Extreme Hitze stellt körperliche und psychische Belastung dar

Berlin – Anlässlich des heutigen Hitzeaktionstags haben sich zahlreiche Organisationen für mehr Hitzeschutz in Deutschland eingesetzt – darunter viele Fachgesellschaften und Ärztekammern.
So betonte zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG), dass starke Hitzeperioden für Menschen mit Gefäßerkrankungen eine ernsthafte Gesundheitsgefahr darstellten.
Neben Kreislaufproblemen und der Gefahr von Thrombosen oder Schlaganfällen könne die Sommerhitze auch die Wirkung wichtiger Medikamente verändern. Viele der Arzneimittel, die Menschen mit Gefäßerkrankungen regelmäßig einnehmen müssten, seien temperaturempfindlich.
„Bei Temperaturen über 25 Grad Celsius kann sich die chemische Stabilität von Medikamenten verändern. Sie wirken dann möglicherweise nicht mehr wie vorgesehen“, erklärte Irene Hinterseher, Gefäßchirurgin am Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg der Medizinischen Hochschule Brandenburg und Mitglied der DGG.
Kritisch sei dies bei Medikamenten wie Acetylsalicylsäure, neuen oralen Antikoagulanzien, Clopidogrel, Ramipril, Betablockern oder Diuretika. „Schon wenige Stunden direkter Sonneneinstrahlung reichen aus, um die zulässigen Lagertemperaturen deutlich zu überschreiten und damit möglicherweise die chemische Stabilität zu verändern“, erklärte Hinterseher.
Arzneimittel richtig lagern
Arzneien, die bei Raumtemperatur von 15 bis 25 Grad Celsius gelagert werden sollen, sind bei anhaltenden Hitzeperioden besser im kühlen Schlafzimmerschrank, im sonnengeschützten Flur oder auch kurzfristig im Gemüsefach des Kühlschranks bei acht Grad Celsius untergebracht.
„Um Schäden durch Feuchtigkeit zu vermeiden, sollten sie dort aber in einer separaten Box lagern“, riet Hinterseher. Sie betonte, dass ältere Menschen besonders hitzegefährdet seien. Weil deren Durstgefühl oft vermindert sei, reagiere ihr Organismus besonders empfindlich.
„Die Kombination aus Flüssigkeitsmangel, veränderter Blutzusammensetzung, vorgeschädigten Gefäßen und eingeschränkter Mobilität macht ältere Gefäßpatienten und Gefäßpatientinnen bei hohen Temperaturen anfällig für Verschlüsse von Bypässen, Thrombosen und Schlaganfälle“, betonte Hinterseher.
Noch einmal höher liege das Risiko für ältere, alleinlebende Gefäßkranke in Städten. Denn „städtische Hitzeinseln können nachts bis zu zehn Grad wärmer sein als das Umland“.
Frauenärzte: Vulnerable Gruppen aufklären
Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) rief seine Mitglieder dazu auf, sich mit den gesundheitlichen Gefahren von Hitzewellen für die Patientinnen auseinanderzusetzen und Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere vulnerable Gruppen wie Schwangere, Wöchnerinnen, chronisch kranke und ältere Patientinnen aufzuklären und damit vor den Folgen der Hitze zu schützen.
Die Kompetenz der Bevölkerung, Hitzegefahren zu erkennen und sich sowie besonders gefährdete Personen entsprechend zu schützen, sei immer noch unzureichend, betonte der BVF. „Hier können Frauenärztinnen und Frauenärzte eine entscheidende Rolle spielen, zum einen durch die Umsetzung von nachhaltigen Maßnahmen in der eigenen Praxis, zum anderen durch die Aufklärung vulnerabler Gruppen.“ Ärztinnen und Ärzte sowie Praxispersonal sollten über hitzebedingte Gesundheitsschäden und deren Prävention informiert sein, meint der BVF.
Zur Prävention von gesundheitlichen Hitzeschäden nenne die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug) vier Handlungsfelder: Risiken und Präventionsstrategien kommunizieren, Praxis- und Behandlungsabläufe anpassen, Medikamente und Trinkmengenbeschränkungen prüfen sowie Risikopatientinnen proaktiv kontaktieren – personelle Ressourcen vorausgesetzt.
Mehr hitzebedingte Augenerkrankungen
Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) betonte, dass bei längeren und intensiveren Hitzeperioden auch die Augen betroffen seien. So nähmen beispielsweise Oberflächenerkrankungen der Augen hitzebedingt zu.
„Studien zeigen, dass allergische Bindehautentzündungen häufiger geworden sind“, berichtete Gerd Geerling, DOG-Mitglied und Direktor der Universitäts-Augenklinik Düsseldorf. Eine Ursache dafür liege im Temperaturanstieg, der die Pollensaison verlängert und die Konzentration der Pollen verdichtet.
Darüber hinaus entwickeln mehr Menschen trockene Augen, weil Hitze den Tränenfilm auf dem Auge schneller verdunsten lässt. „Gesellt sich zur trockenen Außenhitze auch noch trockene Raumluft, kann das verstärkt Beschwerden eines trockenen Auges triggern“, erklärte Geerling. Das gelte „insbesondere, wenn man bereits an einem instabilen Tränenfilm leidet.“ Trockene Augen seien darüber hinaus anfälliger für Keime. Geerling riet: „Bei Hitze viel trinken, die Raumluft befeuchten und öfter bewusst blinzeln.“
Auch der Marburger Bund (MB) unterstützt den Hitzeaktionstag. „In den vergangenen zwölf Monaten gab es 50 extreme Hitzetage in Deutschland“, erklärte die 1. Vorsitzende des MB, Susanne Johna. „Knapp die Hälfte davon geht auf das Konto des menschengemachten Klimawandels.“
Diese Entwicklung zeige, wie dringlich es sei, hitzebedingten Gesundheitsrisiken zu begegnen. Denn Hitze treffe vor allem die Schwächsten: ältere Menschen, chronisch Kranke und Pflegebedürftige, aber auch schwangere Frauen. Die gesundheitlichen Folgen reichten von Dehydrierung bis hin zu Herz-Kreislauf-Versagen.
Vielerorts fehle es trotz der Gefahren für die Gesundheit noch an klaren Zuständigkeiten, verbindlichen Plänen und ausreichender Finanzierung, um Hitzeschutz wirksam umzusetzen.
„Deshalb unterstützen wir den Hitzeaktionstag und die damit verbundenen Forderungen nach sektorenübergreifenden Präventionsmaßnahmen und einer klaren Finanzierungsstruktur“, erklärte John. „Die Krankenhäuser brauchen dringend Investitionen in klimagerechte Infrastruktur – moderne Lüftungs- und Kühlsysteme, bauliche Anpassungen, Begrünungen und Hitzeschutzmaßnahmen.“
Drei neue Musterhitzeschutzpläne
Anlässlich des Hitzeaktionstags hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) drei neue Musterhitzeschutzpläne vorgelegt: für psychotherapeutische Praxen, für Apotheken und für den Bereich Sport.
Ziel des gemeinsam mit der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) entwickelten Hitzeschutzplans für psychotherapeutische Praxen sei es, Unterstützung für die Aufklärung zu leisten. Es gehe darum, dass die Praxen ihre Patienten über Hitzegefahren aufklären, zur Selbstfürsorge an heißen Tagen anregen und den Schutz vor Hitze in ambulanten Praxen für Patienten und Mitarbeitende erhöhen.
„Extreme Hitze ist nicht nur eine körperliche Belastung, sondern auch ein ernstzunehmendes Risiko für die psychische Gesundheit. Sie verstärkt Stress, Schlafstörungen und psychische Vorerkrankungen“, erklärte Andrea Benecke, Präsidentin der BPtK.
„Mit dem Musterhitzeschutzplan geben wir Psychotherapeutinnen und -therapeuten ein praxisnahes Instrument an die Hand, das sie dabei unterstützt, ihre Patientinnen und Patienten und sich selbst besser zu schützen – und die psychotherapeutische Versorgung auch bei extremen Temperaturen sicherzustellen“, betonte sie.
Die BPtK empfiehlt, sowohl beim Personal als auch bei den Patienten Risikogruppen zu identifizieren und für diese Personen entsprechende Informationen bereitzuhalten. „Für Risikopatientinnen und -patienten, wie zum Beispiel Patienten mit einer schizophrenen, bipolaren, substanzbezogenen oder demenziellen Erkrankung oder auch einer chronischen körperlichen Erkrankung, sollten, falls möglich, beispielsweise Termine auf die frühen Morgen- oder späten Abendstunden verlegt oder Videosprechstunden angeboten werden“, so die BPtK. „Zudem sollten in den Praxen für den Hitzeschutz verantwortliche Personen bestimmt werden.“
Im Juli 2023 hatte das BMG einen Hitzeschutzplan für Gesundheit vorgelegt. Der Plan wurde nun um verschiedene Maßnahmen erweitert. Zum Beispiel wurde das Hitzemonitoring des Robert-Koch-Instituts (RKI) weiterentwickelt, um die Auswirkungen der Hitzewellen besser einschätzen zu können.
Zudem wird derzeit gemeinsam mit anderen Bundesministerien und den Ländern eine gemeinsame Krisenübung vorbereitet. Bei der Simulation einer extremen Hitzewelle soll unter anderem die Verzahnung von Hitzeschutz auf Länder- und kommunaler Ebene mit dem Katastrophen- und Bevölkerungsschutz auf Bundesebene verbessert werden.
Schon einzelne heiße Tage können die Sterblichkeit erhöhen
Das Umweltbundesamt (UBA) hat heute eine vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebene Untersuchung zur hitzebedingten Sterblichkeit in Deutschland veröffentlicht. Über vier Jahre haben Forschende des UBA und des RKI demnach daran gearbeitet, die Berechnung der durch Hitze verursachten Todesfälle in Deutschland zu präzisieren.
Es habe sich gezeigt, dass es in den Sommern 2023 und 2024 jeweils etwa 3.000 hitzebedingte Todesfälle in Deutschland gab. Betroffen waren vor allem Menschen über 75 Jahre mit Vorerkrankungen wie Demenz, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen.
Der Analyse zufolge stellen schon einzelne heiße Tage eine Hitzebelastung dar, die zu einer Erhöhung der Sterblichkeit führen kann, wenn die nächtliche Abkühlung ausbleibt. Dies gelte für Tage mit einer mittleren Temperatur von über 20 °C, also Tag- und Nachtwerte zusammengerechnet. Bleibe es über mehrere Tage in Folge heiß, ohne nächtliche Abkühlung, steige die Sterblichkeit weiter an und erreiche ein nach etwa drei bis vier Tagen gleichbleibend hohes Niveau.
Hitzebelastung in Städten am größten
In Städten ist die Hitzebelastung der Analyse zufolge größer als auf dem Land. Dieses Phänomen zeige sich am deutlichsten in West- und Süddeutschland. Im Norden sind die Unterschiede aufgrund der Meeresnähe weniger ausgeprägt. Insgesamt kommt es aber auch in ländlichen Kreisen regelmäßig im Sommer zu einer deutlichen Hitzebelastung und zu hitzebedingten Todesfällen.
„Aufgrund des Klimawandels wird sich das Problem der Übersterblichkeit im Sommer in Zukunft noch weiter verschärfen“, sagte UBA-Präsident Dirk Messner voraus. „Umso wichtiger ist es, dass Umwelt- und Gesundheitsschutz hier Hand und Hand gehen und den Menschen unterstützend zur Seite stehen.“
Auch Berlin will mehr für den Hitzeschutz tun. Ein seit längerem angekündigter Hitzeaktionsplan soll dieses Jahr im Senat eingebracht werden, sagte Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra vor kurzem bei einem Pressetermin in einer Hitzeschutzeinrichtung in Schöneberg.
Mögliche Maßnahmen sind etwa die Einrichtung von Schattenplätzen oder langfristige Maßnahmen bei der Planung von Gebäuden, Quartieren und Grünflächen. Der SPD-Politikerin zufolge übersteigt die Zahl der Hitzetoten inzwischen die der Verkehrstoten. „Sie sind aber natürlich viel weniger sichtbar“, so Czyborra. Besonders vulnerable Gruppen wie Obdachlose seien besonders gefährdet.
„Hitze tötet Menschen“, betonte auch der Präsident der Ärztekammer Berlin, Peter Bobbert. Im gesamten Stadtgebiet gibt es sieben vom Senat geförderte Hitzeschutzräume, die zwischen 1. Juni und 31. August tagsüber geöffnet haben. „Wenn wir aber wissen, dass mehrere tausend Menschen obdachlos auf den Straßen Berlins Tag für Tag leben, dann wissen wir, wir haben noch nicht genug Anlaufpunkte in der Stadt“, so Bobbert weiter.
Czyborra wies darüber hinaus darauf hin, dass aktuell ein übergreifender Hitzeaktionsplan für Berlin, an dem alle Senatsverwaltungen beteiligt sind, erarbeitet wird. Es gehe um Fragen wie Gesundheitsschutz vor Denkmalschutz, aber auch um Aufklärungskampagnen und viele Maßnahmen im Stadtraum wie Verschattung oder Anpassungen im Verkehr.
Geplant sei es, diesen ressortübergreifenden Hitzeaktionsplan noch in diesem Jahr in den Senat zu bringen, voraussichtlich im Herbst. Damit gebe es eine sehr gute Grundlage für den Hitzeschutz in der Stadt und Berlin könne hierbei beispielgebend für den Bund sein. „Aber zunächst mal für dieses Jahr sind wir vorbereitet, auch wenn wir eine große Hitzewelle bekommen sollten“, sagte Czyborra.
Niedergelassene, die ihre Praxis hitzeresistenter machen wollten, könnten auf Musterhitzeschutzpläne (https://hitzeschutz-berlin.de/hitzeschutzplaene) zurückgreifen, die von der Ärztekammer Berlin erarbeitet wurden und immer wieder aktualisiert werden, erläuterte Bobbert. Darüber hinaus würden immer mehr Fortbildungen zum Hitzeschutz von verschiedenen Landesärztekammern angeboten, damit Gefahren und mögliche ärztliche Maßnahmen bekannt seien.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: