Vermischtes

„Die Gruppe der Medikamente ist groß, die bei Hitze potenziell inadäquat sind“

  • Mittwoch, 4. Juni 2025

Köln – Hitze hat Effekte auf die Wirksamkeit von Arzneimitteln. Im Rahmen des Projekts ADAPT-HEAT wird derzeit erforscht, um welche Arzneimittel es sich dabei handelt und wie die entsprechende Medikamentengabe in Hitzeperioden angepasst werden muss.

Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt erklärt Projektleiterin Beate Müller, Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität zu Köln, welche Erkenntnisse das Projektteam bislang gewinnen können und wann die Liste mit hitzesensitiven Arzneimitteln vorliegt.

BeateMüller /Michael Wodak, Medizin Foto Köln
BeateMüller /Michael Wodak, Medizin Foto Köln

Fünf Fragen an Beate Müller, Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität zu Köln

Welche Erkenntnisse haben Sie bislang in dem Projekt ADAPT-HEAT gewonnen? Für welche relevanten Arzneimittel gibt es bereits Empfehlungen für eine Medikationsanpassung oder für eine besondere Aufbewahrung bei Hitze?
Das Projekt ADAPT-HEAT soll Gesundheitspersonal, Patientinnen und Patienten evidenzbasierte und konsentierte Hinweise zur Medikamentenanpassung und Beratung in Hitzeperioden bereitstellen. Eine wichtige – wenn auch nicht unbedingt überraschende – Erkenntnis ist, dass es zwar eine klare Evidenz dafür gibt, dass Menschen, die bestimmte Medikamente einnehmen, ein höheres Risiko für hitzebedingte Gesundheitsstörungen haben, dass es aber nur wenig Evidenz dazu gibt, welche Anpassungsmaßnahmen dieses Risiko verringern.

Die Gruppe der von uns als Heat-PIM bezeichneten Substanzen (Potenziell Inadäquate Medikamente bei Hitze) ist groß. Darin finden sich zum Beispiel Blutdrucksenker, Diuretika, Antiarrhythmika, Antidiabetika, Immunsuppressiva, Schmerzmedikamente, Antidepressiva und Antipsychotika.

Auch wenn die Evidenz für effiziente Anpassungsmaßnahmen noch gering ist, können bereits jetzt einige Hinweise gegeben werden. Diese beziehen sich insbesondere darauf, welche supportiven Maßnahmen zum Hitzeschutz bei der Einnahme von Heat-PIM durchgeführt werden können.

Einerseits sind dies besondere Hinweise zum verhaltensbezogenen Hitzeschutz bei Menschen mit Risikomedikamenten, zum Beispiel die Anpassung der Trinkmenge. Andererseits kann dies auch ein intensiviertes (Selbst-)Monitoring zum Beispiel von Blutdruck oder Blutzucker sein. Zuletzt gibt es noch wenige Medikamente, bei denen eine Dosisanpassung oder eine andere Applikationsform in Erwägung gezogen werden kann. All diese Hinweise sind von uns in der sogenannten CALOR-Liste kondensiert worden.

Welche weiteren Erkenntnisse erhoffen Sie sich noch bis zum Ende des Projekts?
In dieser Woche startete der Praxistest der bisher entwickelten CALOR-Liste. Dabei erhalten 30 bis 40 Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, medizinische Fachangestellte, Apotheker und Pharmazeutisch-Technische Assistenten die CALOR-Liste und prüfen deren Verständlichkeit und Umsetzbarkeit.

In moderierten Gruppendiskussionen holen wir deren Feedback ein und werten die Erkenntnisse wissenschaftlich aus. Zudem planen wir, aus den Hinweisen Informationsmaterialien für Patientinnen und Patienten zu entwickeln. Als finales Ergebnis wollen wir so eine CALOR-Liste für Gesundheitspersonal und laienverständliche Informationen für Patienten entwickeln, um die Arzneimittelsicherheit in Hitzeperioden zu erhöhen.

Wie gehen Sie bei der Erstellung der CALOR-Liste vor?
Als Erstes wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt, um Heat-PIMs und gegebenenfalls damit verbundene Anpassungsmaßnahmen zu identifizieren. In diesem Schritt wurden initial 20.000 Artikel gescreent, um den Stand der Forschung zu erheben.

Zudem wurden in einer Best-Practice-Erhebung auch Empfehlungen aus der grauen Literatur – also aus Veröffentlichungen, die nicht von Verlagen stammen – zusammengefasst, zum Beispiel Hitzeaktionspläne aus anderen Ländern.

Anhand der Ergebnisse dieser Analysen wurde eine vorläufige Version der CALOR-Liste erstellt. Diese wurde von circa 30 Expertinnen und Experten verschiedener Fachdisziplinen in drei Runden bewertet und angepasst. Dieses Delphi-Verfahren sollte sicherstellen, dass nur relevante und praktikable Hinweise in die CALOR-Liste Einzug halten. Aktuell findet, wie gesagt, der Praxistest der Liste statt.

Zur weiteren Optimierung der Liste werden aktuell Krankenkassendaten genutzt, um zum Beispiel Verordnungshäufigkeiten der Heat-PIM zu bestimmen. Zudem werden Daten aus der CoRe-Dat-Datenbank aus Köln mit Wetter- und Klimadaten des Deutschen Wetterdienstes verknüpft, um weitere Erkenntnisse zur Versorgungsrelevanz der gesundheitlichen Risiken von Heat-PIM zu gewinnen. Die CoRe-Dat-Datenbank enthält regionale Daten der Sozialstatistik, der Krankenkassen oder der Qualitätsberichte von Kölner Krankenhäusern.

Wie viele Hausärztinnen und -ärzte sind aus Ihrer Sicht bereits gut in Sachen Klimaschutz und Anpassung aufgestellt?
2021 gab es schon den Beschluss des Deutschen Ärztetages, das deutsche Gesundheitssystem bis 2030 klimaneutral zu gestalten. Auch die Klimaresilienz und insbesondere der Hitzeschutz haben in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten. In einer Befragung von Hausärztinnen und -ärzten aus dem Jahr 2021 gaben 16 Prozent der Befragten an, eine Anpassung von Medikamenten während einer Hitzeperiode vorzunehmen.

Allerdings gibt es hierzu keine aktuelleren Daten, die repräsentativ wären. Einerseits gibt es immer mehr Fortbildungsangebote und auch Leitlinien und Kongressbeiträge zum Thema Klimaschutz und Klimaresilienz in der Hausarztpraxis. Andererseits können wir aktuell noch nicht sagen, wie das Thema in der Breite der niedergelassenen Hausärzteschaft angekommen ist.

Die CALOR-Liste soll an diesem Punkt ansetzen und Hausärzten niederschwellige, evidenzbasierte und praktisch umsetzbare Hinweise an die Hand geben, um ihre Patientinnen und Patienten während der immer häufiger auftretenden Hitzeperioden in Deutschland besser unterstützen zu können.

Welche weiteren Projekte verfolgen Sie zurzeit in Ihrem Institut in den Bereichen Klimaschutz und Anpassung? Wir integrieren die Themen Klimaschutz und Klimaanpassung systematisch in alle Bereiche unserer Institutstätigkeit. In der allgemeinmedizinischen Lehre für Medizinstudierende sprechen wir beispielsweise über die zunehmende Verbreitung von Zecken infolge milderer Winter.

Die Stadt Köln unterstützen wir aktiv bei der Umsetzung des Hitzeaktionsplans. Unsere allgemeinmedizinische Hochschulambulanz wurde unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit konzipiert und auch in neuen Forschungsprojekten spielen klimaresiliente und nachhaltige Versorgungsansätze eine zentrale Rolle.

Derzeit sind wir an mehreren Forschungsanträgen beteiligt, die diese Aspekte weiter stärken sollen. Für unser umfassendes Engagement wurden wir im vergangenen Jahr mit dem Universitätspreis in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ ausgezeichnet. Das hat das ganze Team sehr motiviert, denn es gibt noch frustrierend viel zu tun.

fos

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