsanspruchs gegen die pharmazeutischen Unternehmer für jede Abgabe.
Würden alle berechtigten Unternehmen die Option auf vertrauliche Erstattungspreise nutzen, würde das laut BMG bei 40 neuen Markteintritten pro Jahr einen Aufwand von 80.000 Euro pro Krankenkasse und damit für alle Kassen zusammen zu einem Erfüllungsaufwand von rund 7,7 Millionen Euro pro Jahr im ersten Jahr nach der Einführung des vertraulichen Erstattungsbetrags führen.
In den Folgejahren würde sich der Erfüllungsaufwand entsprechend noch erhöhen, da der vertrauliche Erstattungsbetrag bis zum Wegfall des Unterlagenschutzes für ein Arzneimittel gilt.
Aus dem Kassenlager kommt bereits erster Widerstand gegen die vorgesehenen neuen Aufgaben – und mögliche Folgen, die diese mit sich bringen könnten. Sie befürchten unter anderem, dass Listen- und reale Abgabepreise mit der Zeit bei immer mehr Arzneimittel zunehmend auseinanderklaffen könnten und damit der Umfang der Rückabwicklungen für sie immer weiter steigen könnte.
„Bei der angestrebten Umsetzung des vertraulichen Erstattungsbetrags wird es entgegen der Ankündigung zu erheblich mehr Bürokratie und zu zusätzlichen Ausgaben für die Krankenkassen kommen. Eine Verbesserung der Versorgung für die Versicherten bringen vertrauliche Preise ohnehin nicht“, kritisierte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer.
Er zeigt sich besorgt, dass die Kassen mit der vorgesehenen Regel künftig zusätzliche Verwaltung aufbauen müssten, um die Rückerstattung zu realisieren. Hinzu käme, dass sie erhebliche Liquiditätsverschiebungen einplanen und gegebenenfalls den Nacherstattungen von Herstellern hinterherlaufen müssten. Das könnte sozusagen indirekt zu steigenden Arzneimittelausgaben führen.
Auch über die unmittelbaren Kassenfinanzen hinaus könnte das geplante System nach Hoyers Darstellung Instrumente zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung unterlaufen. So könne es passieren, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen der Nutzenbewertung nicht mehr die wirtschaftlichste zweckmäßige Vergleichstherapie ausweisen kann, wenn die tatsächlich gezahlten Erstattungspreise vertraulich behandelt werden.
Weiterhin könnten auch Ärzte oder Apotheken die Kosten einer Therapie dann nicht mehr abschätzen und entsprechend preisgünstig verordnen beziehungsweise abgeben. „Wie angesichts dieser Probleme die notwendige Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung gewährleistet werden soll, ist völlig unklar“, so Hoyer.
Die Auffassung, dass sich durch die vertraulichen Erstattungspreise und gegebenenfalls höheren Rabatte die Attraktivität des deutschen Arzneimittelmarktes erhöhen soll, teilt Hoyer ebenfalls nicht.
„Angesichts der international einzigartigen frühzeitigen und breiten Verfügbarkeit neuer Arzneimittel, einer freien Preisfestsetzung durch den Hersteller zum Markteinstieg ohne vierte Hürde sowie einer fortgesetzt hohen Ausgabendynamik im Markt patentgeschützter Arzneimittel ist diese Fördermaßnahme der Pharmaindustrie auf Kosten der Beitragszahlenden weder notwendig noch sachgerecht“, erklärte er.
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